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Afghanistan

Die Fehler des Westens reichen weit zurück

Mann mit Turban mit RPG-7 auf der Schulter, im Hintergrund ein Panzer
gettyimages/Zeferli

Fehler sind dem Westen schon zu Beginn der Militärintervention in Afghanistan passiert. Als man sie erkannte, war es zu spät, und neue kamen hinzu.

Die Taliban stehen erneut ganz oben in der Staatsruine Afghanistan. Nachdem sie schon länger weite Teile des Lands am Hindukusch abseits der Provinzhauptstädte kontrolliert hatten, haben sie in einem nur einwöchigen Siegeszug den Rest des Landes einschließlich der Hauptstadt Kabul erobert.

Nach fast 20 Jahren Krieg mit rund 200.000 Toten ist in dem zentralasiatischen Land wieder alles wie zuvor.

Bush jr., Obama, Trump - alle haben Fehler begangen

Die entscheidenden Fehler des Westens in Afghanistan sind nach dem Worten der Politikwissenschaftlerin Caroline Fehl von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung schon vor längerer Zeit passiert. Schon zu Beginn der Militärintervention habe US-Präsident George W. Bush zu wenige eigene Soldaten eingesetzt, sagt sie: „Die Sorge war, als imperiale Besatzungsmacht wahrgenommen zu werden.“

Stattdessen hätten die westlichen Länder auf regionale Verbündete gesetzt. Das allerdings seien zum Teil jene Warlords gewesen, die das Land in dem vorangegangenen Bürgerkrieg zugrunde gerichtet hätten und daher von der Bevölkerung abgelehnt worden seien.

Taliban wussten, dass sie nur abwarten mussten

Als man diesen Fehler erkannt habe, hätten sich die Taliban längst wieder regruppiert gehabt. Zuletzt habe US-Präsident Barack Obama ein Umsteuern versucht und mehr Soldaten entsandt, erläuterte die Wissenschaftlerin. Das habe er aber bald wieder rückgängig gemacht, weil er sich der Zustimmung dafür in der US-Bevölkerung und in der Demokratischen Partei nicht sicher gewesen sei.

„Ab da wussten die Taliban, dass sie eigentlich nur noch warten mussten“, sagt Fehl. Den letzten großen Fehler habe Obamas Nachfolger Donald Trump begangen, als er den „vollständigen Abzug ohne Gegenleistungen“ der USA aus Afghanistan ankündigte.

Die Taliban

Erstmals traten die Taliban 1994 ins Licht der Öffentlichkeit, als sie in weite Teile Afghanistans eroberten. Das Land war damals zerrissen im Bürgerkrieg zwischen Mudjaheddin-Gruppen, die bis 1989 gegen die Sowjetunion Widerstand geleistet und sich anschließend gegenseitig bekämpft hatten.

Die Taliban gehören mehrheitlich dem Volk der Paschtunen an. Taliban heißt übersetzt „Studenten“. Der Name rührt daher, dass der pakistanische Militärgeheimdienst ISI die Mitglieder dieser Miliz unter afghanischen Flüchtlingen in pakistanischen Koranschulen heraus rekrutierte. Die Taliban entstanden somit als ein Werkzeug pakistanischer Außenpolitik, die sich Einfluss in Afghanistan sichern wollte.

1996 eroberten die Taliban Kabul und errichteten in fast ganz Afghanistan ein sogenanntes „Islamisches Emirat“ ein. Sie setzten reaktionäre Form des Islam durch und boten islamistischen Terroristen der Al-Qaida einen Rückzugsraum. Als die Al-Qaida am 11. September 2001 den Anschlag auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington beging, folgte eine Militärintervention der westlichen Staaten in Afghanistan. Die Taliban wurden von der Macht vertrieben, führten den Kampf aber als Guerillakrieg weiter.

Waffen des Westens auf Umwegen zu Taliban

Fehl gibt zu bedenken, dass ein Erfolg auch dann nicht sicher gewesen sei, wenn der Westen diese Fehler vermieden hätte. Faktoren jenseits der westlichen Strategiefehler hätten ebenso Einfluss gehabt, beispielsweise der Umstand, dass die Taliban in Pakistan einen weitesgehend sicheren Rückzugsraum gehabt hätten.

Fehl nennt außerdem die Korruption der afghanischen Regierung, die ein Funktionieren der staatlichen Funktionen sehr erschwert habe. So hätten beispielsweise Armeeeinheiten Hunger gelitten, so dass Soldaten ihre Waffen auf dem Schwarzmarkt verkauft hätten, um etwas zu essen zu haben. Diese Waffen seien auf Umwegen oft bei den Taliban gelandet.

„So hatten die Menschen in Afghanistan das Schlechteste aus zwei Welten“, erklärt die Forscherin: Sie seien weder vor den Taliban noch vor Luftangriffen sicher gewesen, und auch andere Grundbedürfnisse seien nicht gedeckt worden.

Keine funktionsfähige Berusfsarmee

Die afghanischen Streitkräfte sind nach den Worten des Co-Direktors der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig, ursprünglich gut ausgerüstet gewesen. Sie hätten aber keine Kampfmoral mehr gehabt und daher den Taliban viele Gebiete und Städte kampflos überlassen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die afghanischen Soldaten hätten sich vom plötzlichen und bedingungslosen Abzug der internationalen Truppen im Stich gelassen gefühlt. Außerdem sei es nicht gelungen, eine Berufsarmee nach westlichem Vorbild zu formen. Denn viele Menschen seien aus Mangel an Alternativen und wegen der eigentlich vergleichsweise guten Bezahlung zu Armee und Polizei gegangen. Nach Ablauf ihrer Verträge hätten die meisten Soldaten diese nicht verlängert, erläutert Ruttig.

Im Grund genommen musste alle drei Jahre eine neue Armee aufgebaut werden.

 

Thomas Ruttig

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, hat eine kritische Auseinandersetzung mit dem Militäreinsatz in Afghanistan gefordert. Zunächst müsse aber gefährdeten Menschen schnell, konkret und unbürokratisch geholfen werden, sagte Brahms dem epd.

Er sei bestürzt über die schnelle Übernahme der Macht durch die Taliban, sagte er. Dadurch seien viele Menschenleben gefährdet. „Ich denke besonders an die Ortskräfte, die mit der Bundeswehr und anderen Organisationen zusammengearbeitet haben und die nun um ihr Leben fürchten, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wurde“, sagte Brahms.

Es gehe aber auch um Menschenrechtsaktivistinnen und andere gefährdete Gruppen. „Ihnen die Flucht zu ermöglichen und sie aufzunehmen, ist jetzt oberstes Gebot der Nächstenliebe.“

Die Lage bleibt angespannt und die Situation ändert sich stündlich. Die Kirchen beten für die Menschen 🔽