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Ehrenamt

Gewalt gegen Schiedsrichter: Erfahrungen im Fußball

Schiedsrichter Luc hält einen Fußball
Fynn Hornberg
Luc Herrmann ist Schiedsrichter bei TuS Berne, einem Stadtteil in Hamburg.

Gewalt im Amateurfußball nimmt zu. Davon berichtet auch Schiedsrichter Luc. Obwohl er schon massiv bedroht wurde, will er nicht aufhören.

von Fynn Hornberg

Spucken, Beleidigungen, tätliche Angriffe und Morddrohungen - immer wieder sind Schiedsrichter im Amateurfußball davon betroffen. Ein erschreckender Trend, Tendenz steigend.

DFB berichtet über Gewalt im Amateurfußball

DFB Bericht: Gewalt im Amateurfußball

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) veröffentlicht jedes Jahr ein Lagebild im Blick auf die Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle im Amateurfußball. In der abgelaufenen Saison 2022/23 wurden in allen deutschen Amateurligen 2.690 Angriffe gegen Unparteiische registriert und 961 Spiele wegen eines Gewalt- oder Diskriminierungsvorfalls abgebrochen. Im Jahr davor waren es noch weniger: In der Saison 2021/22 gab es laut DFB 2.399 Vorfälle gegen Schiedsrichter und insgesamt 911 Amateurfußballspiele wurden abgebrochen.

Harmlos fängt es mit einer Entscheidung zugunsten einer Mannschaft an, bis es schließlich eskaliert. In einigen Fällen wird der Schiedsrichter so heftig attackiert, dass er im Krankenhaus behandelt werden muss. In manchen Fällen braucht es die Hilfe der Polizei, um die Situation zu beruhigen und die Schiedsrichter vor den Angreifenden zu schützen.

Auf dem Fußballplatz angegriffen

Genau das hat auch Luc Herrmann vor fast einem Jahr erlebt. Der 23-Jährige ist Schiedsrichter in Hamburg bei TuS Berne. Luc pfeift derzeit in der Landesliga und ist hier auch als Linienrichter im Einsatz.

3 Schiedsrichter auf dem Weg zum Spiel.
Fynn Hornberg
Die Hamburger Schiedsrichter (von links): Manfred Rietschel, Luc Herrmann, Marvin Knorr

Im Oktober 2022 leitete Luc zusammen mit seinen beiden Assistenten ein Spiel in der Bezirksliga. Soweit nichts Ungewöhnliches. Das Spiel wurde im Hamburger Bezirk Süderelbe ausgetragen und zu Gast war eine Mannschaft aus Wilhelmsburg, einem sozialen Brennpunkt. Der Einfluss war auch auf dem Platz zu sehen. Es war von Anfang an ein ruppiges Spiel. „Besonders die Wilhelmsburger haben einen harten Fußball gespielt und auch von draußen kamen schon einige Kommentare“, erzählt Luc.

Er hat versucht mir eine Kopfnuss zu geben.

Nach 70 Minuten stand es bereits 4:1 für die Gastgeber, das Spiel schien entschieden. Trotzdem musste der Hamburger Schiedsrichter nach einem Foulspiel im Strafraum auf Elfmeter für die Heimmannschaft entscheiden – 5:1. Als Luc auf dem Rückweg zum Mittelkreis ist, lässt ein Spieler von der Gästemannschaft aus Wilhelmsburg seinen Frust raus. „Der hat dann nur ganz leise gesagt: Berne ist klein – mehrmals“, erinnert sich Luc an die Situation.

Der Spieler bekam für die verbale Drohung die Gelbe Karte. Da er schon verwarnt war, ging es folgerichtig mit Gelb-Rot vom Platz. Dann eskalierte es, erzählt Luc Herrmann: „Als ich ihm die Gelb-Rote Karte gezeigt habe, ist er schon richtig wütend geworden und hat dann plötzlich versucht mir eine Kopfnuss zu geben. Er ist dann mit dem ganzen Körper ruckartig nach vorne gekommen, sodass ich zurückweichen musste.“ Der Spieler kann nur noch von seinen Teamkameraden aufgehalten werden.

Luc hält eine Gelbe Karte hoch
Fynn Hornberg

Vom wütenden Mob beschimpft und bedroht

Damit aber nicht genug. Lucs Assistent wurde an der Seitenlinie zeitgleich massiv von den Zuschauern beleidigt. Allerdings konnte der junge Schiedsrichter nicht viel tun, außer das Gespräch suchen. Plötzlich kamen aber immer mehr Zuschauer und Sympathisanten der Wilhelmsburger auf den Platz und bedrängten das Schiedsrichtergespann – der wütende Mob versperrte den Weg zur Kabine.

„Da kamen dann Beleidigungen wie ‚Arschloch‘, ‚Hurensohn‘, ‚wollt ihr sterben‘ und ‚ihr kommt hier nicht lebend runter‘“, erzählt Luc nach einem Blick in das Spielprotokoll. Der junge Schiedsrichter brach das Spiel ab. Kurz darauf traf die Polizei ein. Unter Polizeischutz ging es erst in die Kabine und dann zum Auto. „Die Leute sind sogar noch hinter uns hergelaufen, obwohl wir von der Polizei zum Auto begleitet wurden“, erinnert sich der 23-Jährige.

Ehrenamtliche Schiedsrichter fehlen im Amateurfußball

Szenen wie diese sind leider keine Seltenheit mehr auf deutschen Amateurplätzen bestätigt der Lagebericht vom Deutschen Fußball-Bund. Und auch ein Grund, warum immer mehr Ehrenamtliche fehlen. Als Schiedsrichter gibt es grade mal eine kleine Aufwandsentschädigung, am Ende stehen sie in ihrer Freizeit auf dem Platz und leiten die Spiele.

Fest steht: Ohne Schiedsrichter kann kein Fußball auf Wettbewerbsebene gespielt werden. Um wieder mehr junge Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen, spielt der Hessische Fußballverband (HFV) mit dem Gedanken das Einstiegsalter für Schiris runterzusetzen.

In Hessen: Schon mit 12 Jahren anfangen Fußballspiele zu leiten

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Nach den aktuellen Regeln darf jeder ab 14 Jahren als Schiedsrichter anfangen. Für den Schiedsrichterreferenten vom HFV, Philipp Metzger, könnte das Einstiegsalter dann in Zukunft auch bei 12 Jahren liegen. „Je früher man anfängt, desto besser, um Erfahrung zu sammeln. Wichtig ist, dass der Schiedsrichter auch betreut wird und einen Paten an die Hand bekommt.“

Das bedeutet, dass ein „erfahrender Schiedsrichter“ die jungen Schiedsrichter „bei ihren ersten Einsätzen begleitet und bei Fragen zur Verfügung steht“. Mit diesem Modell sollen dann auch jüngere Menschen für das Ehrenamt begeistert werden, in der Hoffnung, dass solche Gewalterfahrungen nicht abschrecken.

Solche Tandem-Modelle bieten gerade jungen Menschen besondere Chancen, sagt auch Volker Jung. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau war Sportbeauftragter der EKD. Es gehe darum, sich „selbst zu entwickeln und bestimmte Fähigkeiten zu erlernen, die dann auch später im Beruf hilfreich sein können“.

Junger Schiedsrichter lässt sich von Gewalt nicht einschüchtern

Das kann Schiedsrichter Luc bestätigen. Als er etwa 14/15 Jahre alt war, sei er eher ein sehr ruhiger und zurückhaltender Typ gewesen. Aber auf dem Platz kann er entscheiden, auch deswegen bereitet ihm die Schiedsrichterei so viel Freude – 93 Einsätze in einer Saison, das sind ungefähr zwei Spiele pro Woche. „Mir macht es einfach Spaß in diesem Moment die Entscheidung zu treffen und auch persönlich konnte ich mich, was meine Körpersprache betrifft, unglaublich gut weiterentwickeln.“

Dazu kommt der Teamgedanke immer als Gespann mit den Assistenten unterwegs zu sein, da können ihn auch solche erschreckenden Gewalterfahrungen auf dem Platz nicht entmutigen. „Ich glaube das Ganze ist ziemlich an mir abgeprallt und ich habe eine Woche später schon wieder gepfiffen“, ergänzt der 23-Jährige.