Gesellschaft

Vier Freunde, ein Hof – und ein Plan gegen die Klimakrise

Junger Landwirt auf dem Feld mit Zitat: "Auf den landwirtschaftlichen Betrieben ist ein Umdenken nötig"
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Auf dem Hof Tolle bei Kassel suchen Nils Tolle und seine Freunde Lösungen für die Klimakrise - zwischen Kichererbsen, Rindern und Walnussbäumen.

von Teresa Kammerlander

Nils Tim und Marius machen Mittagspause. Gemütlich sitzen sie in ihrem eigenen Hofcafé, lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen und genießen die Ruhe. Hier auf dem Hof Tolle in Calden-Fürstenwald bei Kassel hört man – nichts. Hier ist es still. 

Während die drei ihren Kaffee trinken, sprechen sie über alles, was heute noch ansteht. Tim erzählt, dass die Gemüsekisten gestern von fast allen Abonnent*innen abgeholt wurden. Gleich fährt er die übrigen Kisten aus. Marius ergänzt: „Ich muss gleich die Wassertränke für die Kühe auffüllen. Hilfst du mir dabei, Nils?“ – „Na klar“, sagt Nils. „Danach gieße ich noch den frisch gesetzten Salat.“ Eigentlich gehört auch noch Markus zum Team. Aber er ist gerade im Urlaub. 

Ein Hof zusammen mit Grundschulfreunden

Drei Freunde am Tisch beim Kaffeetrinken
Teresa Kammerlander

Für Nils Tolle ist klar: „Alleine würde ich den Hof nicht bewirtschaften. Nur so konnte ich es mir vorstellen, wenn man sich die Arbeit teilt und das zusammen macht.“

Der 32-Jährige tritt in große Fußstapfen. Seit 1850 ist seine Familie in der Landwirtschaft. Vor rund fünf Jahren hat er den Hof Tolle von seinen Eltern übernommen – zusammen mit seinen drei Freunden Tim Kramm, Marius Rau und Markus Müller

Die vier jungen Männer kennen sich schon seit der Grundschule und sind seitdem Freunde. Nach Studium oder Ausbildung sind sie alle wieder in Fürstenwald gelandet. Die Idee dazu, gemeinsam den Hof zu bewirtschaften, kam auf einem Weinfest an der Mosel auf. Die vier jungen Männer stießen mit einem Glas Moselwein auf ihre Freundschaft an. Dabei sponnen sie Ideen, wie es wäre, gemeinsam den Hof zu bewirtschaften. Gesagt, getan. 

Nils spricht von einem „Spagat zwischen freundschaftlicher Beziehung und Arbeitsbeziehung“. Den kriegen die vier Freunde aber „gut“ hin, sagt er voller Überzeugung. 

Die vier Freunde auf dem Feld
privat
Die Freunde Tim, Nils, Marius und Markus (v.li.n.re.) bewirtschaften gemeinsam den Hof Tolle bei Kassel.

Klare Aufgabenverteilung auf dem Hof

Den Hof bewirtschaften Nils und seine Freunde aktuell nur im Nebenbetrieb. Davon leben können sie noch nicht. Sie haben alle noch einen Hauptberuf.
Damit Freundschaft und Arbeit nicht kollidieren, haben sie klare Regeln, wie sie Streit vermeiden können: feste Absprachen, offene Feedbackrunden, Aufgabenverteilung:

  • Marius ist klassisch ausgebildeter Landwirt. Er kann die großen Maschinen bedienen und kümmert sich um die Äcker.
  • Tim und Markus sind Gärtner. Sie pflanzen allerlei Sorten Gemüse an und verkaufen Sie über Gemüsekisten.
  • Nils hat Umweltmanagement studiert. Er organisiert, koordiniert Forschungsprojekte und springt überall ein, wo Hilfe nötig ist.

Klimawandel und die Landwirtschaft

Nils Tolle im Gewächshaus
Teresa Kammerlander
Nils Tolle im Gewächshaus

Das ist nicht das einzige Ungewöhnliche an ihrem Hof. Denn die Landwirte haben sich eine große Aufgabe gesetzt: Sie wollen sich der Klimakrise stellen und Lösungen für die Zukunft finden

Das erste Mal, dass Nils gemerkt hat, wie sich das Wetter auf den Hof Tolle auswirkt, war in den Jahren 2002-2003. Damals war er noch ein Kind. Seine Eltern mussten die Mutterkuh-Haltung aufgeben, weil sie nicht genug Futter für die Tiere hatten. 2018-2022 dann die nächste Krise: Eine Dürre in ganz Europa. Auch die Äcker in Fürstenwald waren bis tief in den Boden ausgetrocknet.

„Das war der Punkt, an dem ich verstanden habe, dass Trockenheit und Dürre wahrscheinlich unsere Kernprobleme sein werden", sagt Nils. Deswegen hat er seine Zukunft auf ein Thema ausgerichtet: „Ich will mich mit Klimawandel im Zusammenhang mit Landwirtschaft auseinandersetzen.“

Seitdem hat er zusammen mit seinen Freunden eine eigene Klimastrategie für dem Betrieb entwickelt. Sie wollen sich auf verschiedene Folgen des Klimawandels vorbereiten. 

Denn das Problem ist: Niemand weiß, ob das kommende Jahr von einer Dürreperiode oder von starken Niederschlägen gezeichnet sein wird. Deswegen geht es darum, das Risiko so weit wie möglich zu reduzieren

So trotzt ein Hof der Klimakrise

Der Hof Tolle setzt auf Vielfalt statt Monokultur. Vier Beispiele zeigen, wie:

  • Agroforst: Baumreihen auf dem Acker schützen den Boden vor Erosion und speichern Wasser.
  • Kichererbsen: Die wärmeliebende Kultur kommt mit wenig Wasser aus und passt zu heißeren Sommern.
  • Tröpfchenbewässerung: In den Gewächshäusern landet jeder Tropfen genau da, wo er gebraucht wird.
  • „Fürstenbox“: Über 80 Haushalte beziehen wöchentlich Bio-Gemüse direkt vom Hof.

Damit gehören sie zu den Vorreitern. Sie arbeiten mit Wissenschaftler*innen zusammen, etwa im Forschungsprojekt „Ground2Live“ der Uni Kassel. Dort werden regelmäßig Bodenproben genommen, um zu messen, wie sich die neuen Methoden auswirken.

Klima-Forschung auf dem Hof Tolle
Teresa Kammerlander

„Ground to live“

Auf dem Hof Tolle wird für das Projekt „Ground2Live“ Lauch angepflanzt und darunter zusätzlich Erdklee gesät. 

  • Erdklee bleibt nach der Ernte über Winter stehen.
  • Er hält Nährstoffe im Boden.
  • Ziel des Forschungsprojektes ist es, herauszufinden, ob durch den Erdklee nun weniger Stickstoff aus dem Boden ausgewaschen wird. 

Wissenschaftlerin Christiane Weiler ist begeistert von der Zusammenarbeit mit dem Team vom Hof Tolle. Gemeinsam betreiben sie „Praxisforschung“. Das heißt, dass die Landwirte entscheiden, was sie beforschen wollen, und die Forscherin begleitet den Prozess wissenschaftlich. „Sie sind einfach super offen dafür, Neues auszuprobieren“, sagt Weiler über Nils und seine Freunde. 

Top drei Learnings vom Klimahof

Nils, Tim, Marius und Markus haben mit ihren Experimenten schon viel gelernt. Nicht alles hat geklappt, manches ist auch schief gegangen. Gerade beim Anbau der Kichererbsen müssen sie noch einiges ausprobieren, frei nach dem Prinzip „trial and error“. 

Diese drei Top Learnings zieht Nils aus seinen Erfahrungen auf dem Hof Tolle:

  • Teamwork: Es braucht ein Team, mit dem man sich austauschen kann, Aufgaben aufteilt und neue Ideen bespricht.
  • Planung: Gerade durch den Klimawandel wird es immer wichtiger, vorausschauend zu agieren.
  • Zeit für Kreativität: Wer schon 12-14 Stunden am Tag gearbeitet hat, hat keine Freiräume mehr für neue, kreative Ideen. 

Mehr als ein Nebenbetrieb

Tim Kramm bei der Tomatenernte
Teresa Kammerlander
Tim Kramm bei der Tomatenernte

Nils Tolle ist sich sicher: Der Klimawandel betrifft alle, egal ob Landwirte oder nicht. „Ich denke, es ist der Kerntreiber für die meisten Veränderungen, die wir in der Zukunft erleben werden.“ Deswegen sollten sich alle damit auseinandersetzen und Pläne in der Tasche haben. Für den Alltag hat Nils einen ganz einfachen Tipp: Wer ökologisch leben will, sollte kochen lernen. „Denn dann lernt ihr auch, die Lebensmittel wieder wertzuschätzen“. Also: Schaut doch mal bei einem landwirtschaftlichen Betrieb in eurer Region vorbei und besorgt euch dort frisches Gemüse! 

Seine Erfahrungen gibt Nils auch weiter. Einerseits an andere landwirtschaftliche Betriebe - als Berater für Klimawandelmanagement - andererseits mit Workshops für Schulklassen. Er will den Kindern mitgeben: 

Die Arbeit in der Landwirtschaft macht Spaß!

Doch es ist mehr als das. Ihr Hof zeigt, dass Klimaanpassung kein Zukunftsthema ist, sondern längst Realität. Vier Freunde aus Fürstenwald beweisen, dass Landwirtschaft und Klimaschutz Hand in Hand gehen können – wenn man den Mut hat, Neues auszuprobieren.

Wie findest du den Hof Tolle? Kennst du andere landwirtschaftliche Projekte, die sich mit dem Klimawandel befassen? Schreib uns gerne in unseren sozialen Medien.

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