Es dämmert bereits im Stuttgarter Leonhardsviertel. Ein Auto rollt langsam durch die schmale Gasse, einige Frauen stehen wartend am Straßenrand. Über ihnen blinken Leuchtreklamen mit den Schriftzügen „Sex Shop“, „Nachtclub“ und „Tabledance-Bar“. Nur ein Gebäude am Ende der Leonhardstraße bleibt von außen unbeleuchtet: Das Hoffnungshaus.
Der Geruch von Hackbraten und Nagellack strömt mir entgegen, als ich die schwere Eingangstüre aufdrücke. An kleinen Holztischen spielen Frauen „Mensch ärgere dich nicht“, lackieren sich die Nägel oder sind in Gespräche vertieft. Zwei ältere Damen zupfen auf Harfen Weihnachtslieder. Eine Physiotherapeutin bietet Handmassagen an.
Besonders kostbar sind für M. die Angebote rund um Weihnachten. „Ich habe früher jeden Tag gearbeitet, auch an Weihnachten. Ich hatte nie schöne Weihnachten“, flüstert sie mit glasigen Augen und drückt ihre Handtasche angespannt gegen die Brust. Eine andere Wahl habe sie damals nicht gehabt. „Wenn man überleben muss, macht man einfach weiter. Die Männer kommen immer – egal an welchem Tag. Viele feiern erst mit ihren Familien und gehen danach ins Bordell.“
Obwohl M. die Zeit in der Sexarbeit hinter sich gelassen hat, fällt ihr das Einschlafen noch immer schwer. Wenn nachts alles still wird, kommen die Erinnerungen zurück, manchmal auch Albträume. An solchen Abenden denkt sie an die schönen Momente im Hoffnungshaus oder an die bevorstehende Weihnachtsfeier. Nach einer kurzen Pause gesteht sie leise, dass viele ihrer früheren Kolleginnen Drogen nahmen, um Arbeit und Feiertage zu ertragen. „Aber hier kann ich endlich wieder glücklich sein und lachen“, sagt sie.
Hier fühle ich mich zu Hause.
M., ehemalige Prostituierte über das Hoffnungshaus