„Der Schock sitzt weiterhin tief“, sagt Selma Yilmaz-Ilkhan, Vorsitzende des Ausländerbeirats Hanau. In der Stadt herrsche immer noch Trauer über das Massaker vor einem Jahr. Menschen legen weiterhin frische Blumen vor Bildern der Ermordeten am Brüder-Grimm-Denkmal auf dem Marktplatz ab.
Ruht in Frieden
— Selma Yilmaz-Ilkhan (@SlmaYilkhan) April 19, 2020
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Am Abend des 19. Februars 2020 erschoss der Hanauer Tobias R. neun Bürger aus Einwandererfamilien, seine Mutter und sich selbst, weitere Opfer überlebten verletzt. Ein Gutachten diagnostizierte bei dem Täter paranoide Schizophrenie, auf die eine Ideologie mit rassistischen Elementen aufgesetzt gewesen sei. Einen Prozess gibt es nicht, da der Täter tot ist.
Jedoch quälten Zweifel am Polizeieinsatz die Hinterbliebenen mit der Frage, ob ihre Angehörigen vielleicht hätten gerettet werden können, berichtet Yilmaz-Ilkhan.
Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) räumte ein, dass die Polizeistation am Tatabend aus technischen Gründen tatsächlich nur eine begrenzte Anzahl von Notrufen entgegennehmen konnte.
Doch unabhängig davon seien Polizisten nach Eingang der ersten Notrufe innerhalb von wenigen Minuten an den beiden Tatorten gewesen. Die Staatsanwaltschaft Hanau prüft den Vorgang seit dem 28. Januar.
Gepostet von Initiative 19. Februar Hanau am Mittwoch, 1. April 2020
Weitere drängende Fragen betreffen die Waffenerlaubnis für den Schützen, der zuvor Verschwörungs- und Mordfantasien im Internet veröffentlicht hatte, und den verschlossenen Notausgang am ersten Tatort, zu dem die Staatsanwaltschaft Hanau seit November ermittelt.
Die Behörden seien den Pannen erst auf Journalistenrecherchen und Anzeigen der Hinterbliebenen hin nachgegangen, kritisiert Hagen Kopp, Gründungsmitglied der „Initiative 19. Februar Hanau“. Die Angehörigen der Opfer erwarteten Konsequenzen.
Für die Hinterbliebenen sind die Folgen des Anschlags auch in materieller Hinsicht einschneidend. „Sie sind nicht mehr in der Lage zu arbeiten“, berichtet Yilmaz-Ilkhan.
Die Familien lebten nun von Opferhilfe- und Sozialleistungen. Das Bundesamt für Justiz hat bisher 1,2 Millionen Euro an Opferhilfe für 60 Antragsteller gezahlt. Doch das Geld hilft nur für eine bestimmte Frist.
Überall, in allen Medien finden sich gerade die Stimmen der Angehörigen und Überlebenden von #Hanau.
— Initiative 19. Februar Hanau (@19FebruarHanau) February 13, 2021
Eine ausführliche Sammlung aller Artikel findet ihr laufend aktualisiert auf https://t.co/h0DOcKRmer#HanauIstÜberallpic.twitter.com/GInfgKX5tq
Unmittelbar nach der Tat fanden sich Tausende zu Gedenkkundgebungen in der Stadt zusammen. Am 4. März kamen der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Trauerfeier.
Doch kurz darauf wurde der Corona-Lockdown verhängt. Therapeuten stellten Behandlungen ein, die Stadt untersagte Versammlungen.
Die vergessen uns
Traumatisierte hätten den Eindruck gewonnen: „Die vergessen uns“, sagt der Stadtverordnete Erkan. „Wir sind noch in einem eingefrorenen Zustand.“
Trotzdem gründeten Hanauer als Reaktion auf das Massaker Initiativen. Das „Institut für Toleranz und Zivilcourage“ und die „Initiative 19. Februar Hanau“ betreuten Hinterbliebene und organisierten monatliche Gedenktreffen.
In dem Video „Wir klagen an! Ein Jahr nach dem rassistischen Terroranschlag“ 🔽 haben Angehörige, Überlebende und die Initiative 19. Februar von ihren Erlebnissen berichtet und die Ergebnisse eigener Recherchen verlesen. Hier kommen sie zu dem Schluss, dass sich Behörden und Politiker bis heute nicht entschlossen genug gegen Rassismus stellen.
Die Stadt hat Gedenktafeln an den Tatorten angebracht. Ein Wettbewerb für die Gestaltung eines Denkmals hat Ende Dezember 118 Einsendungen ergeben. Die Stadt gründet ein „Zentrum für Demokratie und Vielfalt“, finanziert auch mit Bundes- und Landesmitteln.
Es hat nach Angaben seines Leiters Andreas Jäger in provisorischen Räumen die Arbeit aufgenommen.
Die muslimischen und die christlichen Religionsvertreter haben als Zeichen der Solidarität zu einer Türschild-Kampagne „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ aufgerufen. Die Wende-Türschilder sollen ein sichtbares Zeichen für Vielfalt, Respekt und ein friedvolles Zusammenleben und gegen Intoleranz, Ausgrenzung, Gewalt und Extremismus setzen.
Zusammen sind wir "Offen für Vielfalt - Geschlossen gegen Ausgrenzung"! #zusammeninvielfaltglauben #hanau #offenfuervielfalt
Gepostet von Kirchenkreis Hanau am Montag, 8. Februar 2021
Wir brauchen Euch!
— Stadt Hanau (@brueder_grimm) February 12, 2021
Und was? Fotos von Euren Türen mit diesen Schildern.
Für? Das "Digitale Denkmal" zum 19.2.2020.
Wohin mit den Bildern? PN an uns!
Alle Infos: https://t.co/KDRUL6y6N7
Seid dabei, setzt mit uns ein Statement, denn #hanaustehtzusammen. pic.twitter.com/ThxVXkKPyv
Zum Jahrestag am 19. Februar sieht die Stadt aufgrund der Corona-Pandemie nur eine Gedenkveranstaltung im kleinen Rahmen vor. Erwartet werden im Congress-Park unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Volker Bouffier und der Fußballweltmeister und Ehrenbürger Rudi Völler.
Für die Zukunft hält Mediator Erkan fest: „Alle, die in Hanau wohnen, leben oder arbeiten, wir können den Anschlag nicht vergessen.“