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Ohne Kunst kann sie nicht leben

Corona-Leben als Künstlerin: „Ich will mich nicht beklagen“

Schauspielerin Prikko Cremer inszeniert an der Nordsee mit Zitat.
Gabi Rauchholz

Die Corona-Krise trifft besonders Künstlerinnen und Künstler. Die Lage bei Schauspielerin Pirkko Cremer ist angespannt.

Unter Corona leiden viele Menschen. Besonders gebeutelt sind Künstlerinnen und Künstler. Pirkko Cremer ist eine von ihnen. Die Schauspielerin

  • zieht zwei Kinder alleine groß,
  • ihre Jobs sind seit 2020 zum großen Teil weggebrochen,
  • das Geld ist knapp,
  • die Wohnung klein.

Sie gerät in eine tiefe Krise. Aber die Telefonseelsorge, eine engagierte Psychiaterin und die Diakonie helfen ihr.

Arm durch Corona

Pirkko Cremer ist nicht nur Schauspielerin. Sie arbeitet auch als Sprecherin, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Teil der Truppe von Michael Quast und seinem Mundarttheater. In „Barock am Main“ wird sie im Sommer 2022 im „Worschtmichel“ spielen.

Die Kunstinstallation Walzer von Pirkko hat viele bunte Streifen, die von einem Gestell gehalten werden.
Sascha Waschnewski
Pirkko Cremer spielt gerne mit den bunten Farben des Lebens - wie hier in der Installation Walzer.

Sie schreibt auch ihre eigenen Theaterstücke. Die Groteske „Massimo, du hast mich nie geliebt“ war im Hessischen Fernsehen zur Weiberfastnacht zu sehen. In ihren Theaterstücken zum Mitmachen für Kinder bringt sie gesellschaftsrelevante Themen spielerisch auf die Bühne.

Rodgauer Künstlerin im Alltag als Mutter

Die Künstlerin ist Mutter zweier Kinder, neun und elf Jahre alt. Mit deren Vater hatte sie in Frankreich zusammengelebt. „Wir wollten in Altenheimen zusammen auftreten und singen, außerdem mit einer fahrenden Crêperie umherziehen“, erzählt sie. Mit ihm zusammen könne sie wunderbar singen und träumen, aber keinesfalls den Alltag bewältigen.

Cremer kehrte zurück in ihre Heimatstadt Rodgau und zieht die Kinder nun alleine groß, ohne Unterhalt des Vaters. Aber mit Kindergeld und Unterhaltsvorschuss läuft es einigermaßen.

Portrait von Pirkko Cremer
privat

Durch Corona geht die Auftragslage gegen Null

Rückblick: Die Künstlerin ging bestens gelaunt in das Jahr 2020. Ihr Auftragsbuch war gut gefüllt. Im März 2020 kam Corona. „Die ersten kleineren Jobs bröckelten weg, dann brach auch mein Riesenengagement zusammen“, resümiert Pirkko Cremer.

Zuerst mussten die Ersparnisse dran glauben. Dann stellte sie Anträge. „Das hat ganz gut funktioniert. Das erste Stipendium ging flott über die Bühne. Die November-/ Dezemberhilfe war zwar nicht viel und kam spät, hat aber auch geholfen.“

Auch dafür ist sie dankbar. Und dafür, dass ihre Mutter sie unterstütze, wo sie nur kann.

Ich habe Angst davor, denunziert zu werden.

Was ihr zu schaffen macht, sind die Phasen des Lockdowns. „Mein Sohn hat 3.000 Volt von morgens bis abends“, erklärt Cremer. Er stecke voller Kraft und Lebensfreude, sei nicht ganz einfach. Die Familie musste öfter in Quarantäne.

„Das ist schrecklich, wenn die Kinder nicht raus können und wir die ganze Zeit in der engen Wohnung bleiben müssen“, schildert sie die Situation. „Wir haben uns heimlich in den Wald aufgemacht, damit die beiden sich mal austoben können.“ Sie habe stets Angst davor, denunziert zu werden. „Pirkko, du wurdest gesehen, als du in einen Garten gefahren bist“, habe ihr ein Nachbar mal auf den Kopf zugesagt.

Gute Tipps von anderen helfen ihr kein bisschen

Freundschaften seien zerbrochen, weil Menschen, die alleine leben, sich nicht vorstellen könnten, wie es ist in Quarantäne mit zwei heranwachsenden Kindern. Das habe sie bis jetzt mehrere Male und wochenlang mitmachen müssen.

An guten Tipps von anderen habe es nicht gemangelt, geholfen habe ihr das kein bisschen. Sie sei so fertig gewesen, dass sie die Telefonseelsorge angerufen habe. „Eine halbe Stunde mit jemandem reden tut schon sehr gut“, sagt sie. Manchmal habe sie über längere Zeit niemanden dort erreicht, das empfinde sie als ganz schlimm.

Das sind acht Seiten, das mache ich nicht.

„Ich war innerlich so zerfetzt, ich konnte nicht mehr“, sagt die 48-Jährige.

Dann ging sie zu einer Psychiaterin. „Sie hat mir sehr geholfen, mir gesagt, was ich alles schon geschafft habe und jeden Tag stemme. Und sie empfahl mir eine Mutter-Kind-Kur.“ Sie bittet ihre Hausärztin, den Antrag auszufüllen. „Das sind acht Seiten, das mache ich nicht“, habe diese entgegnet.

Wie Corona die Psyche belastet

Das seien alles Widerstände, die man in einem solchen Zustand kaum bewältigen könne. Pirkko Cremer erzählt ihrer Psychiaterin davon, daraufhin füllt diese den Antrag aus. Cremer geht zur Diakonie, legt alles vor und bekommt die Kur bewilligt. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort haben sich um alles gekümmert, das war wirklich ganz toll“, lobt sie die Diakonie.

Immer wieder verliere ich Hoffnung und Mut.

Die Schauspielerin bleibt allen Widrigkeiten zum Trotz dran an der Kunst und am Leben. Sie entwickelt für die Stadtbücherei Nieder Roden Puppentheaterstücke und führt sie online auf. Das Kulturamt der Stadt Frankfurt finanziert eine Lesung, die dann wegen eines erneuten Lockdowns keine Premiere feiern konnte und deshalb nun als Hörbuch produziert werden durfte.

„Immer wieder verliere ich Hoffnung und Mut“, sagt die Künstlerin. Kaum freue sie sich über ein zugesagtes Projekt, müsse ein Kind wieder mal in Quarantäne. Dieses Gefühl „Ich bin nichts wert“ nagt an ihr.

Vom Putzgeld konnte ich mir ein Fahrrad kaufen.

Sie könne aber ohne Kunst nicht leben. Die Psychiaterin baut sie immer wieder auf. „Das ist eine ganz tolle Frau“, findet Cremer. Dann bekommt sie von einem Wohnungsverwalter den Zuschlag, mehrere Häuser zu putzen. „Darüber freue ich mich“, sagt sie. „Vom Putzgeld konnte ich mir ein Fahrrad kaufen“, erzählt sie. Bei ihrem alten sei die Achse gebrochen.

Und wenn sie schon dabei ist, Gutes aufzuzählen:

  • „Eine Frau hat für ein Kunstprojekt von mir 500 Euro gespendet, einfach so. Damit konnte ich die Benzinkosten für den Musiker übernehmen.
  • Ein Nachbar hat mich mit meinem Sohn zum 20 Kilometer entfernten Notzahnarzt und wieder zurückgefahren.
  • Und eine andere Nachbarin hat mir 100 Euro geschenkt und gesagt: Machen Sie was mit den Kindern.“

Lange Quarantäne-Tage ohne Nintendo und Play-Station 

Das möchte sie gerne tun. Aber Ausflüge sind teuer. „Wir waren mal im Center-Park. Die Kinder waren den ganzen Tag beschäftigt, haben sofort neue Freunde gefunden und waren glücklich“, beschreibt Pirkko Cremer. Das möchten sie unbedingt noch mal machen.

Geht aber im Moment nicht. Nintendo, Play-Station und ähnliches für die Kurzweil in langen Quarantäne-Tagen sind nicht vorhanden.

Portrait von Pirkko Cremer
privat

Mehr als zehn Euro Mitgliedsbeitrag für die Kinder sind nicht drin

Ihr Alternativangebot: „Die Kinder dürfen am Tag eine halbe Stunde mein Handy haben, da sind Spiele drauf, Brettspiele und Hörspiele haben auch in der Quarantäne geholfen. Ansonsten fahren wir gerne ins Schwimmbad, wir sind Mitglied bei der DLRG.“

Ihr Sohn wollte vor kurzem in einen Kampfsportverein eintreten. „Der kostet 50 Euro Gebühr im Monat, das ist zu viel“, befindet die Mutter. Außerdem seien das oft Knebelverträge, da kämen sie nicht mehr raus. Zehn Euro im Monat als Mitgliedsbeitrag seien machbar, mehr nicht.

Uns geht es ja noch gut, ich möchte mich nicht beklagen.

Das ist den Kindern nicht immer alles leicht zu vermitteln. In der Mutter-Kind-Kur steht für alle drei auch Therapie auf dem Programm. Damit alle Familienmitglieder besser mit einer herausfordernden Situation umzugehen lernen. Auch dafür ist Pirkko Cremer dankbar. „Uns geht es ja noch gut, ich möchte mich nicht beklagen."

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