Endlich Wochenende. Ausschlafen. Wer in der Nähe einer Kirche wohnt, kommt häufig nicht in diesen Genuss. Denn so eine Kirche hat Glocken. Und die läuten. Laut. Und oft. Zu oft, wenn es nach einigen Anwohnerinnen und Anwohnern geht. Immer wieder sorgt das Glockengeläut für Ärger.
Das hat kürzlich auch Stephan Da Re erlebt. Er ist Pfarrer in der Johanniskirche in Wiesbaden. Es war nicht das erste Mal, dass sich Leute über das Läuten beschwert haben. Aber diesmal hat sich der Theologe ganz schön geärgert, denn das Schreiben kam von einem anonymen Absender. Und auch der Ton gefiel dem Gemeindepfarrer gar nicht. So schreibt der anonyme Verfasser etwa vom „unnötigen Gebimmel“.
Die Glocke ist zwar sehr schön geworden, aber die Anzeige ist trotzdem raus.@indeonMagazin@ekhn_de@epd_news@epd_MitteWest@FAZ_RheinMain@FAZ_NET@RTLHessen@1730Sat1live@katholisch_de@evangelisch_de@wknachrichten@wiesbaden_lebtpic.twitter.com/h9mPpmpyBl
— Stephan Da Re (@StephanDaRe) December 12, 2021
Jetzt ist der Streit weiter eskaliert: Die Eingangstür zum Kirchraum und Gemeindezentrum der Johanneskirche ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit einem Graffito beschmiert worden. Darauf ist groß eine durchgekreuzte Glocke zu erkennen und das Wort Ruhe in Großbuchstaben, sagte Pfarrer Stephan Da Re am Sonntag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Graffito habe er entfernt und Anzeige bei der Polizei erstattet.
Er würde gerne den Beschwerdeführer kennenlernen und mit ihm sprechen, sagte Da Re. Sich nur anonym zu äußern, sei eine "feige Tour". Die Leute würden dünnhäutiger, meinte Da Re. So gebe es auch Kritik am Kinderlärm aus der Kindertagesstätte im Gemeindezentrum.
Den anonymen Beschwerde-Brief hatte Da Re damals auf Twitter veröffentlicht. Ganz bewusst, wie er erzählt: „Ich bin der Meinung, dass bei so etwas ein klares Bekenntnis gefordert ist.“ Der Pfarrer ist aktiv in den sozialen Netzwerken, äußert sich zu aktuellen politischen Ereignissen – auch wenn das dem einen oder anderen nicht in den Kram passt.
Unnötiges Gebimmel
Für den Beitrag mit dem anonymen Schreiben erhielt der Wiesbadener innerhalb kürzester Zeit Hunderte Kommentare. Die einen gaben dem Briefschreiber recht mit Sätzen wie: „Lärmbelästigung – keine Sonderrechte für Kirche.“ Viele andere aber solidarisierten sich mit Da Re und sind offenbar Glocken-Fans. So schreibt etwa eine Userin, dass die Glocken für sie „ein geschätzter Wecker“ seien. Andere meinen: „Jeder Autolärm oder Laubbläser ist unangenehmer“ und „Man gewöhnt sich dran“.
Auch die indeon-Redaktion erreichte etwa ein Leserbrief, in dem sich ein Merzhausener positiv zum Glockengeläut äußerte: "Ob es zeitgemäß ist? Absolut. Grade jetzt wo der Werteverfall in unserer Gesellschaft voranschreitet. Ich denke das Glockenläuten ist neben dem religiösen Hintergrund auch ein Stück unserer Kultur."
Ein Freund meinte, das solltet ihr wissen. pic.twitter.com/14aBFW1FEw
— Stephan Da Re (@StephanDaRe) September 8, 2021
Gewöhnt man sich wirklich dran? Sollte man jedenfalls. Denn kürzlich hat das Verwaltungsgericht Frankfurt entschieden, dass die Kirchenglocken der evangelischen Kirche in Usingen-Merzhausen im Hochtaunuskreis weiter sonntags läuten dürfen und damit die Klage einer Anwohnerin abgewiesen.
Die Situation ist aber längst nicht immer so eindeutig, wie Thomas Wilhelm, der Glockensachverständige der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) erklärt. Denn Läuten ist nicht gleich Läuten. Man unterscheidet zwischen religiösem und weltlichem Läuten.
Sakrales Glockengeläut ist im Rahmen des Grundrechts auf freie Religionsausübung geschützt. Wird also zum Gebet oder Gottesdienst geläutet, ist das grundsätzlich erlaubt, auch mehrmals täglich. Zum weltlichen Glockenläuten zählt zum Beispiel der Stundenschlag oder das Läuten an Neujahr.
Wer dagegen rechtlich angehen will, hat schon bessere Chancen auf Erfolg – vor allem wenn es ums nächtliche Läuten geht. Denn laut Gesetz ist zwischen 22 und 6 Uhr Nachtruhe – auch für die Glocken.
Außerdem gibt es eine Lärm-Obergrenze. In der Nähe von Krankenhäusern oder in Kurgebieten gelten andere Grenzwerte. So oder so: Solche Werte sind am Ende des Tages natürlich immer subjektiv.
Thomas Wilhelm jedenfalls versichert: „Wir versuchen ständig, die Akustik von Glocken zu verbessern.“ Das funktioniere etwa über die Dämpfung des Geläuts. Holz oder Gummi können den Schall dämmen.
„Wenn ein Problem in einer Gemeinde auftaucht, gehen wir hin, messen, schauen wo Probleme liegen, finden einen Kompromiss“, sagt der Glocken-Experte und betont noch einmal: „Es sind nicht alle Leute gegen Glocken.“ Dabei verweist er etwa auf eine wachsende YouTube-Gemeinde, die sich für entsprechende Video-Formate über Glocken interessiere.
Es sind nicht alle gegen Glocken!
Pfarrer Da Re berichtet ebenfalls über große Zustimmung, die ihm nach dem Vorfall in seiner Gemeinde entgegenkam: „Mich haben viele Leute auf der Straße angesprochen und gesagt: Also wir finden das schön mit den Glocken.“
Da Re hatte als Reaktion auf den anonymen Brief ein Info-Blatt in den Schaukasten der Gemeinde gehangen und dieses auch auf Twitter veröffentlicht. Denn er wolle unbedingt mit den Menschen im Gespräch bleiben.
Das ist auch dem Glockensachverständigen Wilhelm wichtig: „Wir haben ein Defizit, was Wissen über Glocken angeht.“ Er wünscht sich, dass jede Gemeinde auf ihrer Internetseite über die Geläute informiert.
Außerdem wirbt der Glockenliebhaber für die Glocke als „emotionales Instrument“: „Beim Frankfurter Stadtgeläut ist die Stadt voll!“ Das würde zeigen, welche Anziehungskraft das Geläut auf Menschen hätte.
Und dann vergleicht der Kirchenmusiker Glocken noch mit einer Klangschalentherapie: „Glocken sind nichts anderes. Sie haben eine heilsame Wirkung.“
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