Gesellschaft

Was hilft jungen Menschen bei Einsamkeit?

Was hilft jungen Menschen bei Einsamkeit?
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Seit der Corona-Pandemie fühlen sich junge Menschen einsamer. Auch Marleen war lange einsam. Was ihr geholfen hat, liest du hier.

von Fynn Dresler

Wie eine Mauer, die sie von ihren Schulkameradinnen trennt, so beschreibt Marleen das Gefühl, das vor einem Jahr ihren Alltag bestimmte. In der Pause sitzt sie inmitten ihrer lachenden Mitschülerinnen und fühlt sich doch allein.

Zu dieser Zeit geht es Marleen nicht gut, sie ist damals 14 und hat mit psychischen Problemen zu kämpfen. In dieser Zeit wünscht sie sich von ihren Freundinnen, dass sie ihr zuhören und sie unterstützen. Doch die wenden sich ab und werfen ihr vor, sie würde sich ihre Krankheit nur ausdenken, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Zuhause scrollt Marleen durch Social Media und findet sich in Postings wieder, die von tiefer Einsamkeit sprechen. Danach fühlt sie sich noch schlechter und fragt sich, was ihre Freundinnen machen, jetzt, wo sie sich nicht mehr bei ihr melden. 

Wer krank ist, ist häufiger einsam

Die Hälfte der Menschen mit Depressionen fühlt sich einsam. Wem der Antrieb fehlt, um Dinge zu unternehmen, zieht sich sozial zurück.

Menschen mit psychischen Krankheiten sind daher oft sozial verunsichert und tun sich schwer, sich wieder mit anderen in Kontakt zu treten.

Bei chronischer Einsamkeit gibt es professionelle Hilfe, zum Beispiel in den psychologischen Beratungsstellen der EKHN und bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr unter 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222.

Junge Menschen sind zunehmend einsam

So wie Marleen fühlen sich immer mehr Jugendliche in Deutschland. Bettina Schilling ist Psychologin im Zentrum Seelsorge und Beratung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und berät junge Menschen, die sich einsam fühlen. Sie bestätigt, was auch Studien des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) feststellen: Seit der Corona-Pandemie fehlen immer mehr Jugendlichen und jungen Erwachsenen wirkliche Freundinnen und Freunde.

Während sich vor Corona laut dem BiB gerade mal 14 Prozent der 18-29 Jährigen einsam fühlten, waren 2021 fast die Hälfte einsam. Auch nach dem Ende der Pandemie 2023 waren es noch mehr als ein Drittel aller jungen Erwachsenen.

Junge Menschen haben sich damit in den vergangenen Jahren zu einer neuen Risikogruppe von Einsamkeit entwickelt. Denn als Sportvereine und Schulen geschlossen waren, trafen junge Menschen kaum noch auf andere Gleichaltrige. Dabei seien Gleichaltrige in diesem Lebensabschnitt die wichtigsten Bezugspersonen. Die Psychologin Schilling sieht darin eine Ursache, doch sie betont auch: Einsamkeit ist komplex, und das Gefühl kann ganz individuelle Gründe haben. 

Vom allein sein in die Einsamkeit

Marleen telefoniert während der Pandemie noch viel mit ihrer Freundin. Zeit alleine genießt sie, spielt Klarinette oder hört Taylor Swift und zieht daraus Energie. Erst mit ihrer Erkrankung ändert sich ihr Gefühl. Als sie merkt, dass es sie plötzlich anstrengt, alleine in ihrem Zimmer zu sitzen und sie sich nach ihren Freundinnen sehnt, beginnt sie, sich einsam zu fühlen. Sie beginnt online mit Fremden Kontakte zu knüpfen, doch vermeintliche Freunde melden sich nach ein paar Nachrichten nicht mehr. Zwar unterstützt ihre Familie Marleen in dieser Zeit, aber es fehlen Freunde, die sich anhören, was sie bedrückt.

Psychische Erkrankungen können einsam machen

Die Psychologin Bettina Schilling kennt das Phänomen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind oft verunsichert im Zwischenmenschlichen und rutschen so in die Einsamkeit. Sie ziehen sich zurück und verpassen immer mehr Austausch im Alltag. Gerade bei jungen Menschen sind diese Erfahrungen aber wichtig, denn es sind Momente des Lernens.

Im Miteinander setzen wir soziale Fähigkeiten voraus, die wir in früheren Interaktionen erlernt haben. Fehlen diese Erfahrungen, fällt es schwer, mit anderen Menschen umzugehen. Bettina Schilling spricht davon, dass Einsamkeit sich multipliziert - aus anfänglichen Momenten des Alleinseins kann so eine chronische Einsamkeit werden.

Zu ihr kommen oft Menschen, die psychische Probleme haben und zusätzlich vereinsamen. Menschen mit Depressionen beispielsweise, die keinen Antrieb spüren, das Haus zu verlassen und so Kontakt zu Freundinnen und Freunden verlieren. Dabei ist laut der Psychologin der erste Schritt aus der Einsamkeit, überhaupt zu erkennen, dass man sich einsam fühlt. Kontakte über Soziale Netzwerke können zwar ein Gefühl der Verbundenheit schaffen, so Schilling, doch echtes Miteinander und tiefe Freundschaften im Alltag können sie nicht ersetzen. 

Onlinekontakte können Reallife nicht ersetzen

Wer sich einsam fühlt, sucht sich vielleicht Kontakte übers Internet. Das kann helfen, doch reale Treffen mit Freund*innen ersetzt das nicht. Online geht viel verloren, beispielswiese Gesten oder Mimik. Um zu überprüfen, ob deine Handynutzung gesund ist, gibt es einen Selbsttest und Tipps bei ins-netz-gehen.de.

Raus aus der Einsamkeit durch die Gemeinde

Für Marleen beginnt der Weg aus der Einsamkeit mit dem Konfirmandenunterricht. In der Gemeinde musiziert sie im Jugendorchester und lernt im Chor neue Menschen kennen. Sie kommen ins Gespräch und freunden sich an. Auch wenn es ihr weiterhin manchmal schlecht geht, hat sie von nun an wieder Menschen, bei denen sie sich aufgehoben fühlt

Die Musik ist für Marleen in dieser Zeit Türöffner und Haltgeber. Die 15-Jährige singt, spielt Klarinette und Klavier. „Immer wenn ich Musik mache, dann fühle ich erfüllt und als würde wieder etwas zu mir gehören, was vorher nicht da war.”

Impulspost der EKHN

Weitere Infos, Erfahrungsberichte und Tipps zu Einsamkeit findest du auch in der Impulspost der EKHN zum Thema Einsamkeit.

Die Impulspost findest du auf der Themenseite der EKHN.

Hilfe bei Einsamkeit

Der erste Schritt, neue Kontakte zu knüpfen, ist oft besonders schwer, weiß Bettina Schilling von ihren Klient*innen. In Sportvereinen, der Musikschule oder auch der Gemeinde kann zwar jede*r etwas Passendes für sich finden, aber raus zu gehen und die Menschen anzusprechen, könne sich wie eine unüberwindbare Hürde anfühlen.

Da kann es helfen, vielleicht erst mit Unterstützung durch Bekannte zu den Veranstaltungen zu gehen. Die Psychologin rät einsamen Menschen, zu versuchen, sich anderen anzuvertrauen und dabei bei der Person anzufangen, bei der es am leichtesten fällt. Denn mit jedem Gespräch fällt es leichter und die Chancen, durch den Kontakt unterstützt zu werden, steigen. 

Und für Menschen, die eine starke chronische Einsamkeit empfinden, sei es wichtig, Hilfe anzunehmen. Schilling verweist auf die psychologischen Beratungsstellen der EKHN und Onlineangebote wie den Krisenchat oder die Jugendberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung

Gegen Einsamkeit: Kontake knüpfen

Heute spricht Marleen gelassen über ihre Einsamkeit. Sie hat Hilfe angenommen und ist froh über ihre neuen Freundinnen und Freunde. „Es hat mir geholfen, auch in der Schule neue Leute zu finden, die ich vorher gar nicht so auf dem Schirm hatte, aber das sind jetzt die richtigen Menschen für mich.” Die Zeit, in der sie sich wie eingemauert fühlte, ist vorbei.