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Trost finden

Mit dem Hund ins Hospiz

Mischlingshündin Lynia liegt auf dem Boden und blickt in die Kamera
privat/Paul Röder
Lynia hat alles im Blick.

Hunde spielen eine wichtige Rolle in der Hospizarbeit und in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Pfarrerin Annette Röder hat das erlebt.

Es war nicht abzusehen, dass Annette Röder mal auf den Hund kommt. Ganz im Gegenteil - sie hatte Angst vor ihnen. Ein Hund hatte sie in ihrer Konfirmandenzeit angegriffen. Das saß tief.

Doch der jüngste Sohn Paul, jetzt 18, ließ nicht locker: Er wollte einen Hund. Erst recht, nachdem seine beiden älteren Geschwister ausgezogen waren. Er verhandelte ein Jahr mit seinen Eltern – schließlich erfolgreich.

Hündin blickt in die Kamera
privat/Paul Röder
Lynia ist eine aufmerksame Hündin.

Welpe sorgt für das Seelenheil

Juni 2020, der erste Lockdown. Welpe Lynia zieht bei den Röders ein. Rückblickend ein Segen, denn die junge Mischlingshündin sorgt für das Seelenheil in der Familie, vor allem für Pauls. Fast ein Jahr muss er im Homeschooling verbringen, er hat keine analogen Kontakte mehr zu Freunden. Dann erkrankt er selbst an Corona, was seinen Bewegungsradius komplett einschränkt. Lynia gibt seinem Tag Struktur, Paul bewegt sich, übernimmt Verantwortung, streichelt den Hund, hat körperlichen Kontakt.

Im Hospiz: Hündin Lynia bringt Bewegung in die Sache

Im Hospiz sind die Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten auch stark eingeschränkt. Annette Röder aber hat Zugang, als Seelsorgerin und Teil des Teams. Als Lynia fast ein Jahr alt ist, im März 2021, nimmt sie sie zum ersten Mal mit ins Hospiz. Röder macht sehr unterschiedliche Erfahrungen mit ihrer Hospizhündin. Eines aber ist ihnen allen gemeinsam: sie bringen etwas in Bewegung, was bisher so nicht möglich war.

Ihr Hundemädchen bringt Leben ins Zimmer.

Eine ältere Frau sutzt auf dem Stuhl, neben ihr die Hündin, die sie anblickt.
privat/Paul Röder
Lynia betreut eine ältere Dame im Hospiz.

„Bei einer Frau, die sehr religiös geprägt war, mit der ich schon viele Gespräche geführt habe, gebetet und gesungen, die vieles kontrollieren wollte, unter der Last und der Schwere des Nicht-Loslassenkönnens oft schwermütig war, kam Fröhlichkeit und Leichtigkeit ins Zimmer“, erzählt sie.

Eine Angehörige schreibt ihr nach mehreren Besuchen: „Meine Mutter freut sich immer sehr über Ihren Besuch, Ihr Hundemädchen bringt Leben ins Zimmer. Man sieht es meiner Mutter an, sie wirkt viel weniger schwach und elend, als sie tatsächlich ist, aber es ist eine wunderschöne Erinnerung.“ Als die Dame stirbt, nimmt die Familie ein Bild mit Hund ins Abschiedsbuch.

Pfarrerin darf kommen - wenn sie den Hund mitbringt

Eine andere Dame lehnt es ab, besucht zu werden. Doch als die Pfarrerin mit ihrem Hund im Hospizgarten läuft, sitzt sie auf ihrer Terrasse und ruft die beiden zu sich. Sie streichelt Lynia und beginnt, wie nebenbei, von ihrem Leben zu erzählen. „Sie können jeden Tag kommen -  wenn sie den Hund mitbringen“, sagt sie zum Abschied.

Therapiehunde verfolgen selbst kein Ziel

Noch eine Begegnung, aber ganz anderer Art. Ein relativ junger Mann, im Dienstleistungsbereich tätig, ist immer viel gelaufen. Nun sitzt er krankheitsbedingt im Rollstuhl. Es fällt ihm schwer, Hilfe anzunehmen.

Pfarrerin Annette Röder im Portrait
privat/Paul Röder

Als Annette Röder mit der Hündin kommt, übernimmt er das Kommando, freundlich und bestimmt. Er entscheidet über Leckerlis, die es bei ihm nur gibt, wenn Lynia etwas „leistet“. Nach einiger Zeit legt sich das Tier zu seinen Füßen und schläft ein. Es folgte ein seelsorgerliches Gespräch. „Der Gast wirkte aufrechter, als an den anderen Tagen“, schildert Röder das Ergebnis.

Tiere im Hospiz erspüren die Situation, wie sie ist

Die Tiere verfolgen kein Therapieziel, weder bewusst noch unbewusst, sie fordern nichts ein. „Erfolge“ geschehen, manchmal ganz unerwartet. Ein Therapiehund kann Kommunikation fördern oder ermöglichen und dabei helfen, dass sich der Mensch entspannt.

Hunde reagieren eher spontan. Nicht im bedrohlichen, unberechenbaren Sinn, sondern in der Form der Annäherung. Sie erspüren unterhalb der kognitiven, bewussten Ebene, was für diesen Menschen wichtig ist. Das Tier akzeptiert die Situation, wie sie ist, ohne ständiges Nachfragen und vor allen Dingen ohne Bewertung.

Hündin rennt - auf dem Foto ist die Schwebephase, bei der alle 4 Beine in der Luft sind.
privat/Paul Röder
Lynia hebt ab.

Hunde ordnen Gerüche anders ein

Für den Hund spielt es keine Rolle, ob ein Mensch Einschränkungen hat oder eine übelriechende Wunde den Geruch des Raumes bestimmt. Obwohl Hunde besser riechen können als Menschen, ordnen sie Gerüche anders ein.

Streicheln erfüllt das Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt. Insgesamt verschafft die Anwesenheit des Hundes im Hospiz eine entspannte und beruhigende Atmosphäre und kann Trost spenden. Das Tier kann aber nicht nur trösten, es kann auch bei der späteren Trauerarbeit unterstützen. In Anwesenheit eines Hundes fällt es manchen leichter zu weinen.

Hunde sind Eisbrecher und Brückenbauer, wirken vertrauensfördernd, beruhigend, angstreduzierend und hellen die Stimmung auf. Studien zeigen auf, dass die Werte von Herzfrequenz und Blutdruck heruntergehen.

Selbst bloßes Liegen im Flur ist anstrengend

Auch die Therapeutin profitiert. Beispielsweise zeigt der Hund durch Platzwechsel oder Abwenden schneller eine Veränderung der Stimmung an, als es durch Beobachtung oder Gespräch erkennbar ist.

Hündin blickt aufmerksam in die Kamera
privat/Paul Röder
„Was hast du gesagt?“

Neben all den positiven Auswirkungen der Arbeit mit dem Tier ist es wichtig, es auch zu schützen. Es ist eine anstrengende Arbeit für den Hund, ausreichend Ruhe- und Auslaufzeiten müssen sein. Selbst bloßes Liegen im Flur eines Hospizes ist anstrengend, weil das Tier kontinuierlich aufmerksam beobachtet, Stimmungen und Schwingungen wahrnimmt. Zudem schauen Menschen den Hund an, sprechen mit ihm, fassen ihn an. Das ist Arbeit für den Vierbeiner. Er hat feine Antennen und muss verarbeiten, was er erlebt.

Am Rest des Tages sind die Hunde einfach Hunde

Das alles weiß Annette Röder seit ihrem Praktikum bei „Emma hilft“. Die Flörsheimer Palliativ-Schwester Ivana Seger und ihre Therapiehunde begleiten Sterbende und ihre Angehörigen in Hospizen und auf Palliativstationen. Emma hieß ihr erster Therapiehund, deshalb der Name. Das Therapiehunde-Team arbeitet in der Regel täglich zwei Stunden mit drei Besuchen, „am Rest des Tages sind die Hunde einfach Hunde“, sagt Ivana Seger.

Im Hospiz darf er aufs Bett, zu Hause nicht.

„In meinem Praktikum habe ich erlebt, dass der Hund durch eine ganz leichte körperliche Veränderung angezeigt hat, dass es jetzt für ihn genug sei“, erklärt Annette Röder. Der Hund könne auch sehr genau unterscheiden zwischen Dienst und Freizeit. „Im Hospiz darf er aufs Bett mit entsprechender Vorbereitung und Unterlage, zu Hause nicht“, macht sie deutlich.

Was ist ein Therapiehund?

Es gibt verschiedene Arbeitsformen mit Tieren:

Unter tiergestützter Aktivitätversteht man Besuchsdienste in Alten- und Pflegeeinrichtungen, meist von Ehrenamtlichen. Weder Tier noch Mensch haben eine spezifische Ausbildung, ein Ziel ist nicht definiert.

Um tiergestützte Therapie handelt es sich, wenndie Tierhalterin, der Tierhaltereine medizinische oder therapeutische Ausbildung hat. Der Mensch hat eine berufsbegleitende Ausbildung, die Arbeit ist zielgerichtet.

Die tiergestützte Seelsorge bewegt sich nach Annette Röders Einschätzung zwischen tiergestützter Aktivität und tiergestützter Therapie. Als Seelsorgerin besucht sie eine Einrichtung in ihrer Profession als ausgebildete Seelsorgerin. Als Pfarrerin löst sie bei ihrem Gegenüber Zuordnungen zum spirituell/religiösen Bereich aus. Ihre Arbeit dort hat weder einen therapeutischen noch einen medizinischen Schwerpunkt.

Pfarrerin mit Therapiehund: Auch ohne Hund unterwegs

Fazit: In der selbstverständlichen, unaufgeregten Anwesenheit des Hundes kann eine seelsorgerliche Begegnung möglich werden. Der Hund kann als Eisbrecher, Trösterin, als Verstärkung der Selbstwirksamkeit dienen, durch bloße Anwesenheit.

Bei Annette Röder wird es dennoch die Ausnahme bleiben. „In der Regel werde ich weiterhin alleine unterwegs sein, auch weil ich die zeitliche Anwesenheit mit Rücksicht auf den Hund sonst stark reduzieren müsste. Das würde bei meiner geteilten Stellenkonstruktion schwierig“, resümiert sie. Und eines muss sie doch noch loswerden: „Lynia ist ein Segen. Ich bin meinem Sohn sehr dankbar, dass er sich so vehement dafür eingesetzt hat, dass wir einen Hund bekommen.“