Jüdisches Leben

Judenretter aus Hessen (vor und nach der Nazizeit)

Collage von Fritz Bauer, Oskar Schindler und Ernst Leitz II
Siegfried Träger, Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main / Bundesarchiv Koblenz / Ernst Leitz Stiftung
Sie setzten sich für Jüdinnen und Juden in Hessen ein: Fritz Bauer, Oskar Schindler und Ernst Leitz II

Diese Hessen retteten in den 1930er und -40er Jahren Jüdinnen und Juden vor den Nationalsozialisten

von Selina Groß

Der unvergessliche Lebensretter 1.200 verfolgter Juden. Diese Inschrift würdigt die letzte Ruhestätte Oskar Schindlers auf dem Franziskaner Friedhof in Jerusalem. Um Schindler ranken sich unzählige Geschichten, die wohl größte hat Steven Spielberg 1993 verfilmt. Doch was nur wenige wissen: In Frankfurt hat Schindler seinen Lebensabend verbracht.

Auch in Hessen wurden Jüdinnen und Juden während der Nazizeit verfolgt, vertrieben und ermordet. Nach den Zahlen der Bundeszentrale für politische Bildung fällt die Zahl der jüdischen Bevölkerung in allein Frankfurt zwischen 1933 und 1939 von 26.158 auf 14.191.

„Der Leica-Schindler“ aus Wetzlar

Schwarz-Weiß-Foto von einem älteren Mann, mit Fliege und Jackett
Ernst Leitz Stiftung
Unternehmer Ernst Leitz II

Schon zu Anfang der politischen Machtergreifung der Nationalsozialisten nutzt der Wetzlarer Unternehmer Ernst Leitz II seine Spielräume, um Jüdinnen und Juden einen Arbeitsplatz zu bieten oder sie als Geschäftspartner zu unterstützen. In den Chroniken des Vereins „Wetzlar erinnert“ heißt es, dass Leitz II auch politischen Widerstand geleistet hat.

Demnach engagiert er sich in der linksliberalen DDP und dem sogenannten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Letzteres war eine Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik.

Leitz II ermöglicht in den 1930er Jahren 51 Jüdinnen und Juden die Flucht vor den Nazis in die USA und schützt mindestens 23 weitere vor Verfolgung und Deportation. Dazu fälscht er immer wieder Papiere und besticht Nazi-Offizielle.

Der Verein dokumentiert, dass Ernst Leitz II den Status seiner Firma „Leica“ für sein Vorhaben ausgenutzt hat. Die Produktion von Kleinbildkameras und diverser Optiken gilt damals als kriegswichtiges Material. Durch dieses Schlupfloch kann Leitz II Jüdinnen und Juden schützen, indem er sie bei sich arbeiten lässt.

Leitz II überlebt den Krieg trotzt hoher persönlichen Risiken und stirbt 1956 in Gießen. Er wird 2007 posthum mit dem Preis "Courage to Care" der amerikanischen Anti-Diskrimination-League ausgezeichnet.

Seine Tochter Elsie Kühn-Leitz betätigt sich nach dem Vorbild ihres Vaters ebenfalls als sogenannte „Judenhelferin“. Sie hilft einer Jüdin aus Wetzlar bei der Flucht.

Als ihre Aktivitäten öffentlich werden, muss sie zur Gestapo. Sie wird befragt und in Gewahrsam genommen. Der Grund: „übertriebene Humanität“. Die Einweisung in ein Konzentrationslager kann ihr Vater zwar abwenden, dennoch muss sie in Haft. Elsie Kühn-Leitz sitzt ihre drei monatige Strafe im Frankfurter Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße ab und kommt am 28. November 1943 wieder frei.

Oskar Schindler: „Gerechter unter den Völkern“

Oskar Schindler vor seinem Baum in der „Allee der Gerechten“ in Yad Vashem
USHMM

Erst nach seinem Tod wird Oskar Schindler zum gefeierten Helden. Er beginnt skrupellos: 1939 profitiert Schindler wie andere deutsche Unternehmer von unterjochten polnischen Arbeitskräften in seiner Emaille-Fabrik. Das Werk nahe Krakaus stellt zunächst Feldgeschirr für die Wehrmacht her und nimmt auch Munition in die Produktion auf.

Auf dem 45.000 Quadratmeter großen Fabrikgelände arbeiten 1939 fast 800 Männer und Frauen. Unter ihnen 370 Jüdinnen und Juden aus dem Krakauer Ghetto. Nach der Besetzung der Stadt hatten die Deutschen dieses eingerichtet.

Im Jahr 1943 manifestiert sich mehr und mehr, was Schindler von anderen Kriegsgewinnern unterscheiden wird: die menschenwürdige Behandlung seiner Arbeiter - insbesondere der jüdischen.

Nach Auflösung des Krakauer Ghettos und dem Bau des Konzentrationslagers Krakau-Płaszów pendeln die 1.200 Arbeitskräfte zwischen dem Lager und Schindlers Betrieb. Mit dem Argument der Vereinfachung der Arbeitsorganisation erreicht Schindler die Errichtung eines eigenen Lagers auf seinem Fabrikgelände. Außerdem besticht er NS-Verantwortliche.

 In seinem eigenen Lager bringt er auch Jüdinnen und Juden unter, die in anliegenden Betrieben arbeiten. 1943 erhält Schindler den Räumungsbefehl für seine Krakauer Fabrik. Die Rüstungsproduktion soll nach Brünnlitz (heute: Brnìnec, Tschechien) verlagert werden. Schindler finanziert vollständig:

  • Den Aufbau der neuen Fabrik und des angeschlossenen Lagers
  • Den Unterhalt der Zwangsarbeiter

Nach Angaben der internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashen, rettet er dadurch zusammen mit seiner Frau Emilie über 1.300 Jüdinnen und Juden vor dem Tod.

Nach dem Ende der Nazi-Zeit: „Der Rächer“ 

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit Zigarre
Fotograf: Siegfried Träger, Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main

1930 wird Fritz Bauer nach seinem Studium der Rechts- und Volkswirtschaftslehre mit nur 26 Jahren Amtsrichter. Bauer war ebenfalls Teil des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und gerät so ins Visier der Nazis. 1933 wird er als Konsequenz aus seinem Amt entlassen und aus politischen Gründen für einige Monate im Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb inhaftiert.

Bauer flüchtete 1936 nach Dänemark. Von dort aus dann einige Jahre später nach Schweden, wo er den Krieg überlebte.

1949 kehrt Fritz Bauer nach Deutschland zurück. Der Aufbau eines demokratischen Justizwesens und die NS-Verbrechen vor Gericht zu bringen seien seine Ziele gewesen, so schreibt es die gleichnamige Stiftung. Zunächst als Landgerichtsdirektor am Oberlandesgericht in Braunschweig ist er ab 1950 als Generalstaatsanwalt tätig.

Nur sechs Jahre später beruft ihn der damalige hessische Ministerpräsident Georg August Zinn in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts und holt ihn somit nach Frankfurt.

Eine Position, in der er Schlagzeilen machen wird: Bauer macht einstige NS-Funktionären den Prozess. Diese stehen im Verdacht, schwere Verbrechen begangen zu haben.

Kennst du noch weitere Menschen, die sich in Hessen während der NS-Zeit für die Jüdinnen und Juden eingesetzt haben?

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Sein wohl größter Erfolg als „Nazi-Jäger“ gelingt ihm mit Adolf Eichmann. Im Kampf um Gerechtigkeit kann er dem israelischen Geheimdienst Mossad den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien geben.

Eichmann hatte zur NS-Zeit die Todestransporte in die Vernichtungslager organisiert. Der Nazi wurde 1961 in Jerusalem vor Gericht gestellt . Auf Fritz Bauer ist außerdem der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 zurückzuführen.

Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung gilt diese Gerichtsverhandlung als eine der größten in Nachkriegs-Deutschland und ist zu Prozessbeginn am 20. Dezember 1963 das wichtigste Verfahren gegen NS-Verbrecher. Die Strafen der Mörder enttäuschten Bauer und die deutsche Öffentlichkeit jedoch. Viele der Haftstrafen galten als zu milde. Dennoch prägte der Prozess die Debatte über den Umgang Deutschlands mit der Nazi-Vergangenheit und brach jahrzehntelanges Schweigen.

Gerechtigkeit ist es, was diese Personen unabhängig voneinander verbindet. Auch an seinem 50. Todestag gilt Oskar Schindlers unvergleichliches Beispiel für Zivilcourage. Aber auch das Schaffen dieser anderen Retter aus Hessen ist unvergessen.