Gesellschaft

Aufgewachsen im Weltkrieg: Angst vor den Bomben

Rosemarie Bärmann zeigt ein altes Foto
Florian Riesterer
Rosemarie Bärmann hat trotz des Kriegs auch schöne Erinnerungen an ihre Kindheit.

Ein lebensgefährliches Verstecken! 80 Jahre nach Kriegsende weiß Rosemarie Bärmann noch genau, welche Angst sie als kleines Mädchen hatte, als die Bomben fielen.

Noch bis vor wenigen Jahren habe sie diesen einen Traum gehabt, immer wieder, sagt Rosemarie Bärmann: Die Bomber kommen, sie flüchtet in den unterirdischen Bergwerksstollen - und bleibt im Eingang stecken. Die Ängste, die sie als Kind im Zweiten Weltkrieg ausstehen musste, haben lange Zeit Spuren hinterlassen.

Rosemarie Bärmann als Kind
Florian Riesterer
Nach dem Kriegsbeginn 1939 verbringt Bärmann einige Zeit auf einem Bauernhof in Franken.

Die Evakuierung 1939 ist ihre früheste Erinnerung an den Krieg. Ihre pfälzische Heimatgemeinde Contwig, nur wenige Kilometer entfernt von Frankreich, liegt in der „Roten Zone“. Die Bevölkerung muss fort. Da ist der Vater bereits im Krieg.

Auf einem Lastwagen geht es mit der Mutter nach Kaiserslautern – von dort auf einen Bauernhof nach Franken. Die erste Autofahrt ist für die Fünfjährige ein echtes Erlebnis. „In der Fremde“, wie es damals heißt, kommt Rosemarie an Ostern 1940 in die Schule – wenige Monate vor ihrem sechsten Geburtstag.

Der Vater ist Kriegsgefangener

Rosemarie Bärmann und ihre Mutter
Florian Riesterer
Rosemarie Bärmann mit ihrer Mutter

Dass der Krieg näherkommt, spürt sie erstmals 1944. Mit Tante und Schwester ist sie damals im knapp 40 Kilometer entfernten Queidersbach bei Verwandten einquartiert. Die Mutter bleibt in Contwig, kommt Weihnachten auf Besuch. „Ich wollte unbedingt mit ihr zurück“, erzählt Rosemarie Bärmann.

Unterwegs greifen Jagdbomber das Lastauto an, auf dem die beiden sitzen. „Wir haben uns in den Straßengraben geworfen“, erzählt Rosemarie Bärmann.

Dann treffen sie auf einen Gefangenenkonvoi. „Warum so ein Aufheben machen um die Gefangenen, weg mit denen“, hört sie einen der zwei SA-Männer sagen. „Mein Mann ist auch Kriegsgefangener und ich möchte, dass er nach Hause kommt“, entgegnet Rosemarie Bärmanns Mutter. Und da ist sie wieder, die Angst. So bittet die Zehnjährige ihre Mutter inständig:

Sei ruhig, die schießen uns tot!

Schutz vor den Bomben: Im Stollen ausgeharrt

Rosemarie Bärmann zeichnet den Stollen auf Papier
Florian Riesterer
Rosemarie Bärmann kann sich noch an jedes Detail des Stollens erinnern.

In Contwig erleben Rosemarie Bärmann, ihre kleine Schwester, Mutter und Tante das Frühjahr 1945. Flieger halten sie in Atem. „Wir mussten fast jede Nacht raus, bei Hochalarm, Voralarm“, sagt Rosemarie Bärmann. Irgendwann verlegen sie das Schlafzimmer in die Waschküche im Keller. „Bis die Bomben fielen“, sagt Bärmann. „Dann sind wir in den Stollen.“

200 Meter entfernt ist ein alter Steinbruch. Rund 20 Personen fasst die kleine Kammer in dem L-förmigen Gang mit zwei Sitzbänken, vor dem Eingang liegen Stämme als Splitterschutz. Die Knie des Gegenübers berühren sich, die Kinder sitzen auf dem Schoß der Größeren. So auch am 15. März, dem Tag als die Bomben auf Contwig fallen.

Luftangriff auf Contwig

Als Bärmanns dreijährige Schwester anfängt zu weinen, rennt Rosemarie Bärmann nach Hause, doch die Mutter ist nicht zu Hause. Sie hört bereits die Flugzeuge. Eine Nachbarin weist ihr den Weg.

„Bring uns den Schnuller, meine Schwester heult“, bittet Rosemarie Bärmann die Mutter. Die kommt kurz darauf zum Stollen – Essen und eine Aluminiumflasche Kaffee in den Händen. Da fallen die ersten Bomben. „Ich hab geweint, weil Sand und Steine von der Decke auf mein Brot gefallen sind“, erinnert sich Bärmann.

Rosemarie Bärmann interessiert sich für die Geschichte ihres Orts
Florian Riesterer
Rosemarie Bärmann erinnert sich an die Zerstörungen nach dem Krieg.

Opfer und Überlebende

Schließlich ist es still. „Als wir raus sind, haben wir erstmals nichts gesehen vor lauter Staub“, sagt Bärmann. „Unser Haus wurde getroffen“, rufen Nachbarskinder, die entgegenkommen.

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Auf den Ruinen des Hauses sitzt ein Junge mit einer Kiste, darauf hat er Bruchsteine getürmt. „Da hab’ ich meine Mutter drin, ich zeig’ sie aber niemandem“, sagt er. Die Tote ist die Frau, die Bärmann vor wenigen Stunden noch den Weg gewiesen hatte.

Ein Kissen als Friedensfahne

Fünf Tage harrt die Familie mit den anderen im Stollen aus, immer wieder hören sie Artillerie. Dann kommen die Amerikaner. „Ich hab mich so gefreut. Weil ich wusste, jetzt kann ich nachts schlafen“, sagt Rosemarie Bärmann.

Die Mutter bindet ein Kissenbezug an einen Besenstiel, wagt sich als erste heraus. „Ich hab’ Angst gehabt, die schießen sie tot. Ich wusste nicht, was die weiße Farbe bedeutet.“ Als alle mit erhobenen Händen weggebracht werden, ist sich das Kind fast sicher. „Die entführen uns nach Amerika.“

Rosemarie Bärmann mit ihren Eltern
Florian Riesterer
Rosemarie Bärmann und ihre Eltern.

80 Jahre später ist wieder Krieg in Europa. Und Bärmanns Angst ist zurück - mit den Bildern, die über den Fernsehbildschirm flimmern. „Wenn ich sehe, was im Gazastreifen oder in der Ukraine passiert. Das ist furchtbar“, sagt sie. Besonderes Mitgefühl zeigt sie für die „Kinder, die darunter leiden, alte Menschen, unschuldige Leute. Ich kann es nicht verstehen, dass ein Mann Herr ist über Leben und Tod.“

Lieber Herrgott, du bist doch barmherzig. Warum lässt du das zu?

Um den Jahreswechsel 1946/ 1947 kehrt Rosemarie Bärmanns Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Über das Erlebte spricht er wenig, er ist vom Krieg gezeichnet, krank. Doch seine Tochter will doch eines von ihm wissen: „Papa, hast du jemand totgeschossen?“ „Nein“, entgegnet er. „Weißt du das genau?“, fragt sie. „Ja“, sagt er.