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1.700 Jahre jüdisches Leben

Jüdisches Leben in Deutschland - ein Geschichtsabriss

321 gibt es den ersten Nachweis jüdischen Lebens in Deutschland
Esther Stosch

1.700 Jahre jüdisches Leben: Die Zeit war nicht nur von Verfolgung geprägt. Juden brachten Deutschland wirtschaftlich und kulturell voran.

Der erste Nachweis von Juden in Deutschland stammt aus der Römerzeit und ist 1.700 Jahre alt. Die damaligen Juden in Köln dürften darüber aber kaum begeistert gewesen sein.

Juden während der römischen Geschichte in Deutschland

Im Jahr 321 verfügte der römische Kaiser Konstantin, dass sie von da an von städtischen Verwaltungsämtern nicht mehr befreit sein sollten. Eine Zwickmühle, denn: Mit diesen Ämtern verbunden war die Pflicht, dem Kaiser als Gott zu opfern – für fromme Juden war das verbotener Götzendienst.

Nachweis von jüdischem Leben in Deutschland spricht für dessen Bedeutung

Die Urkunde ist nicht nur der erste Nachweis von Juden in Deutschland, sondern auch außerhalb des Mittelmeerraums. Sie ist Anlass für das Themenjahr „1.700Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.

Sie spricht dafür, dass Juden damals schon eine gewisse Bedeutung für das öffentliche Leben hatten. „Es muss Juden gegeben haben, die so angesehen und finanzkräftig waren, um diese Ämter auszufüllen“, erklärt die Frankfurter Judaistin Elisabeth Hollender.

Andernfalls hätte das Edikt keinen Sinn ergeben. Denn für ein Amt im römischen Imperium bekam man kein Geld – im Gegenteil, so eine Tätigkeit war teuer.

Juden im frühen Mittelalter in Deutschland

Im Mittelalter hießen die Juden Aschkenasim in Deutschland. Sie waren in Bischofs- und Reichsstädten gern gesehene Bewohner. Oberhirten wie die Könige verliehen ihnen Handelsprivilegien.

Wirtschaftlich und kulturell brachten Juden das mittelalterliche Europa ungemein voran. Viele von ihnen arbeiteten im 11. Jahrhundert als Fernhändler und hatten Kontakte in den Orient.

Juden als Schrittmacher für Städteentwicklung

Auch für die Entwicklung der Städte waren Juden Schrittmacher: Vieles von dem, was sie als Händler erwirtschafteten, blieb in den Stadtsäckeln hängen und machte diese zu wohlhabenden Orten. Das Judentum erlebte eine Blütezeit.

In den Shum-Städten – so werden Speyer, Worms und Mainz nach ihren hebräischen Anfangsbuchstaben zusammengefasst – entstanden ab dem Jahr 1.000 wichtige Gelehrtenschulen. 

Juden im Hochmittelalter Opfer von Gewalt

Aber ab dem Hochmittelalter brachen härtere Zeiten für die Juden an, sie wurden Opfer systematischer Gewalt:

  • Fanatisierte Kreuzfahrer plünderten erstmals 1096 jüdische Gemeinden im Rheingebiet, ermordeten deren Mitglieder oder zwangen sie zur Taufe. Die Bischöfe versuchten zwar, die Juden ihrer Städte zu schützen. In Mainz kamen die Verfolgten im Bischofspalast unter, in Köln in befestigten Orten im Umland. Aber der Mob stürmte Burgen und Paläste.
  • Gerüchte über angeblichen Hostienfrevel oder Ritualmorde machten ab dem 13. Jahrhundert die Runde. Nachdem es 200 Jahre lang relativ ruhig geblieben war, gab es nun wieder Pogrome.
  • Richtig schlimm wurde die Gewalt mit dem Ausbruch der Pest ab 1347. Juden sollten Brunnen vergiftet und so die Seuche ausgelöst haben. Diesmal beteiligte sich auch die Obrigkeit an den Verfolgungen.
    „Das scheint eine Ventilfunktion gehabt zu haben“, ordnet die Judaistin Hollender ein. „Irgendjemand musste eben an der Pandemie schuld sein, und die Juden waren greifbar.“ Rund 300 der knapp 360 jüdischen Gemeinden in Deutschland erloschen damals.

Christen während der Reformation intolerant gegenüber Juden

Die Reformation brachte den Juden zunächst keine große Erleichterung, weil die Protestanten kaum toleranter als die Katholiken waren. Martin Luther war zunächst davon ausgegangen, dass seine Lehre so überzeugend war, dass alle Juden zu ihr konvertieren würden.

Als das nicht eintrat, wetterte er gegen das Judentum und warnte die Obrigkeiten, dass sie den Zorn Gottes auf sich ziehen würden, wenn sie Juden in ihren Territorien duldeten.

Einschränkungen durch Judenordnungen während der Frühen Neuzeit

Städte und Fürsten vertrieben während der Frühen Neuzeit die Juden zwar meist nicht, erließen aber Judenordnungen, die mit Einschränkungen verbunden waren.

Die wichtigste Judenordnung war die preußische im Jahr 1750: Sie privilegierte einerseits die jüdische Oberschicht, indem sie unter Schutz stellte. Andere Juden erhielten Schutz gegen Bezahlung. Den Ärmsten blieb so wenig anderes übrig, als das Land zu verlassen und ihr Leben als Hausierer oder Bettler zu fristen.

Das 19. Jahrhundert brachte Juden in Deutschland Bürgerrechte

Ein Emanzipationsschub kam Anfang des 19. Jahrhunderts von außen: Als Napoleon halb Europa eroberte, brachte er Juden volle Bürgerrechte. Aber nachdem er 1815 besiegt war, kassierten die Fürsten und Städte diese Rechte wieder zum Großteil ein.

Erst mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurden Juden überall in Deutschland zu vollständig gleichberechtigten Bürgern.

Erstarken des Antisemitismus in der Moderne

In der Moderne wuchs der Antisemitismus erneut:

  • Deutschlands Wirtschaft industrialisierte sich schnell, das produzierte viele Verlierer unter Bauern und Arbeitern. Auf der Suche nach Schuldigen kam man schnell auf die Juden, die man mit Kapitalismus und Liberalismus identifizierte. Der Historiker Heinrich von Treitschke brachte das 1878 auf die Formel „Die Juden sind unser Unglück“.
  • Die Nazis trieben ab 1933 den Antisemitismus auf die Spitze. Zunächst drängten sie Juden aus dem öffentlichen Leben: Sie boykottierten ihre Geschäfte, drängten sie aus den Universitäten, verhängten Berufsverbote und denunzierten sie als Agenten des Bolschwismus. Mit den Rassegesetzen 1935 nahmen sie ihnen bürgerliche Rechte.
  • Mit den Novemberpogromen 1938 wurden die Nazis endgültig gewalttätig, als organisierte Mobs Synagogen und Geschäfte anzündeten. Im Zweiten Weltkrieg begann ab 1941 die Phase der Vernichtung im industriellen Tötungssystem der Konzentrationslager. Rund 160 000 deutsche Juden starben während der Schoah.

Schuld am Kapitalismus und am Kommunismus?

Für die Rechten sind die Juden schuld am Kommunismus, für die Linken am Kapitalismus. Falls dir das absurd vorkommen sollte: goldener Gedanke! Genau das ist es.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten nur noch etwa 23.000 Juden in Deutschland, die meisten im Westen. Die meisten Juden der DDR verließen das Land vor dem Mauerbau, unter anderem deswegen, weil der Spätstalinismus in ihnen Spione für den „US-Imperialismus“ sah.

Wieder mehr antisemitische Straftaten im 21. Jahrhundert

Heute leben wieder rund 95.000 Juden in Deutschland. Die Judenfeindlichkeit nimmt laut einem aktuellen Lagebild des Verfassungsschutzes zu und ist besonders unter Rechtsextremisten vertreten. Die Zahl der antisemitischen Gewalttaten hat sich zwischen 2017 und 2019 nahezu verdoppelt.