Soziales

Weihnachten im Rotlichtviertel

4 Frauen sitzen an einem Tisch. Sie unterhalten sich, spielen und trinken Kaffee.
Dominik Alexander
Im Hoffnungshaus finden Frauen im Rotlichtviertel Zuflucht und Unterstützung.

Während viele Familien an Weihnachten gemütlich im Wohnzimmer sitzen, herrscht im Rotlichtviertel Hochbetrieb. Zwei Frauen erzählen, wie das Fest der Liebe im Sexgewerbe aussieht.

Es dämmert bereits im Stuttgarter Leonhardsviertel. Ein Auto rollt langsam durch die schmale Gasse, einige Frauen stehen wartend am Straßenrand. Über ihnen blinken Leuchtreklamen mit den Schriftzügen „Sex Shop“, „Nachtclub“ und „Tabledance-Bar“. Nur ein Gebäude am Ende der Leonhardstraße bleibt von außen unbeleuchtet: Das Hoffnungshaus

Der Geruch von Hackbraten und Nagellack strömt mir entgegen, als ich die schwere Eingangstüre aufdrücke. An kleinen Holztischen spielen Frauen „Mensch ärgere dich nicht“, lackieren sich die Nägel oder sind in Gespräche vertieft. Zwei ältere Damen zupfen auf Harfen Weihnachtslieder. Eine Physiotherapeutin bietet Handmassagen an.

Das Hoffnungshaus

  • Jährlich werden rund 120 Frauen erreichen
  • Abends sind zwischen 12 und 18 Frauen im Café
  • Zwei Hauptamtliche und 15 Ehrenamtliche arbeiten im Hoffnungshaus
  • An drei Tagen der Woche hat das Café geöffnet
  • Einmal im Monat gibt es einen Brunch-Gottesdienst

„Das Hoffnungshaus ist ein Wohnzimmercafé für Prostituierte – für aktive und ehemalige“, erklärt die Leiterin Wilbirg Rossrucker mit österreichischem Akzent und verteilt währenddessen Schoko-Kirsch-Kuchen. Vor zehn Jahren hat sie das Projekt ins Leben gerufen. Seither ist das Hoffnungshaus ein fester Anker für Frauen in der Prostitution – ein Zufluchtsort hier im Rotlichtviertel

Als ich mich an einen der kleinen Tische setze, beginnt eine Frau mittleren Alters, Fragen zu stellen. Auf die Rückfrage nach ihrer Geschichte reagiert sie zurückhaltend. Sie hat Angst, erkannt zu werden, denn ihr Sohn weiß nicht, dass sie im Sexgewerbe tätig ist. Am Tisch gegenüber sitzt M. mit einer Tasse Tee und lächelt schüchtern. Sie erzählt mir gerne von sich. 

Die Geschichte von M.

Das Hoffnungshaus von außen
Wilbirg Rossrucker
Im Hoffnungshaus finden Frauen aus dem Stuttgarter Rotlichtviertel Hilfe und Unterstützung

Vor etwa fünf Jahren ist ihr der Ausstieg aus dem Sexgewerbe gelungen, seitdem besucht sie regelmäßig das Hoffnungshaus. Ursprünglich stammt M. aus Serbien, Familie hat sie in Deutschland keine. Als junge Frau war sie der Meinung, sie könnte durch Prostitution einfach und schnell Geld verdienen, heute denkt sie anders. „Als Prostituierte zu arbeiten, ist überhaupt nicht schön. Diese Branche ist ganz anders, als es in Filmen und Serien gezeigt wird. Ich möchte nie wieder zurück ins Bordell.“ 

Während sie ihre Tasse vorsichtig auf den Tisch stellt, sagt sie: „Ich habe in meinem Leben viel Schlimmes erlebt, aber an diesem Ort sind sehr nette und gute Menschen. Hier bekomme ich alles, was ich brauche.“ Das Hoffnungshaus hat ihr unter anderem bei der Wohnungssuche geholfen

Die Männer kommen immer

Besonders kostbar sind für M. die Angebote rund um Weihnachten. „Ich habe früher jeden Tag gearbeitet, auch an Weihnachten. Ich hatte nie schöne Weihnachten“, flüstert sie mit glasigen Augen und drückt ihre Handtasche angespannt gegen die Brust. Eine andere Wahl habe sie damals nicht gehabt. „Wenn man überleben muss, macht man einfach weiter. Die Männer kommen immer – egal an welchem Tag. Viele feiern erst mit ihren Familien und gehen danach ins Bordell.“

Obwohl M. die Zeit in der Sexarbeit hinter sich gelassen hat, fällt ihr das Einschlafen noch immer schwer. Wenn nachts alles still wird, kommen die Erinnerungen zurück, manchmal auch Albträume. An solchen Abenden denkt sie an die schönen Momente im Hoffnungshaus oder an die bevorstehende Weihnachtsfeier. Nach einer kurzen Pause gesteht sie leise, dass viele ihrer früheren Kolleginnen Drogen nahmen, um Arbeit und Feiertage zu ertragen. „Aber hier kann ich endlich wieder glücklich sein und lachen“, sagt sie. 

Hier fühle ich mich zu Hause.

M., ehemalige Prostituierte über das Hoffnungshaus

Was das Hoffnungshaus noch anbietet:

  • Hilfe beim Ausstieg aus der Prostitution

  • Traumatherapie

  • Ein Rückzugsort

  • Unterstützung bei der Wohnungssuche

  • Massagen und Maniküre 

  • Eine warme Mahlzeit 

  • Ausflüge beispielsweise in den Europapark

Wilbirg Rossrucker lädt anschließend zum Gespräch in ihr Büro ein, das sich neben einer kleinen Sofalounge des Cafés befindet. Wir sitzen zwischen Kisten voller Kleidung, Gutscheinen und Hygieneartikeln. „Die sind für die Geschenktüten, die die Frauen bei unserer Weihnachtsfeier bekommen“, erklärt die Leiterin. 

Wenn sie an die vergangenen Jahre zurückdenkt, strahlen die Frauen im Viertel vor allem während der Adventszeit eine tiefe Traurigkeit aus. „Die meisten Frauen, die auch an Weihnachten arbeiten, sind sehr einsam und erleben über die Feiertage häufig Gewalt.“ Deshalb sei das Ziel des Hoffnungshauses, den Frauen zu vermitteln, dass sie wertvoll und geliebt sind. Dazu gehört auch eine aufwendige Weihnachtsfeier inklusive Geschenken und Festessen. 

Rund 120 Frauen nutzen jedes Jahr die Angebote des Hoffnungshauses. Probleme bleiben dabei nicht aus: Manche Zuhälter verbieten den Frauen, die Einrichtung zu besuchen. Einschüchtern lässt sich Wilbirg Rossrucker davon nicht. „Ich kann auch frech sein! Wenn mir einer blöd kommt, rede ich blöd zurück“, sagt sie selbstbewusst. Angst, allein im Viertel unterwegs zu sein, hat sie auch nachts nicht. Grundlage ihres Handelns ist die Überzeugung, dass jeder Mensch ein geliebtes Kind Gottes ist und das Recht hat, würdevoll behandelt zu werden. „Ich heiße nicht gut, was die Zuhälter tun“, betont sie. „Aber auch ihnen möchte ich mit einer liebevollen und vergebenden Haltung begegnen.“ Kraft und Motivation schöpft sie aus ihrem Glauben.

Ein lautes Klopfen an der Bürotür unterbricht das Gespräch. Zwei ältere Damen stehen mit mehreren Tüten voller Kleidung im Flur. Rossrucker nimmt die Spenden mit einem breiten Lächeln entgegen. Nach und nach werden die Kleider an bedürftige Frauen verteilt oder im hinteren Bereich ausgelegt. „Hier kann jede kommen und sich das nehmen, was sie braucht“, sagt sie und zeigt auf einen Stapel Jeans und Winterjacken.

Die Kraft der Gemeinschaft

Zwei Frauen sitzen sich an einem Tisch gegenüber und unterhalten sich
Dominik Alexander
Schwester Inge im Gespräch mit einer der Frauen im Hoffnungshaus

Im Café herrscht reges Treiben. Besucherinnen kommen und gehen. Die Mitarbeiterinnen verteilen Himbeertiramisu, Hackbraten und Tee. Neben dem Eingang sitzt eine kleine Frauengruppe. Mitten unter ihnen Schwester Inge. Sie gehört zum ehrenamtlichen Team des Hoffnungshauses und hat für jede ein offenes Ohr. 

Auch M. spricht regelmäßig mit ihr. Dadurch habe sie gelernt, dass es immer eine neue Chance und einen anderen Weg gibt. Manchmal beten die beiden auch gemeinsam, das empfindet M. als heilsam. „Schwester Inge erzählt mir manchmal von Jesus. Es tut gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der mich liebt“, erklärt sie mit schüchternem Lächeln.  

Das Team im Hoffnungshaus beschreibt M. als ihre Ersatzfamilie. An diesem Ort, zwischen blinkenden Leuchtreklamen, Bars und käuflicher Liebe wird sie nicht übersehen und kann endlich ein schönes Weihnachtsfest feiern. Mit glänzenden Augen sagt sie: „Weihnachten fällt hier nicht aus.“

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