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Weihnachten in der Bahnhofsmission

Heiligabend am Hauptbahnhof

Weihnachten 2022 am Frankfurter Bahnhof
eöa/Silke Brüll
Weihnachten 2022 am Frankfurter Bahnhof

In der Frankfurter Bahnhofsmission kümmern sich Helferinnen und Helfer um Reisende und Bedürftige. Auch an Weihnachten.

Heiligabend, 12.30 Uhr. Mitten im Reisetrubel erklingt im Frankfurter Hauptbahnhof „Oh du fröhliche“. In der Bahnhofshalle vor den Gleisen wird Gottesdienst gefeiert. Gut 100 bis 200 Leute kommen jedes Jahr. Unter ihnen sind Reisende, die in Frankfurt umsteigen und während ihrer Wartezeit dazustoßen. Für andere, zum Beispiel für obdachlose Menschen, ist der Gottesdienstbesuch am Bahnhof ein festes Ritual.

Die Leute kommen zu uns, weil sie sonst nicht wissen, wo sie an Weihnachten hin sollen.

„Die Leute kommen zu uns, weil sie sonst nicht wissen, wo sie an Weihnachten hin sollen. Manche reisen sogar aus Limburg oder Fulda an“, erzählt Leif Murawski, Mitarbeiter der Frankfurter Bahnhofsmission.

Seit 32 Jahren arbeitet der 53-Jährige als Sozialhelfer in der Frankfurter Bahnhofsmission. Angefangen hat er als Zivildienstleistender, war danach viele Jahre ehrenamtlich aktiv. Heute ist er einer von neun hauptamtlichen Mitarbeitenden. 30 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer engagieren sich ebenfalls dort.

Aufwärmen und alkoholfreie Getränke in der Bahnhofsmission

Leif Muraswski kümmert sich um die Anliegen von Reisenden und Bedürftigen.
Constantin Lummitsch
Leif Muraswski kümmert sich um die Anliegen von Reisenden und Bedürftigen.

Während der Schicht von Murawski geht es trubelig zu. Im Aufenthaltsbereich der beheizten Räume trinken obdachlose Menschen Kaffee. Ein Mann im Rollstuhl wärmt sich auf, zwei Frauen sitzen in dicken Anoraks an einem Tisch und warten auf ihre Weiterfahrt.

Für die einen kauft Murawski Zugfahrkarten, für andere organisiert er Umstiegshilfen. Er verteilt alkoholfreie Getränke, Kleidung und Schlafsäcke. Bei Bedarf vermittelt er Hilfesuchende weiter: Etwa an Tageseinrichtungen für Obdachlose, an Ämter und Behörden, medizinische Dienste, Drogenberatungsstellen oder den Drogennotdienst. Ein Sicherheitsdienst sorgt dafür, dass alkoholisierte oder aggressive Menschen draußen bleiben, notfalls gibt es Hausverbote.

Stichwort: Bahnhofsmission

Bahnhofsmissionen sind Einrichtungen, die gemeinsam von der Diakonie und der Caritas betrieben werden. Du findest sie an größeren Bahnhöfen, etwa in Frankfurt, Gießen, Kassel oder Bad Hersfeld. Die Bahnhofsmission steht allen offen, die Hilfe benötigen – unabhängig von Herkunft oder der Religion. Geöffnet ist sie rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.  

Bahnhofsmission: Bis zu 500 Leute pro Tag suchen Hilfe

Auch putzen gehört zu Murawskis Aufgaben. Denn Obdachlose können in der Bahnhofsmission duschen. Etwa 20 Mal am Tag nehmen Menschen dieses Angebot wahr. Nach jedem Duschen wird die Dusche geputzt und desinfiziert, teilweise macht Murawski das selbst. „Heute schon sechs Mal“, wie er erzählt.

Tom kommt fast jeden Tag in die Bahnhofsmission
Constantin Lummitsch
Tom kommt fast jeden Tag in die Bahnhofsmission

Mit bis zu 500 Leuten, die Hilfe benötigten, kommen Murawski und seine Kollegen pro Tag in Kontakt.

Einer der Besucher in der Bahnhofsmission ist Tom. Der 41-Jährige hat längere Zeit auf der Straße gelebt, inzwischen hat er einen kleinen Wohnwagen. „Ich komme fast jeden Tag hierher“ erzählt er. Es sind die Menschen und der Austausch, den er vor Ort sucht.

Schutzraum für Reisende und Opfer häuslicher Gewalt

In der Nacht verwandelt sich die Bahnhofsmission in einen Schutzraum für Reisende oder für Opfer von häuslicher Gewalt. Ein kleiner Raum ist als Notübernachtungszimmer mit einem Stockbett hergerichtet. Reicht das nicht aus, gibt es noch Luftmatratzen. „Letzte Nacht hat dort eine Frau aus Somalia mit ihren beiden kleinen Kindern übernachtet“, berichtet er.

Mitten in der Nacht habe sie vor der Tür gestanden, in Deutschland wolle sie Asyl beantragen. Der Kollege aus dem Nachtdienst habe einen Dolmetscher per Video zugeschaltet und der Frau erklärt, wie sie am nächsten Tag nach Gießen zur zentralen Erstaufnahmestelle für Asylsuchende kommt.

Wer mehrere Sprachen kann, ist bei der Bahnhofsmission klar im Vorteil. Murawski hat unter anderem Slawistik studiert und kann sich auf Russisch verständigen, etwa mit Flüchtlingen aus der Ukraine. Auch Polnisch spricht er, auf Tschechisch und Slowakisch improvisiert er. Gerade lernt er nebenbei ein bisschen Rumänisch. Er könne schon auf Rumänisch sagen:

Wir haben heute keine Socken.

Ob es morgen welche gibt, hänge davon ab, ob welche gespendet werden. Auch Fahrkarten werden oft von Spenden bezahlt, wenn das Sozialamt nicht einspringt.

Heiligabend: Ein schwieriger Tag für die Besucher

Nach dem Heiligabendgottesdienst im Bahnhof geht die Feier in den Räumen der Bahnhofsmission an Gleis 1 weiter. Bis zu 50 Leute kämen, so viel wie drinnen Platz ist, berichtet Murawski. Sie essen gespendete Plätzchen und anderes Weihnachtsgebäck, singen Weihnachtslieder und spielen Spiele. Weihnachten, hat Murawski erlebt, sei ein schwieriger Tag für die Besucher.

„Die Menschen auf der Straße werden daran erinnert, dass sie mal ein besseres Leben hatten“, sagt er. Die Stimmung vor Ort sei dennoch heiter. „Einmal hat eine obdachlose Person ihre Mundharmonika ausgepackt und die Weihnachtslieder darauf begleitet. Ein andermal hat eine ehrenamtliche Helferin ihr Akkordeon mitgebracht.“

Begegnungen zwischen Reisenden und Obdachlosen

Zu den obdachlosen Besuchern kommen Reisende dazu, die Heiligabend am Bahnhof feststecken. „Das passiert jedes Jahr. Entweder weil ein Zug oder Flug ausfällt, oder weil etwas anderes nicht geklappt hat“, sagt Murawski. „Sie feiern dann mit den anderen Besuchern mit“, hat er erlebt.

Rund um die Uhr geöffnet: Die Bahnhofsmission an Gleis 1.
Constantin Lummitsch
Rund um die Uhr geöffnet: Die Bahnhofsmission an Gleis 1.

Damit komme es zu Berührungspunkten und Begegnungen zwischen Menschen, die sonst nicht entstehen würden.

Da Murawski keine Kinder hat, macht es ihm nichts aus, auch über Weihnachten zu arbeiten. Heiligabend in der Bahnhofsmission sei für ihn „besonders schön“, erzählt er. „Ein bisschen ist das wie in der Geschichte von Maria und Josef, die keine Herberge gefunden haben.“