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Corona

Mainzer Repair Café sorgt für reine Luft in Klassenzimmern

Das Mainzer Repair Café installiert in Klassenräumen Lüftungsanlagen.
Karin Weber
Gisela Apitzsch erklärt die technisch einfachen Lüftungsanlagen des Mainzer Repair Cafés.

Gegen virusbelastete Luft in der Schule setzt das Repair Café in Mainz auf selbstgebaute Luftfilter. Allerdings mag nicht jeder die Dinger.

von Karin Weber

Im neuen neuen Schuljahr sitzen nicht nur Kinder der Mainzer Windmühlenschule unter durchsichtigen Hauben. 13 kreisrunde Ablufttrichter hat hier ein Klassenraum im ersten Obergeschoss. Angedockt an ein futuristisch wirkendes Rohrgeflecht an der Decke, saugen die Hauben verbrauchte Luft und somit Aerosole aus dem Zimmer.

Aerosole

Aerosole sind feinste Wassertröpfchen, die Menschen bei der Atmung ausstoßen. Für die Verbreitung des Corona-Virus spielen sie eine große Rolle, weil Viren an ihnen kleben können.

Seit mehr als fünf Jahren nutzt das Repair Café des Dekanats Mainz die Werkstatträume der Schule mit Förderschwerpunkt Lernen. Ein Mal monatlich reparieren hier rund 50 Ehrenamtliche kostenlos defekte Dinge. Mit der Aktion habe man der Schule etwas zurückgeben wollen, begründet Gisela Apitzsch das Engagement.

Reine Luft für sichere Schulen

Gisela Apitzsch, Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Dekanats Mainz, ist die Initiatorin des Projekts. Sie zeigt auf das Belüftungssystem an der Decke. „Die praxiserprobten Anlagen befördern auf geräuscharme Weise rund 90 Prozent der potenziell gefährlichen Aerosole aus den Klassenzimmern nach draußen“, sagt sie. „So tragen sie erheblich zur Sicherheit in den Schulen bei.“

Das Lüftungssystem im Einsatz

Das MPIC-Fensterlüftungssystem ist laut Max-Planck-Institut bereits in mehr als 450 Klassenräumen der Stadt Mainz installiert und in Betrieb. Nach aktuellen Schätzungen gibt es in über 1.000 Klassenräumen deutschlandweit solche Systeme.

Mehr Infos zu der Low-Cost-Abluftanlage

Eine Arbeitsgruppe des Repair Cafés hat die Anlage nach dem Modell des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) angebracht. Norbert Vogler, der ehemalige Werkstattleiter der Schule, koordinierte den Einbau des Bausatz-Lüftungssystems in den Schulräumen. 

Sicherheit für Schüler:innen in sechs Stunden

Nach etwa sechs Stunden Teamarbeit hat die ehrenamtliche Arbeitsgruppe einen Klassenraum eingerichtet, die Kosten hierfür beziffert Gisela Apitzsch auf rund 500 Euro, je nach Größe des Raumes.

Ihr ist es wichtig, zum Schutz vor Corona beizutragen. „Es gibt kaum ein Thema, das die Gesellschaft so stark umtreibt. Umso mehr wollte ich informieren, was es an fundierten Lösungen hierzu gibt.“

Preiswerte Luftfilter fürs Klassenzimmer
Karin Weber

Das Projekt des MPIC beruht auf einem einfachen physikalischen Prinzip: Schülerinnen und Schüler sitzen unter den kreisrunden Plastikschirmen. Warme, mit Viren belastete Atemluft steigt nach oben.

Wie bei Abzugshauben wird die verbrauchte Luft von einem Ventilator über Kunststoffschläuche und Rohre zu einem Hauptkanal und von dort nach draußen gezogen. Durch ein gekipptes Fenster strömt frische Luft nach, um den Luftaustausch aufrechtzuerhalten.

Nicht alle sind von den Anlagen überzeugt

„Es gibt unheimlich viele Auseinandersetzungen zum Thema Luftfilter in Klassenräumen“, sagt Apitzsch seufzend. „Manche denken, es sei eine Glaubensfrage, anstatt sich mit den Fakten zu beschäftigen“, fügt sie hinzu. „Das MPIC ist kein Bastelklub. Die Konstruktion wurde vielfach geprüft.“

Infrage stehen vor allem:

  • die Wirksamkeit der Anlagen,
  • ihre Sicherheit und
  • ihr Brandschutz.

Besonders kritisch ist der Fachverband Gebäude-Klima. Der Verein ist Lobbyist der deutschen Klima- und Lüftungswirtschaft und hat sich gegen den Einbau und Betrieb der „Abluftanlage für Klassenräume“ des MPIC ausgesprochen.

Auf der Homepage des Verbands äußern sich vier Professoren: „Bereits mit einer konsequenten Umsetzung einer regelmäßigen Stoßlüftung gemäß der Lüftungsregeln des Umweltbundesamtes können wahrscheinlich bessere Luftwechselraten bei höherem Komfort erreicht werden. Für eine sichere, komfortable und energieeffiziente Lüftung von Klassenräumen sollten marktübliche raumlufttechnische Anlagen verwendet werden.“

Lobbyisten befürworten teurere Lüftungsanlagen

Bei der Frage zur Wirksamkeit ist viel Geld im Spiel, weiß Apitzsch. Die Bundesregierung unterstützt laut einer Presseerklärung vom 14. Juli 2021 die Anschaffung mobiler Luftreiniger mit 200 Millionen Euro, um den Präsenzbetrieb in Schulen und Kitas möglichst sicherzustellen. Weiteres Geld kommt von den Ländern. Mobile Luftfilteranlagen schlagen mit etwa 3.000 Euro Anschaffungskosten je Gerät zu Buche - das Sechsfache der MPIC-Anlagen.

„Politisch geht es immer nur um die teuren Anlagen“, sagt Apitzsch. „Die bedürfen einer regelmäßigen Wartung, was hohe Folgekosten bedeutet.“ Sie ärgere sich über wiederholte falsche Behauptungen und Desinformationen zu diesem Thema. Dabei werde das einfache System von der Deutschen Aerosolgesellschaft unterstützt, auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft habe sich positiv geäußert, argumentiert die Referentin.

Über Haube und Absaugrohr wird die verbrauchte Luft zum Fenster transportiert.
Karin Weber
Über Haube und Absaugrohr wird die verbrauchte Luft zum Fenster transportiert.

Zudem habe das MPIC im Juli mobile Luftfiltergeräte mit der fest eingebauten Anlage in einer Studie verglichen. Dabei kam heraus, dass die selbst gebaute Variante die Aerosolkonzentration stark verringert und somit eine sehr hohe Sicherheit in die Klassenräume bringe.

Gutachten gibt Entwarnung

Kritiker monieren außerdem, die Trichter aus Kunststofffolie könnten auf die Kinder stürzen. Allerdings seien diese fest montiert, sagt Apitzsch. Auch die Behauptungen einer Brandgefahr seien absurd, sagt sie: „Wenn man sieht, wie viel brennbares Papier und Unterrichtsmaterial in Klassenräumen liegt.“

  • Die Wirksamkeit wurde belegt.
  • Die Anlage ist fest verbaut und damit sicher.
  • In Anbetracht der Unterrichtsmaterialien spielt Brandschutz keine Rolle.

Ein vom MPIC in Auftrag gegebenes Gutachten, das von der obersten Bauaufsichtsbehörde Rheinland-Pfalz akzeptiert wurde, sei zu dem Schluss gekommen, dass aus brandschutztechnischer Sicht keine Bedenken bestehen. Für besonders relevant hält Apitzsch, dass - anders als die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung - die Unfallkasse Rheinland-Pfalz laut Aussage des Leiters der Gebäudewirtschaft Mainz, hinter den Anlagen des MPIC steht.

Sie fragt sich, weshalb viele Schulen im Land noch immer nur Stoßlüften als Lösung anbieten. „Spätestens in den Sommerferien hätte man bundesweit alle Schulen mit dem günstigen, aber wirkungsvollen System ausstatten können, um die Infektionsgefahr zu reduzieren.“

Erklärfilm zeigt Montage der Anlage

Um anderen Interessierten zu zeigen, wie einfach es geht, konzipierte Apitzsch gemeinsam mit Norbert Vogel einen Erklärfilm. Schritt für Schritt verdeutlicht der Film des Repair Cafés, wie der kostensparende Anlagenbau funktioniert, um eventuell mit Viren belastete Luft abzuziehen. „Hand in Hand mit dem MPIC und der Gebäudewirtschaft Manz wurde das System immer weiter verfeinert“, sagt die Initiatorin.

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Noch immer ist das Thema aktuell: Nach wie vor landen viele Anfragen zur Umsetzung bei der Referentin. Das Projekt wurde außerdem für den SWR-Ehrenamtspreis des Landes vorgeschlagen.