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Spätaussiedler erzählen

Was macht der Krieg mit Russlanddeutschen?

Junge Russlanddeutsche berichten aus ihrem Alltag
Isabell Voth

Am 24. Februar jährt sich der Ukraine-Krieg. Unsere Reporterin Isabell hat mit Russlanddeutschen aus Hessen über Vorurteile und Diskriminierung gesprochen.

Von Isabell Voth

Am 24. Februar jährt sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Seitdem stehen Russlanddeutsche im medialen Fokus. Unsaubere Berichterstattung mancher Medien fördern antislawischem Rassismus, sagt unsere Reporterin Isabell, die selbst Russlanddeutsche ist. Sie weiß aus ihrem eigenen Umfeld: Viele Russlanddeutsche erleben Diskriminierung. Isabell hat drei Russlanddeutsche aus Hessen gefragt, welche Auswirkungen Putins Krieg auf ihren Alltag hat.

David Giesbrecht aus Gießen
Isabell Voth
David Giesbrecht aus Gießen

„Ost-Feindlichkeit gab es schon immer“

David Giesbrecht (28), Student aus Gießen

David identifiziert sich aufgrund seiner Familiengeschichte als Russlanddeutscher. Im Zuge des Weltkrieges wurden seine Großeltern nach Sibirien deportiert. Von Sibirien ist die Familie dann eigenständig nach Kasachstan gezogen und von dort  1988 nach Deutschland migriert.

David: Also ich würde sagen, Ost-feindlichkeit gab es schon immer. Ich glaube nicht, dass der Krieg die Ursache dafür ist, aber er befeuert diese. In meiner russlanddeutschen Verwandtschaft, in meiner näheren Umgebung habe ich Diskriminierungserfahrungen mitbekommen. Also wo man dann tatsächlich angefeindet wurde als „Scheiß Russe“ und irgendwie alles in einen Topf geworfen wurde.

Es sind halt sehr oft Mikro-Aggressionen, die dann so dazu kommen. Solche Fragen wie „Ja, was denkst du denn über deinen Putin?“ Fragen, die dann mit einem subtilen Unterton kommen und dich einer bestimmten Gruppe zuordnen. Und zwar: du bist auch jemand von „den Bösen“.

Sie fügen dich in ein gewisses Narrativ ein: Russlanddeutsche sind alles Putin-Anhänger und gucken alle Staatsfernsehen, sind davon geprägt und feiern eigentlich Russland viel mehr. Integrieren wollen sich nicht. Und das ist ein Narrativ, das ich sehr gefährlich finde. Das ist auch nicht deckungsgleich mit dem, was ich erlebe.

Ich weiß davon, dass Russlanddeutsche viele Aktionen organisiert haben. Transporte von Hilfsgütern in die Ukraine oder auch Personentransporte von Geflüchteten aus der Ukraine nach Deutschland. Einige Russlanddeutsche bieten auch russische Übersetzungen in hessischen Kirchengemeinden an, damit auch ukrainische Geflüchtete in Gottesdienste kommen können, mitmachen und sie verstehen können.

Mit Russland selbst verbinde ich kaum etwas. Vielleicht die Sprache. Ich bin bilingual groß geworden, kann also Russisch. Ansonsten habe ich keine großen Bezüge zu Russland, vielleicht ein bisschen in der Literatur. Dostojewski, Tolstoi oder so, aber sonst nicht.

Russlanddeutsch zu sein hat für mich erst mal ganz viel mit meiner Familie zu tun. Ich bin eigentlich die allererste Generation seit Jahrhunderten, die nicht aufgrund von Verfolgungserfahrung umziehen muss. Da sind so viele Traumata passiert, dass gar nicht über die Vergangenheit gesprochen wird. Weder in meiner Familie noch bei anderen Russlanddeutschen, die ich kenne. Die Vergangenheit wurde verdrängt oder man will einfach nicht drüber reden. Russlanddeutsche sind eine verstummte Gruppe in Deutschland. Aus verschiedensten Gründen. Wir als junge Generation haben da schon die Verantwortung die Geschichten weiter aufzuarbeiten, nach dem Motto: Zurückschauen, sich erinnern und dadurch nach vorne schauen und weitergehen.

Das wünsche ich mir generell für unsere Gesellschaft in Deutschland: Miteinander unterwegs zu sein, zuzuhören, von der eigenen Geschichte zu erzählen, aber auch der Geschichte des Anderen zu lauschen und miteinander zu lernen.

Christina Lambertus aus Gießen
Isabell Voth
Christina Lambertus aus Gießen

„Der Krieg macht mich traurig“

Christina Lambertus (25), Studentin aus Gießen

Christinas familiärer Hintergrund macht sie zur Russlanddeutschen. 1997 sind ihre Eltern aus Kasachstan nach Deutschland migriert.

Christina: Als ich mitgekriegt habe, dass der Krieg ausgebrochen ist, fand ich das sehr hart. Das hat mich einfach traurig gemacht. Man kennt Leute aus der Ukraine und es kommt einem dadurch viel näher vor. Ich habe erlebt, dass viele Russlanddeutsche ihre russische Sprache auf einmal als Chance gesehen haben, den Geflüchteten aus der Ukraine helfen zu können. Man teilt dieses „in Deutschland ankommen“ und die Unwissenheit, an wen man sich wenden soll, wie das mit den Papieren zu regeln ist. Meine Verwandten und andere Russlanddeutsche, die ich kenne, sind da sehr engagiert und versuchen zu helfen.

Der russische Angriffskrieg verändert für mich in meiner Identität als Russlanddeutsche nicht so viel. Es ist jetzt auch nicht so, dass ich mich wegen des Krieges in allen Punkten von Russland als Land abgrenzen will, sondern, dass ich mich einfach schon vorher eher mit Kasachstan als mit Russland identifiziert habe. Und selbst da sind meine Eltern und nicht ich geboren. Und auch da waren meine Vorfahren irgendwie als Fremde dort. Rassistische Anfeindungen habe ich in meinem Umfeld bisher keine erlebt.

Russlanddeutsch zu sein, bedeutet für mich den familiären Hintergrund zu haben, dass meine Eltern und Geschwister in Kasachstan geboren sind. Dazu gehören auch russische Essgewohnheiten oder eben, dass ich als Kind Russisch als erste Sprache gelernt habe.

Natalia Wenzel-Warkentin aus Frankfurt
Isabell Voth
Natalia Wenzel-Warkentin aus Frankfurt

„Wir müssen das Demokratieverständnis stärken“

Natalia Wenzel-Warkentin (30), Journalistin aus Frankfurt

Natalia ist 1992 in einem kleinen Dorf in Westsibirien, in Russland geboren. Mit neun Monaten ist sie mit ihrer Familie, als eine der letzten Kernfamilien aus ihrem größeren Familienverbund nach Deutschland gekommen.

Natalia: Russlanddeutsche - AfD Anhänger, gleich Putin treu, Propaganda Jünger. Natürlich gab es auch differenzierte Berichterstattung, aber das war so, wie der Angriffskrieg die Russlanddeutschen ein, zwei Wochen nach Kriegsausbruch tangiert hat.

Durch meine eigene Arbeit als Journalistin versuche ich diese relativ plumpen Narrative nicht zu widerlegen, aber zu korrigieren. Ich weiß aber auch, dass es einige Leute verletzt hat wieder als die Problemgruppe gesehen zu werden. Als Russlanddeutsche hatte man wieder diesen Stempel der Putin treuen Russen drauf, während gleichzeitig super viele Menschen mit russlanddeutschen Wurzeln freiwillige Arbeit geleistet haben und Geflüchtete aus der Ukraine versorgt haben. Ich beobachte gerade in der jüngeren Community, die sehr stark über Social Media vernetzt ist, Austausch, große Solidarität und große Hilfsbereitschaft.

Die Russlanddeutschen bilden als Gruppe eine der größten migrantischen Communities in Deutschland. Alle über einen Kamm zu scheren ist einfach per se schon mal schlecht und nicht richtig.

Definition Russlanddeutsche

„Russlanddeutsche sind als Aussiedler:innen/Spätaussiedler:innen von 1950 bis heute nach Deutschland eingewanderte Menschen aus den Nachfolgestaaten der UdSSR. Ihre Vorfahren sind deutsche Siedler:innen, deshalb können sie eine Statusdeutscheneigenschaft bekommen und werden damit deutschen Staatsangehörigen formal gleichgestellt. Dennoch sind sie häufig von antislawischem Rassismus betroffen.“ (Quelle: Neue Deutsche Medienmacher:innen)

Man darf kein einseitiges Bild einer Millionen starken Volksgruppe zeichnen. Es ist trotzdem weiterhin wichtig zu sagen, dass es Russlanddeutsche gibt, die der russischen Propaganda glauben. Und das ist ein Problem. Ich denke, es hilft darüber zu sprechen und gemeinsam zu überlegen, wie wir die ganzen Narrative, die sie aus dem russischen Staatsfernsehen überliefert bekommen korrigieren können. Wir müssen ihr Demokratieverständnis stärken. Das ist super wichtig.

Ich würde ich mir wünschen, dass man bei Russlanddeutschen nicht immer die „Russland-Fahnen-schwingenden-Putin-Jünger“ in ihren Autos vor Augen hat. Man sollte uns wahrnehmen als heterogene Gruppe. Als Teil der deutschen Gesellschaft, weil wir das sind.

Sowohl in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch in der Community selbst herrscht noch viel Unwissen darüber, was wir Russlanddeutschen eigentlich für eine Geschichte haben. Auch in meiner Familie. Über viele Dinge wurde nicht geredet, über vieles geschwiegen, weil es nun mal eine lange Leidensgeschichte dieser Volksgruppe gibt.

Russlanddeutsch war sehr lange eine Kategorie, die ich mir nicht angeeignet habe, von der ich wusste, dass sie auf mich zutrifft. Erst im Zuge meines Studiums habe ich diese für mich entdeckt, als ich mich mit meiner Identität und meiner Herkunft auseinandergesetzt habe: Wo liegen meine Wurzeln als Russlanddeutsche? Diese Geschichte scheibchenweise aufzudecken und als Puzzle zusammenzusetzen, das hat für mich am Ende diese russlanddeutsche Identität ergeben, die ich dann für mich annehmen konnte. Eine Identität, von der ich wusste, woher sie kommt, was sie mit mir macht und wohin sie geht.

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