von Nico Terhorst
Am Tag unserer Ankunft in der Republik Kosovo ist der Himmel grau und bewölkt. Es nieselt leicht. Die Luft schmeckt anders als in Deutschland. Irgendwie rauchiger. Sie erinnert an eine Silvesternacht, wenn der Geruch von Böllern und Raketen in der Luft liegt. Die beiden Kohlekraftwerke des Landes belasten mit veralteter Technik die Umwelt massiv.
Wir sind im Kosovo, dem kleinsten Land Südosteuropas.
Während meines sechstägigen Aufenthalts möchte ich das Land kennenlernen. Bisher habe ich viele Geschichten durch meine Freundin und ihre Familie gehört, die ursprünglich von hier kommen.
Nach 45 Minuten Fahrt vom Flughafen der Hauptstadt Pristina erreichen wir Mitrovica. Die Stadt hat rund 70.000 Einwohner.
Der erste Eindruck: „Das sind ganz schön viele Autos für so eine kleine Stadt, und gehupt wird auch ganz schön häufig.” Ich erfahre, dass Mitrovica keinen öffentlichen Nahverkehr hat, die Menschen sind auf Autos angewiesen. Dementsprechend voll sind die viel zu engen Straßen. Mit einem Mietwagen reihen wir uns ein.
Während wir die Hauptstraße hochschleichen, bemerke ich ein Banner zwischen den vielen Stromkabeln.
Mirë se vini MËRGIMTARË
Steht dort geschrieben. Meine Freundin übersetzt: „Willkommen, HEIMKEHRER”.
Ein Großteil der heutigen Bevölkerung im Kosovo sind Albaner, die bereits während der jugoslawischen Zeit hier lebten und schon damals eine große Mehrheit bildeten. Neben Albanern gibt es eine serbische Minderheit im Land, die zu einem großen Teil den Norden besiedelt.
Nach dem Krieg 1999 wurden Teile dieser Gruppe vertrieben. Seitdem gibt es eine kontinuierliche Abwanderung nach Serbien. Drei bis fünf Prozent der Bevölkerung setzen sich aus Türken, Bosniaken, Kroaten oder Roma zusammen.
Am nächsten Tag besuchen wir die bekannte Ibar-Brücke im Zentrum Mitrovicas. Diese Brücke trennt den nördlichen und südlichen Teil der Stadt und war in der Vergangenheit häufig Ort für Konflikte und Auseinandersetzungen.
Im Norden der Stadt lebt ein großer Teil der serbischen Minderheit, während der Süden hauptsächlich von Albanern bevölkert wird. Folgen des Kosovokriegs, die bis heute wirksam sind. Daher ist die Brücke noch immer für Autos gesperrt.
Wie du auf dem Foto sehen kannst: Auf den ersten Blick ist sie unscheinbar und trist. Auf dem zweiten Blick kann man auf der anderen Seite rot-weiße Betonblockaden erkennen. Auf der Straßenseite steht ein Jeep mit der Aufschrift „Carabinieri“. Die Bezeichnung der italienischen Militärpolizei.
Die ersten Abschnitte im Norden sind noch von Kosovaren bewohnt. Nur 300 Meter weiter hängen paarweise in wenigen Meter Abstand die serbischen Flaggen. Und: Bei den meisten Kennzeichen ist das Herkunftsland weiß abgeklebt. Eine scheinbare Kleinigkeit, die jedoch eine Konsequenz aus dem Spätsommer 2021 ist.
Die Regierung des Kosovo erkannte plötzlich serbische Autokennzeichen nicht mehr an, da kosovarische Fahrzeuge bereits seit Jahren provisorisch ihr Kennzeichen bei einer Überfahrt nach Serbien ändern müssen. Die Spannungen zwischen den Ländern verschärften sich, konnten jedoch mit Hilfe der EU vorerst geschlichtet werden. Als Übergangslösung werden die serbischen Kennzeichen daher abgeklebt.
Vor dem Krieg war die Stadt nicht geteilt. Als wir an den rot-weißen Blockaden bei der Ibar-Brücke vorbeifahren, erzählt mir die Mutter meiner Freundin: „Früher haben wir uns hier jeden Tag getroffen. Von hier aus sind wir weitergelaufen von einem Café ins nächste. Nie sind wir nur an einem Ort geblieben. Nach 30 Minuten sind wir aufgestanden und weitergelaufen.“
Der Norden war der Teil, in dem das Leben stattfand.
Als die Konflikte zwischen serbischen Sicherheitskräften und der albanischen Bevölkerung zunahmen, verließen die Eltern meiner Freundin ihre Heimat. Ein großer Teil der Familie blieb jedoch im Land. Nach Ausbruch des Krieges mussten viele Familien in einer Nacht- und- Nebel-Aktion die Stadt verlassen. Ihr Ziel: Albanien.
Auf ihrer Flucht erreichte eine große Anzahl von Flüchtenden auch das 600 Seelendorf Zllakuqan. Die unscheinbare Gemeinde liegt 60 Kilometer von Mitrovica entfernt und hat zwei Sehenswürdigkeiten. Einmal ist da der Pishina-Europapark. Ein riesiger Freiluft-Wasserpark, der überdimensioniert wirkt für so ein kleines Dorf. Die weitläufigen leeren Wiesen vor dem Eingang dienen im Sommer als Parkplatz und lassen erahnen, wie die Menschenmassen für eine Erfrischung hierhin pendeln.
Die andere Sehenswürdigkeit ist die katholische Kirche neben dem Gelände des Wasserparks. Ein Großteil der Menschen im Dorf ist römisch-katholisch.
In einem Land, in dem 96 Prozent der Bevölkerung muslimisch sind, ist das etwas Besonderes. Die Kirche nimmt in dem Dorf eine besondere Rolle ein. Während des Krieges gewährten Christen den Flüchtenden eine Bleibe und gaben den Menschen Nahrung. Ein kleines Schild vor der Zufahrt erinnert heute an die humanitäre Hilfe von damals. Angebracht wurde das Schild nach dem Krieg von Menschen aus Mitrovica.
Hier treffen wir auf Dodë Ndrecaj, einen guten Freund der Familie meiner Freundin und gläubiger Katholik. Als die Flüchtenden damals ankamen, gehörte er zu den Helfern. Nach dem Krieg arbeitete er als Übersetzer und war Professor an der Universität in Pristina, der Hauptstadt des Landes.
Auch in den Religionen zeigt sich gewissermaßen die Spaltung des Landes. Kosovo-Albaner sind zu einem großen Teil muslimisch, ein Teil ist katholisch. Die serbische Minderheit im Land gehört zur serbisch-orthodoxen Kirche.
Als wir uns von Dodë verabschieden, gibt er mir noch seine Sicht der Dinge mit auf den Weg: „Egal, welche Religion man hier im Kosovo hat: „An erster Stelle sind wir alle Kosovaren. Alle Religionen können an einem Tisch sitzen und gemeinsam essen. Es ist egal, ob du Katholik oder Muslim bist.“
Als ich nach einer Woche im Flugzeug nach Deutschland sitze, denke ich über Dodës Worte nach. Die Nation ist für den albanischen Teil der Bevölkerung das verbindende Element, das Muslime und Christen an einen Tisch bringt, das Identifikationssymbol als Kosovaren. Aber auch nur für diesen Teil der Bevölkerung.
Die serbische Minderheit und die restlichen ethnischen Minderheiten im Land sind damit nicht gemeint. Der Krieg und seine Folgen haben diese Probleme verstärkt und die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.