Gesellschaft

Fluchtgeschichte: Was eine Familie aus dem Libanon erlebt hat

Mohammed und seine Mutter Ilham in ihrer Wohnung in Grünstadt.
Florian Riesterer
Mohammed und seine Mutter Ilham mit ihrer Katze Stella.

Eine wahre Fluchtgeschichte: Ilham floh mit drei Kindern über das Mittelmeer. In Deutschland kämpft sie für Sicherheit und Zukunft.

Wenn Ilham Khaskiyeh von ihrer Flucht erzählt, steigen ihr die Tränen in die Augen. Über eine Woche lang ist sie mit ihren drei Kindern Mohammed, Riham und Jihan auf dem offenen Meer – ohne zu wissen, ob sie überhaupt ankommen. In ihrer Heimat hat sich die alleinerziehende Mutter nicht mehr sicher gefühlt.

Das Schiff war für 95 Menschen ausgelegt. 195 waren letztlich an Bord“, beschreibt Ilham Khaskiyeh die beengten Verhältnisse. Alle haben lediglich ein bisschen Kleidung und die Papiere dabei. 55 Frauen und Kinder quetschen sich in einen Raum, der nur halb so groß wie ihr jetziges Wohnzimmer ist. „Es war eine Katastrophe“, sagt Sohn Mohammed.

Flucht übers Mittelmeer: Kein Platz, kein Essen, keine Hoffnung

Mohamed, damals 15 Jahre alt, ist von seiner Familie getrennt. Als Mann muss er draußen bleiben. Der Seegang ist heftig, alle sind durchnässt. Die einzige Toilette gibt es unter Deck im Frauenbereich. „Es war so kalt, dass ich meine Hände und Füße nicht mehr gefühlt habe.“

Dann hat das Schiff einen Motorschaden, fährt deutlich langsamer als geplant. Die Angst nimmt zu, denn das Essen und Trinken ist neben dem Motor gelagert und jetzt mit Benzin verseucht.

Die letzten drei Tage haben wir nichts gegessen und getrunken.

Angekommen in Italien – eingesperrt und abgewiesen

Das Gefühl, als die italienische Wasserschutzpolizei am neunten Tag der Flucht das Boot aufgreift und in einen Hafen eskortiert, kann Ilham Khaskiyeh kaum in Worte fassen. „Ich hatte das Gefühl, als sei ich gestorben und habe noch einmal ein neues Leben bekommen.“

Die Familie ist gerettet. Und doch fühlt es sich nicht so an. Italienische Behördenmitarbeitende nehmen Fingerabdrücke und sperren die Ankommenden ein.

Es war wie im Gefängnis.

Sie müssen zusammen mit anderen Familien in Busse einsteigen, die zwei Camps für Flüchtlinge anfahren. Beide weisen sie ab. Nach 20 Stunden Fahrt heißt es: aussteigen, zu Fuß weitergehen. Gemeinsam mit anderen Familien erreichen sie ein Bergdorf. „Wir kamen in ein Haus, es gab keinen Schlüssel. In der Nacht habe ich mit meinen Kindern in einem Bett geschlafen. Ich hatte Angst“, sagt Ilhan Khaskiyeh.

Ilham Khaskiyeh und ihr Sohn Mohammed
Florian Riesterer
Ilham Khasykiyeh hofft für sich, Sohn Mohammed und ihre beiden anderen Kinder auf eine Zukunft in Deutschland.

Leben nach der Flucht: Kälte, Krankheit, kein Willkommen

Ihre jüngste Tochter Jihan hat tagelang Fieber. Alle sind krank wegen der durchnässten Kleidung. Am vierten Tag erst kommt eine Hilfsorganisation mit Essen. Medikamente? Gibt es nicht. „Sie sagten: Wir können nichts machen“, erinnert sich Mohammed. Auch Bettwäsche oder Ersatzkleidung gibt es nicht. In den Bergen ist es kalt. Doch eine Heizung ist nicht da. „Niemand hat uns geholfen. Ich hatte das Gefühl, sie schmeißen uns weg“, sagt Ilhan Khaskiyeh.

Rund zehn Tage harren sie imn Dorf aus. Essen und Trinken wird wieder knapp, die Erinnerungen an die Überfahrt auf dem Meer kommen hoch. Ilhan Khaskiyeh beschließt, sich auf eigene Faust in die Zivilisation durchzuschlagen. Mit Google Maps und ihren Englischkenntnissen kauf sie Zugtickets nach Mailand. Von dort reisen sie mit Bussen weiter nach Deutschland. Die italienischen Behörden halten sie nicht auf, scheinen froh über die Weiterreise.

Weg in die Freiheit: Ilhams Weg nach Deutschland

Heute lebt die Familie in Grünstadt in der Pfalz. Endlich hat Ilhan Khaskiyeh das Gefühl, am Ende ihrer Irrfahrt angekommen zu sein. „Ich fühle mich hier endlich sicher, habe keine Angst mehr um die Kinder“, sagt die 48-Jährige. Erstmals blickt sie in die Zukunft. „Ich will noch besser Deutsch lernen, einen Job finden“, sagt sie auf Englisch. In ihrer Heimat Libanon hat sie unter anderem für die Vereinten Nationen gearbeitet.

Integration nach der Flucht: Schule, Ausbildung, neue Träume

Alle drei Kinder sind in der Schule gut integriert. „Ich beginne im August eine Ausbildung als Elektriker“, sagt Mohammed. In seiner Freizeit kickt er als Verteidiger beim örtlichen Fußballverein. Riham will zur Polizei, Jihan - wie ihre Schwester auch auf dem Gymnasium - macht demnächst ein Praktikum als Tierärztin. „Eine Zukunft sehe ich in meinem Heimatland nicht“, sagt Mohammed.

Deutschland ist perfekt, hier habe ich Chancen.

Doch diese Zukunft ist brüchig. Schon vor zwei Jahren sollte die Familie nach Italien abgeschoben werden – in das Land, das nach der Dublin-Verordnung für den Asylantrag zuständig ist. Ein Schock für die Familie, die sich längst integriert hatte und in Italien traumatische Erfahrungen gemacht hat.

Ilham Khaskiyeh und ihr Sohn Mohammed essen.
Florian Riesterer
Erinnerungen an die Heimat: Ilham Khaskiyeh und ihr Sohn Mohammed mit libanesischen Speisen

Kirchenasyl rettet – Solidarität macht den Unterschied

Die katholische und evangelische Gemeinden sringen ein: Kirchenasyl in der evangelischen Kirchengemeinde Maxdorf. Die „Leininger Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit“ (LIGA) unterstützte. Zwei Monate und drei Tage harrte die Familie dort aus. Ilham Khaskiye nennt diese Zeit„special days for me“ und ihre Augen leuchten. „Jeden Tag kam jemand, sogar Klavierspielen konnte meiner Schwester“, erzählt Mohammed. Klassenkameraden organisieren eine große Solidaritätsaktion für die Geschwister.

Jetzt läuft ihr Asylantrag in Deutschland. Wie es ausgeht, wissen sie nicht. Das bedeutet Warten und Hoffen. „Ich schlafe jeden Abend mit der Angst ein, dass ich morgen nicht mehr in Deutschland bin“, sagt Mohammed. „Hoffentlich passiert das nicht.“