Gesellschaft

Der Opa ein Massenmörder: Enkel von Auschwitz-Kommandant Höß

Kai Uwe Höß zu Gast im Podcast Hoffnungsmensch
Evangelisches Medienhaus Stuttgart

Kai Uwe Höss ist der Enkel des einstigen Auschwitz-Kommandanten. Erst in der Schule hat er von seiner Familiengeschichte erfahren.

16. April 1947: Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz wird an diesem Tag ein Mann erhängt, der hunderttausende Menschenleben auf dem Gewissen hat: Rudolf Höß, Ex-Kommandant von Auschwitz, und Großvater von Kai Uwe Höss.

Im Podcast „Hoffnungsmensch“ hat Kai erzählt, wie er von den Gräueltaten seines Opas erfahren hat und wie er heute mit der Last seiner Familiengeschichte umgeht.

Als Kai in der 5. oder 6. Klasse ist, hört er im Geschichtsunterricht zum ersten Mal von Rudolf Höß. Er erfährt, wie sein Großvater als Kommandant des größten Konzentrations- und Vernichtungslagers der Nazis, zum Manager des Massenmordes wurde. Über eine Million Menschen wurden in Auschwitz getötet, die meisten davon Juden.

Nazi-Vergangenheit im Schulunterricht 

Zu Hause fragt Kai seine Mutter, ob sie etwas mit „diesem Höß“ zu tun haben. Es ist der Moment, in dem er zum ersten Mal vom schrecklichen Erbe der Familie erfährt. „Ich habe mich sehr geschämt. Wer will einen Menschen wie Rudolf Höß als Großvater? Ich wollte, dass das niemand herausfindet.

Heute ist Kai Anfang 60. Er kannte seinen Großvater nicht persönlich, ist Jahre nach dessen Hinrichtung zur Welt gekommen. Doch mit seinem Vater Hans-Jürgen hat er über seinen Großvater gesprochen. Hans-Jürgen, Jahrgang 1937, ist in der Kommandanten-Villa direkt am KZ Auschwitz aufgewachsen. Er ist das zweitjüngste der fünf Kinder von Rudolf und Hedwig Höß.

Kai Uwe Höss sitzt am Tisch und hält eine Bibel in der Hand. Daneben liegt ein Buch mit dem englischen Titel „Commandant of Auschwitz Rudolf Hoess“ .
epd-bild/Matthias Pankau
2003 gründete Kai Uwe Höss zusammen mit anderen Christen die freikirchliche „Bible Church Stuttgart - Bibelgemeinde Stuttgart“.

Kai erinnert sich an die Gespräche mit seinem Vater. „Seine Feststellung war, dass mein Opa ein ganz normaler Papa war, der viel mit den Kindern gemacht hat. Ein liebenswerter Familienmensch.“

Gegenüber seinem Sohn kann sich Hans-Jürgen Höss nicht erinnern an die Ascheflocken und den starken Geruch, die regelmäßig von den Krematorien des Vernichtungslagers über die Dienstvilla zogen. „Er hat es scheinbar nicht gemerkt.“

In der Villa ist ein Tunnel, der direkt in die Kommandantur des Lagers führt. Geht Rudolf Höß hindurch, wird aus dem liebevollen Familienvater ein gewissenhafter Bürokrat der Barbarei.

Er perfektioniert das System der Vernichtung. Die Menschen, die neu im Lager ankommen, werden direkt bei der Ankunft selektiert. Auf Alte, Frauen und Kinder wartet der Tod in der Gaskammer.

Mein Großvater hat die Menschenverachtung in Abläufe gefasst.

„Ein paar Stunden später waren diese Menschen Rauch. Ich habe Alpträume, wenn ich mir überlege, dass man dort steht und das alles umsetzt“, sagt Kai Uwe Höss.

Filme über Rudolf Höß

„Der Schatten des Kommandanten“

Die US-amerikanische Doku von 2024 begleitet Kai Uwe Höss und seinen 87-jährigen Vater Hans-Jürgen nach Auschwitz. Sie besuchen die ehemalige Dienstvilla und treffen die 99-jährige KZ-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch.

„The Zone of Interest“

Der mit zwei Oscars ausgezeichnete Kinofilm liefert eine grauenhaft nüchterne Alltagsschilderung des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seiner Familie.

Kai hat Auschwitz und die ehemalige Dienstvilla seines Großvaters besucht. Er ist auch Holocaust-Überlebenden begegnet. Es macht ihn fassungslos, wie Menschen in Deutschland 80 Jahre nach Kriegsende die Ermordung von rund 6 Millionen Juden relativieren oder sogar leugnen können. Auch deshalb geht er an Schulen und spricht darüber, was Ideologien aus Menschen machen können.

„Ideologie verändert Herzen“, ist er sich sicher. Er fragt: „Wie kann man sich über einen anderen Menschen stellen und sagen: Der muss weg, ich habe das Recht, ihn zu vernichten, weil er nicht dieselbe Hautfarbe oder nicht dieselbe Religion hat?“ In der deutschen Geschichte sei deutlich geworden, „was passiert, wenn politischer oder religiöser Fanatismus zu Taten“ werden.

Wenn Kai an Schulen ist, liest er auch Auszüge aus den Aufzeichnungen seines Großvaters vor. Dort beschreibt Rudolf Höß zum Beispiel, wie er einer jungen jüdischen Frau von hinten in den Kopf schießt. „Da laufen den jungen Menschen die Tränen übers Gesicht. Das muss man erst mal verarbeiten.“

Auch wenn Kai heute oft über die grausamen Taten seines Großvaters spricht, bewegt es ihn doch jedes Mal aufs Neue: „Ich bin kein Softie, ich war beim Militär, aber da kommen mir die Tränen.“

Das ist wider die Menschlichkeit. Und Menschlichkeit ist das, was am Ende des Tages zählt.

Nach einer missglückten Operation wandte Kai sich dem christlichen Glauben zu. Für ihn sind Vergebung und Versöhnung zentrale Themen. Er erinnert sich an eine Situation, wo das plötzlich ganz praktisch wurde. Er sollte bei einer Veranstaltung für US-Soldaten eine kurze Predigt halten und von seiner Geschichte erzählen. Nach dem Vortrag läuft einer der Soldaten schnurstracks auf ihn zu. „Der war gefühlt 2,30 Meter, ein Bär. Ich dachte: Haut er mich jetzt um?“ Doch es kommt anders. Der Hühne nimmt Kai in den Arm, zieht ihn zu sich heran und flüstert ihm etwas ins Ohr: „Hey brother, I love you. Meine ganze Familie wurde in Auschwitz ermordet. Ich vergebe dir.“

Es berührt Kai noch heute. „In solchen Momenten merkst du: Wir sind doch alle Menschen. Wir haben alle ein Herz.“ Er will sich weiter für Menschlichkeit einsetzen und seinen Teil dazu beitragen, dass so etwas wie vor 80 Jahren nie wieder passiert.