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Teilnehmer einer Impfstoff-Studie

Interview: Wie es ist, einen Impfstoff gegen Corona zu testen

Joe testet in Mainz den Corona-Impfstoff
gettyimages/chinaphotographer & privat
Joe testet in Mainz den Corona-Impfstoff

Bevor der Corona-Impfstoff auf den Markt kann, müssen Menschen in Studien die Wirkung testen. Wir haben mit einem Teilnehmenden gesprochen.

Für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Corona braucht es Menschen, die bereit sind, sich einen Stoff spritzen zu lassen, um dessen Wirksamkeit zu erforschen. Einer von ihnen war Joe, Redakteur beim Hessischen Rundfunk. Im Gespräch mit Renate Haller verrät der 38-Jährige, warum er an der Impfstudie des Mainzer Unternehmens BioNtech teilgenommen hat. 

Joe und der Alarmknopf
privat
Nach der Impfung bekommt Joe einen Alarmmelder für den Fall, dass es ihm schlecht geht.

Wie ging es Dir beim Impfen?

Joe: Sehr gut, danke. Ich hatte bis auf den Einstich selbst und die üblichen Muskelschmerzen nach der ersten Impfung keine Beschwerden, außer ein wenig Kopfschmerzen. Aber das lag wohl daran, dass ich keinen Kaffee getrunken hatte, um das Blutbild nicht zu verfälschen.

Was genau hast Du gespritzt bekommen?

Joe: Ich habe einen Impfstoff von BioNtech gespritzt bekommen, das sind die deutschen Hoffnungsträger aus Mainz. Da geht es um den BNT 162, davon gibt es verschiedene Untersorten. Eine habe ich bekommen. Das ist ein mRNA-Impfstoff. 

Die Ärzte spritzen Teile von dem Erbgut der Viren. Dann baut die Körperzelle selbst einen Teil des Oberflächen-Proteins von den Viren nach, also die Andockstelle für die Antikörper. Anschließend reagiert das Immunsystem und bildet die Antikörper. Der entscheidende Vorteil ist, man kann das in großen Mengen sehr schnell herstellen, im Gegensatz zu klassischen Impfstoffen, für die man erst Viren züchten muss.

Joe beim Fiebermessen
privat
Nach der Impfung kommt das Fieberthermometer.

Was war Deine Motivation, Dich als Proband zur Verfügung zu stellen?

Joe: Ich interessiere mich für Naturwissenschaften und was es in diesem Bereich an Hightech gibt. Die Arbeit von BioNtech hatte ich schon auf dem Zettel und wollte ganz bewusst an dieser Studie teilnehmen. Außerdem hatte ich in den letzten Monaten oft das Gefühl, privilegiert zu sein, weil ich durch Corona eigentlich keine Nachteile hatte. Dazu kam ein schlechtes Gewissen Freunden und Kollegen gegenüber, die es viel schwerer hatten durch den Verlust von Arbeitsplatz oder Geld, Kurzarbeit oder fehlende Kinderbetreuung. Ich hatte das Bedürfnis, mich an etwas zu beteiligen, was allen hilft.

Mit welchem Gefühl bist Du zur ersten Impfung gegangen?

Joe: Mit einem gewissen Respekt vor dem Stoff und meinem Körper. Angst war es nicht, sonst hätte ich es nicht gemacht, es zwingt mich ja niemand. Ich war eher aufgeregt und neugierig. Drei Tage vorher hatte ich zudem erfahren, dass ich viel weniger injiziert bekomme als geplant, weil in der vorhergehenden Gruppe irgendetwas entweder sehr gut oder sehr schlecht gelaufen war. Dass ich weniger bekommen sollte als meine Vorgänger, die ja alle noch leben, hat mich entspannt.

 

Studien weltweit

Das Coronavirus hat sich weltweit ausgebreitet, entsprechend breit verläuft die Suche nach einem Impfstoff. Weltweit liefen gut 200 Projekte. Biontech hat die Zulassung inzwischen beantragt.

Du musstest vorher auch einen Vertrag unterschreiben.

Joe: Ja, 31 Seiten. Darin geht es um Versicherungsfragen und viel Regulatorisches. Aber es wird natürlich auch erklärt, was alles auf mich zukommen könnte. Es gibt genaue Verhaltensregeln für den gesamten Testzeitraum bis hin zu empfohlenen Verhütungsmethoden und Fristen, wann man wieder ein Kind zeugen darf. Und es steht auch drin, dass man sterben kann. Das ist das Schlimmste, was da steht und was einen am ehesten noch mal überlegen lässt.

Wie bist Du in die Gruppe der Probanden reingekommen?

Joe: Der Prüfarzt sagte: 'Sie dürfen nicht gesund sein, Sie müssen kerngesund sein.' Ich habe dort Leute getroffen, die mir sagten, sie seien schon das dritte Mal da und immer passte was nicht, das kann eine kleine Entzündung am Zahn sein, wegen der es ein minimal abweichendes Blutbild gibt. Ich musste mich auch an jeden noch so kleinen Leistenbruch im Vorschulalter erinnern und jede Vorerkrankung meiner Eltern. Und ich musste mit Blut, im Bodymass-Index, in der Größe und im Alter dem Ideal eines gesunden Erwachsenen genügen. Ich hatte deshalb vorher gut auf mich geachtet.

Hintergrund RNA-Impfstoff

Für die Zulassung von Impfungen ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Zum RNA-Impfstoff erklärt das Institut, dass bei der Impfung die genetische Information für den Bau eines ungefährlichen Erregerbestandteils injiziert wird. Der Körper der geimpften Person nimmt die RNA in einigen Zellen auf. Diese Körperzellen wiederum nutzen die genetische Information der RNA zum Bau des Erregerbestandteils. „Die so im geimpften Menschen produzierten Erregerbestandteile sind nicht infektiös und lösen auch keine Erkrankung aus“, schreibt das PEI in einer Mitteilung. Das menschliche Immunsystem erkennt den fremden Erregerbestandteil und baut eine schützende Immunantwort auf.

Wie aufwendig ist das Ganze?

Joe: Es sind zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen in Mannheim. Direkt nach den Impfungen wird im Stundenrhythmus genau hingeschaut und alles untersucht. Am nächsten Tag darf man dann nach Hause. Ich werde jetzt durch Telefonkontakte, mit einem Tagebuch und täglichen Temperaturmessungen und zunächst wöchentlichen, dann monatlichen Untersuchungen eng begleitet. Gegen Weihnachten wird mir dann zum letzten Mal Blut abgenommen und geschaut, wie viele Antikörper sich gebildet haben und wie das im Verhältnis zu den Nebenwirkungen steht, die ich dann vielleicht beschrieben habe. Teil der Studie bleibe ich bis Oktober nächsten Jahres und muss mich immer wieder untersuchen lassen. In der gesamten Zeit habe ich verschiedene Einschränkungen: Ich darf nicht zum Arzt gehen, ohne das zu melden, ich darf mich auch nicht operieren lassen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, und ich darf auch keine Medikamente schlucken, auch nicht Paracetamol oder Aspirin.

Hoffst Du, anschließend immun gegen Corona zu sein?

Joe: Das wäre ein schöner Effekt, Der Arzt hat aber gesagt: 'Gehen Sie davon aus, dass Sie keinen medizinischen Nutzen von der Studie haben. Wir probieren aus, was das Zeug macht, wir können Ihnen das aber nicht vorher sagen.' Aber klar würde ich mich freuen, sollte ich viele Antikörper haben.

Bekommst Du Geld für die Teilnahme?

Joe: Ich bekomme nach einem Jahr knapp 2000 Euro und Fahrtkosten. Angesichts des großen Aufwandes ist das nicht die Wucht, ich musste mir auch ein paar Tage freinehmen. Es gibt aber Menschen, die in so prekären Verhältnissen leben, dass das ein gutes Nebeneinkommen ist und die auch an einer Studie nach der anderen teilnehmen.

Wie hat Deine Familie reagiert?

Joe: Ich habe zwei kleine Kinder und eine Frau, die in Biochemie promoviert. Sie findet das eher spannend als gefährlich. Meine Kinder sind zu klein, um es zu verstehen. Meine Mutter hat gesagt 'Ach du Schreck, bist du mutig' und wollte dann sehr genau wissen, um was es geht.

Das Interview mit Joe ist am 15. Oktober das erste Mal auf indeon.de erschienen.