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Obst und Gemüse aus der Großstadt

Urban Farming – Agrarwende von unten

Ein Hahn vor der EZB
Angela Wolf
Carolin Munte von der Frankfurter „Kooperative“ am Hühnermobil

Frankfurt für eine klimagerechtere Zukunft: Es geht um Selbstversorgung und Urban-Farming. Hier stellen wir dir einige Projekte vor.

Die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland verantwortete im vergangenen Jahr mehr als acht Prozent der hiesigen Treibhausgasemissionen. Schweres Arbeitsgerät, der Einsatz von Pestiziden, aber auch der Transport der Lebensmittel tragen dazu bei.

In der Großstadt Frankfurt regt sich was, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Die Räumlichkeiten der „Kooperativein Oberrad sind zweckmäßig: Büro, Lager, Scheune, Feld. Alles ist schlicht, funktional, mutet rumpelig an. Niemand möchte hier künstliche Atmosphäre, auch nicht für die Presse. Silas Müller ist studierter Ökolandwirt und einer der beiden Vorstände der Kooperative. „Genau darum geht es uns, wir wollen hier ehrliche Landwirtschaft betreiben.“

Vereint wirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

Nach Frankfurt hat es das Projekt bewusst verschlagen. Auf der Suche nach stadtnaher Ackerfläche für das partizipative Genossenschaftsprojekt stießen die beiden Partner auf die Möglichkeit im Grüne-Soße-Distrikt Oberrads. Im „Bärengarten“ verwirklichen die beiden Mittdreißiger ihre Vision: Landwirtschaft und Gemeinschaft. Die Cityfarm ist ein „Unternehmen der Menschen“, wie Müller es beschreibt.

Genossenschaft als Netzwerk in die Stadt

Mit derzeit 650 ausgegebenen Ernteanteilen werden rund 1.200 Menschen wöchentlich mit Obst und Gemüse versorgt. Etwa 650 Frankfurterinnen und Frankfurter sind Mitunternehmer:innen und haben volles Mitspracherecht im Landwirtschaftsbetrieb. Was bauen wir an? Wollen wir als Genossenschaft wachsen? Wie erweitern wir unser Netzwerk? Grundsatzfragen also.

„Uns ist wichtig“ erklärt Carolin Munte, die Geschäftsführerin, „dass die Verbraucher:innen verstehen, dass Landwirtschaft nichts Romantisches ist. Wir müssen weg von Hochglanzgemüse und Bauernhofidylle. Deswegen kommt bei uns alles in die Kiste. Auch Rosenkohl, der nicht hübsch aussieht.

Die Flächen der Frankfurter „Kooperative“ liegen Nahe am Mainufer, mit Blick auf die Europäische Zentralbank.
Angela Wolf
Die Flächen der Frankfurter „Kooperative“ liegen Nahe am Mainufer, mit Blick auf die Europäische Zentralbank.

Es ist geschäftig auf dem Hof. Vogelgezwitscher, Fluglärm und vorbeirauschende ICE‘s. Die EZB in Sichtweite. Auf der Rückseite des Gebäudes liegen etwa sechs Hektar Land, teilweise unter den Dächern von Gewächshäusern. In langen, dichten Reihen wachsen hier Auberginen, Tomaten, Salat.

Ziel: Fair miteinander umgehen

„Die Kooperative“ in Frankfurt

„Die Kooperative“ wurde 2018 gegründet. Sie funktioniert als Genossenschaft und will nachhaltige, regionale und faire Landwirtschaft anbieten. 

Zur Website der „Kooperative“

Nicht alles, was wöchentlich in die Kisten gepackt wird, ist auch aus eigenem Anbau. Die Kooperative pflegt Landwirtschaftsbeziehungen mit derzeit etwa sechs Höfen aus dem Frankfurter Speckgürtel. Feste Abnahmevereinbarungen erhöhen die Planungssicherheit der beteiligten Landwirt:innen und machen sie ein stückweit unabhängiger von den Preisschwankungen des Marktes.

Das ist ein Teil der Philosophie der Kooperative: ein Netzwerk von Landwirtinnen und Landwirten, die sich solidarisch unterstützen. Fair miteinander umgehen.

Bürokratische Hürden in Frankfurt

Seit der Gründung ist der Landwirtschaftsbetrieb schnell gewachsen.  Räumlich wird es zusehends eng. Es bedarf einer Werkstatt, mehr Anbaufläche. „Hier und da erfahren wir Grenzen, beispielsweise mit der Grüngürtelverordnung der Stadt. Vieles macht ökologisch allerdings keinen Sinn. Etwa, dass wir keine Hecken und Bäume pflanzen dürfen.“

Müller weiß um den politischen Willen, beispielsweise des Umweltdezernates. „Bürokratisch wird dann aber einiges wieder einkassiert.“

Mit Blick auf eine dringend erforderliche Wende in der Klimapolitik ist das ein Desaster.

Silas Müller

Politischer Wille in Frankfurt ist da

Einen Hoffnungsschimmer gibt es aber, in die neue Stadtregierung nämlich. Zumindest sieht Joerg Weber vom Ernährungsrat Frankfurt das so. Eine stadteigene, ressourcen- und klimaschonende „Ernährungsstrategie“ hat Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden. Auch die Förderung von städtischer Landwirtschaft ist genannt. Von der „Ökomodellregion Rhein-Main“ ist die Rede.

Er klingt beschwingt, wenn er von diesem politischen Erfolg spricht. Weber ist auch Vorstand der „Bürger AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften“ und Gründer und Geschäftsführer von „Bionales“. Der Frankfurter Ernährungsrat ist ein Bündnis aus engagierten Bürger:innen und setzt sich unter anderem für den Konsum gesunder Lebensmittel aus regionaler und saisonaler Produktion ein.

Unser Ziel ist die Wiedererlangung der Ernährungssouveränität Frankfurts. 

Joerg Weber

Weber und seine Mitstreiter:innen arbeiten gemeinsam an einer Strategie, wie sich Frankfurt mit ökologischen und regional produzierten Lebensmitteln erschwinglich selbst versorgen kann.

Zurück geht diese Idee auf einen Vertrag, der 2015 von dem damaligen Mailänder Bürgermeister Giuliano Pisapia initiiert wurde. Der „Milan Urban Food Policy Act“ wurde inzwischen von mehr als 200 Städten weltweit unterschrieben. Frankfurt ist eine davon. Dahinter steckt ein radikaler Reformplan der Lebensmittelproduktion, die sich der Abschwächung des Klimawandels, der Achtung der Artenvielfalt, der Einhaltung von Menschenrechten und der Vermeidung von Abfällen verschreibt.

Konventionelle Landwirtschaft vs. Umweltschutz

Die Schäden, die durch die momentane Art der Landwirtschaft verursacht werden, sind enorm. Der Einsatz von großem Gerät auf den Äckern, der Griff zu Pestiziden und Insektiziden, der Anbau von Monokulturen, der die Böden fast unbrauchbar macht, die großen Distanzen des Transports der Lebensmittel, leichtfertiger Gebrauch von Wasserressourcen.

Juliane Ranck und Laura Setzer haben in Frankfurt die „GemüseheldInnen“ gegründet.
Angela Wolf

Juliane Ranck (auf dem Foto links) und Laura Setzer wissen, dass das auch anders geht. Vor zweieinhalb Jahren besetzen die beiden Frauen in der Grünen Lunge nördlich des Güntherburgparks einen verwilderten Garten und gaben sich einer in den 1970er Jahren begründeten Anbautechnik hin, der Permakultur.

Alternative Anbautechnik Permakultur

„Vorhandene Ressourcen werden dabei möglichst sinnvoll genutzt und die natürlichen Vorgänge des Ökosystems so gut wie möglich nachgeahmt mit dem Ziel, eine nachhaltige, produktive und sich immer wieder selbstregernerierende Landwirtschaft zu schaffen.“ So erklärt Ranck das ökologische Perpetuum mobile.

Sie spricht von kleinteiliger Landwirtschaft, die ohne motorisiertes Gerät auskommt, von Böden, die wenig Wasser verbrauchen, davon, dass sich Frankfurt definitiv selbst ernähren kann: mit saisonalem Obst und Gemüse. Setzer und Ranck sind die Gründerinnen der „Frankfurter GemüseheldInnen“ und treten mit dem feste Vorhaben an, diese „positive Vision“ in die Stadt zu bringen.

Urban-Farming-Projekte sprießen weltweit

Projekte wie die „Ferme du Bec Hellouin“, einer Permakulturfarm in der Normandie, oder „Incredible Edible“, ein Urban-Farming-Projekt der Kleinstadt Todmorden im englischen Yorkshire, wo öffentlicher Raum gemeinschaftlich beackert und ein Teil der knapp 15.000 Bewohner:innen mit Obst und Gemüse versorgt wird, inspirieren sie.

Zu wenig Platz in Frankfurt für Urban Faming?

In derzeit 17 Gärten bewirtschaften über 200 ehrenamtliche „GemüseheldInnen“ Frankfurter Böden. Die Warteliste der Interessierten ist lang. „Es fehlt an weiterer Fläche und an bezahlten Stellen für die Koordination des Projekts.“ Die Mittdreißigerinnen haben gemeinsam zwei Kinder und feste Jobs.

Auch wenn die Heldinnen zum Verein „Bionales“ gehören und darüber institutionalisiert sind, hauptverantwortliche Mitarbeiter:innen fehlen: „An dieser Stelle wünschen wir uns von der Stadtpolitik Finanzmittel, um Stellen schaffen zu können. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung für die Frankfurter Ernährungswende.“ Auch Setzer und Ranck versprechen sich viel von der mehrheitlich grünen Stadtregierung.

All das kann funktionieren, und das ist die Botschaft dieser Menschen, wenn sich das Konsumverhalten, die Konsumgewohnheiten der Verbraucherinnen und Verbraucher radikal ändern. „Saisonal und viel weniger Fleisch“, sagt Silas Müller. Es brauche Aufklärung. Projekte an Kindergärten und Schulen, in Stadtteilzentren.

„Klimakrise wartet nicht auf langwierige Entscheidungsfindungen“

Es brauche solidarische Landwirtschaftsnetzwerke, die Lobbyarbeit in ihrer Region machen, es brauche politischen Willen und Mut, alle auf diesem Weg mitzunehmen. „Wir haben gar keine andere Wahl. Es ist fünf nach zwölf. Die Klimakrise wartet nicht auf langwierige Entscheidungsfindungen.“ Müller ist nicht resigniert. Er ist ein Macher. Genau wie Joerg Weber, Laura Setzer und Juliane Ranck. Sie alle verändern Frankfurt von unten, sie füllen die Utopie einer städtischen Ernährungnssouveränität mit Leben.