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Ursachen des Lachens

Kitzeln ist wie ein Scheinangriff

herzhaft lachen
Unsplash/Jamie Brown

Kinder lachen wesentlich häufiger als Erwachsene, weil die Welt für sie noch voller Überraschungen ist. Was Frauen und Männer tun können, um dennoch Grund zum Lachen zu haben, erklärt der Lachforscher Rainer Stollmann im Interview mit Renate Haller.

Herr Stollmann, warum lachen wir?

Rainer Stollmann
privat

Rainer Stollmann: Weil wir gekitzelt werden.

Das Kitzeln an der Körperhaut ist der Ursprung des Lachens. Das haben unsere Vorfahren vor acht Millionen Jahren – also die Vorfahren von Menschenaffen und Menschen – bei der Fellpflege erfunden. Es war für lange Zeit der einzige Grund fürs Lachen, und bei den Tieren ist das auch heute noch so.

Aber die Menschen haben Geist und können deshalb das Kitzeln und das Lachen von ihrem Körper lösen. Alles, worüber man sonst lacht wie Witze, Komik, Clowns kitzelt an geistigen, seelischen, moralischen oder sonstigen Häuten.

Haut ist hier eine Metapher für Zusammenhang. Die Haut ist der erste Zusammenhang, in dem wir wohnen. Dazu kommen dann andere, familiäre, moralische, politische Zusammenhänge. Alle diese Häute haben ihre schwachen Stellen, an denen gekitzelt werden kann.

Kinder lachen ständig, Erwachsene viel weniger. Warum ist das so?

Rainer Stollmann: Das liegt daran, dass für Kinder die Welt neu ist und dass sie permanent etwas Überraschendes sehen, was sie nicht kennen. Das Kitzeln ist wie ein Scheinangriff, insofern ist es eine Überraschung: Was macht meine Mutter da?

In jedem Lachen, in jedem Witz, in jeder Pointe steckt etwas Überraschendes, auch in dem, was der Clown macht.

Rainer Stollmann

Der Kulturwissenschaftler Rainer Stollmann von der Uni Bremen hat 1995 über die „Natur und Kultur des Lachens“ habilitiert. 

Manche Menschen lachen nie, sie leiden unter Gelotophobie. Was genau bedeutet das?

Rainer Stollmann: Das ist eine im Altertum schon bekannte Beeinträchtigung, von einer Krankheit würde ich nicht sprechen. Ich glaube, es ist im Wesentlichen eine Angst vor dem Lachen, vor dem Kontrollverlust, denn man verliert beim Lachen tatsächlich die Kontrolle über den Körper.

Kann ich mir vornehmen mehr zu lachen, es quasi lernen?

Rainer Stollmann: Ich glaube schon, dass das geht. Der einfachste Weg ist, sich mit Menschen zu umgeben, die lustiger sind als man selbst.

Wenn man etwa Komödien im Kino sieht, dann sind die immer lustiger, als wenn man sie zu Hause sieht. Denn das Lachen der anderen steckt an, man will dann diese Lustquelle auch genießen.

Anstecken ist hier noch einmal etwas anderes als das Kitzeln. Es hängt damit zusammen, dass der Mensch ein empathisches Wesen ist und sich in andere einfühlen kann. Das zeigt sich auch, wenn man sich von der Traurigkeit eines anderen beeinflussen lässt.

Aber man spricht nur beim Lachen von Ansteckung. Das hängt wohl damit zusammen, dass der Mensch, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche sagt, ein ewiger Lustsucher ist. Und da ist Lachen nun mal attraktiver als Traurigkeit.