Die Taliban stehen erneut ganz oben in der Staatsruine Afghanistan. Nachdem sie schon länger weite Teile des Lands am Hindukusch abseits der Provinzhauptstädte kontrolliert hatten, haben sie in einem nur einwöchigen Siegeszug den Rest des Landes einschließlich der Hauptstadt Kabul erobert.
Nach fast 20 Jahren Krieg mit rund 200.000 Toten ist in dem zentralasiatischen Land wieder alles wie zuvor.
Die entscheidenden Fehler des Westens in Afghanistan sind nach dem Worten der Politikwissenschaftlerin Caroline Fehl von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung schon vor längerer Zeit passiert. Schon zu Beginn der Militärintervention habe US-Präsident George W. Bush zu wenige eigene Soldaten eingesetzt, sagt sie: „Die Sorge war, als imperiale Besatzungsmacht wahrgenommen zu werden.“
Stattdessen hätten die westlichen Länder auf regionale Verbündete gesetzt. Das allerdings seien zum Teil jene Warlords gewesen, die das Land in dem vorangegangenen Bürgerkrieg zugrunde gerichtet hätten und daher von der Bevölkerung abgelehnt worden seien.
Als man diesen Fehler erkannt habe, hätten sich die Taliban längst wieder regruppiert gehabt. Zuletzt habe US-Präsident Barack Obama ein Umsteuern versucht und mehr Soldaten entsandt, erläuterte die Wissenschaftlerin. Das habe er aber bald wieder rückgängig gemacht, weil er sich der Zustimmung dafür in der US-Bevölkerung und in der Demokratischen Partei nicht sicher gewesen sei.
„Ab da wussten die Taliban, dass sie eigentlich nur noch warten mussten“, sagt Fehl. Den letzten großen Fehler habe Obamas Nachfolger Donald Trump begangen, als er den „vollständigen Abzug ohne Gegenleistungen“ der USA aus Afghanistan ankündigte.
Überall in #Kabul haben sie Polizeistationen und Behörden besetzt - die #Taliban haben die Macht in #Afghanistan erschreckend schnell und erschreckend leicht übernehmen können. Wer sind diese Kämpfer? Wir haben 5 Fakten für Euch. pic.twitter.com/jhB6xZ2us4
— Weltspiegel (@Weltspiegel_ARD) August 17, 2021
Die afghanischen Streitkräfte sind nach den Worten des Co-Direktors der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig, ursprünglich gut ausgerüstet gewesen. Sie hätten aber keine Kampfmoral mehr gehabt und daher den Taliban viele Gebiete und Städte kampflos überlassen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die afghanischen Soldaten hätten sich vom plötzlichen und bedingungslosen Abzug der internationalen Truppen im Stich gelassen gefühlt. Außerdem sei es nicht gelungen, eine Berufsarmee nach westlichem Vorbild zu formen. Denn viele Menschen seien aus Mangel an Alternativen und wegen der eigentlich vergleichsweise guten Bezahlung zu Armee und Polizei gegangen. Nach Ablauf ihrer Verträge hätten die meisten Soldaten diese nicht verlängert, erläutert Ruttig.
Im Grund genommen musste alle drei Jahre eine neue Armee aufgebaut werden.
Thomas Ruttig
Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, hat eine kritische Auseinandersetzung mit dem Militäreinsatz in Afghanistan gefordert. Zunächst müsse aber gefährdeten Menschen schnell, konkret und unbürokratisch geholfen werden, sagte Brahms dem epd.
JUST IN: "The Crew made the decision to go" — Inside RCH 871, which saved 640 from the Taliban ... from @TaraCopp and me https://t.co/r4YvGqJZ4bpic.twitter.com/CI1mAmqjHT
— Marcus Weisgerber (@MarcusReports) August 16, 2021
Er sei bestürzt über die schnelle Übernahme der Macht durch die Taliban, sagte er. Dadurch seien viele Menschenleben gefährdet. „Ich denke besonders an die Ortskräfte, die mit der Bundeswehr und anderen Organisationen zusammengearbeitet haben und die nun um ihr Leben fürchten, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wurde“, sagte Brahms.
Es gehe aber auch um Menschenrechtsaktivistinnen und andere gefährdete Gruppen. „Ihnen die Flucht zu ermöglichen und sie aufzunehmen, ist jetzt oberstes Gebot der Nächstenliebe.“
Evakuierungs-Mission der #Bundeswehr: Nachdem gestern abend nur sieben Passagiere (fünf DEU, ein NL und eine AFG Ortskraft) mit dem ersten A400M aus #Kabul ausgeflogen wurden, hagelt es (nicht nur hier) viel Kritik. Ein paar Details dazu im Thread: pic.twitter.com/J0nQ4V6O7T
— Matthias Gebauer (@gebauerspon) August 17, 2021
Die Lage bleibt angespannt und die Situation ändert sich stündlich. Die Kirchen beten für die Menschen 🔽