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Kindheit ohne biblische Geschichten

Mitgliederzahlen: Menschen verlassen die Kirche

Renate Haller
Kommentar von Renate Haller

Die Kirchen verlieren Mitglieder, und sie wollen wissen, warum das so ist. Eine Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland nennt Gründe.

Egal. Ein einziges Wort genügt, um den mit Abstand wichtigsten Grund zu nennen, warum Menschen aus der Kirche austreten. Sie ist ihnen egal. Nicht in der negativen Betonung von etwa „ist mir doch egal, dass es dir schlecht geht“, sondern im Verständnis von achselzuckender Gleichgültigkeit: „Ich habe mit Kirche und Glauben gar nichts zu tun, warum soll ich länger Mitglied sein?“ Eine Frage, auf die die Kirchen noch keine Antwort gefunden haben. Noch, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Evangelische Kirche verliert weiter Mitglieder

Die Gleichgültigkeit ist das zwar ernüchternde, aber auch erwartbare Ergebnis einer heute veröffentlichten Studie zu den Kirchenaustritten seit 2018. Erarbeitet hat sie das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die EKHN in Zahlen

Zum Stichtag 31. Dezember 2021 zählte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) rund 1,4 Millionen Mitglieder. Das sind knapp drei Prozent weniger als im Vorjahr. Als Ursachen nennt die Kirche in Darmstadt die wegen der Corona-Pandemie erhöhte Zahl von Sterbefällen und Austritte: 24.000 Menschen hat die Kirche bestattet, 24.000 sind ausgetreten.

Bundesweit gehören gut 19,7 Millionen Menschen der Evangelischen Kirche an. Das sind rund 2,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor.  

Forscherinnen und Forscher haben bereits vor einigen Jahren festgestellt, dass die religiöse Sozialisation abreißt. Eltern geben den christlichen Glauben und die religiöse, vielleicht auch emotionale Heimat in der Kirche nicht mehr an ihre Kinder weiter. 2019 hat die Freiburger Studie prognostiziert, dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder bis 2060 halbiert haben wird. Wahrscheinlich wird dieser Punkt früher erreicht.

Die Kirchensteuer oder auch kirchliches Engagement wie etwa für das Flüchtlingsschiff „Sea Watch“ vermuten viele als wichtige Austrittsgründe. Sie spielen eine Rolle, aber eine untergeordnete. Tatsächlich geht es um einen oft jahrelangen Prozess der Entfremdung.

Kirche spielt in Familien keine Rolle mehr

Gemeinsam mit dem Vater liest das Kind ein Bibel-Wimmelbuch.
privat

In der Familie spielt Religion keine Rolle, kein Abendgebet, keine biblischen Geschichten. Nach der Konfirmation reißt der Kontakt zur Kirche ab und irgendwann stellt man fest, „Ups, die Mitgliedschaft kostet ja etwas“.

Aber, so die Studie ganz klar, die Kirchensteuer ist mitnichten der Grund für den Austritt. Gedankenspiele, die Kirchensteuer in den ersten Berufsjahren auszusetzen oder zu staffeln, helfen deshalb nicht weiter.

Noch gibt es Berührungspunkte zu jungen Menschen: im Religionsunterricht und während der Konfirmandenzeit. Beides nimmt die Mehrheit als positiv wahr, aber nicht als religiös.

Hier verschenkt die Kirche eine Chance.

Ehemalige Konfirmandinnen und Konfirmanden berichten von erlebter Gemeinschaft, aber nicht von erlebter Religiosität. Zugegeben, pubertierende Jugendliche sind dafür wahrscheinlich schwer zu erreichen, aber ein bisschen mehr, als das Wiedersehen früherer Schulkameraden darf es schon sein.          

Was sagt die EKD-Ratsvorsitzende zu den Mitgliedszahlen

Die Kraft und Ausstrahlung einer Kirche hänge nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr angehören, sagte die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus. „Trotzdem werden wir sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern“, betonte sie und nannte gezielte Taufinitiativen. Mit zahlreichen Aktionen würden in vielen Regionen besondere Taufangebote gemacht. Damit wolle man Familien die Chance geben, die wegen der Corona-Pandemie versäumten Tauffeste nachzuholen. „Bei der Taufe eines Kindes erfahren wir unmittelbar, wie die Kraft des Evangeliums Menschen berührt und stärkt“, so Kurschus. „Der Segen begleitet die Getauften ein Leben lang. Diese Zusage ist gerade in unsicheren Zeiten verheißungsvoll und heilsam zugleich“, sagte die Ratsvorsitzende.

Es gibt gute Gründe, Mitglied der Kirche zu sein und dafür auch zu bezahlen:

  • Alten- und Jugendarbeit,
  • Hilfe für Arme und Schwache,

und das sind nur einige davon. Auch darum muss es gehen, wenn sich die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) am Samstag mit dem Sparprozess „ekhn2030“ beschäftigt.

Weniger Mitglieder = weniger Geld für die Kirche

Die Kirche muss sparen und ihren Gebäudebestand verringern, ja. Um die Details werden die Synodalen ringen. Denn auch die EKHN hat im vergangenen Jahr wieder Mitglieder verloren, ersten Hochrechnungen zufolge etwa drei Prozent. Aber es geht um mehr als die Möglichkeit, Räume auch für junge Menschen zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, wie diese Räume mit Leben gefüllt und die jungen Menschen tatsächlich erreicht werden.

Wie will Kirche in der Region wahrgenommen werden?

Auch die Konzentration in Nachbarschaftsräumen ist sinnvoll, ja. Aber auch nicht nur, um unterschiedlichen Zielgruppen jeweils andere Gottesdienste anbieten zu können. Die Menschen, und zwar möglichst schon die Kleinen in der Kita, müssen erleben, was evangelischer Glaube ist.

Stichworte sind

  • religiöse Gemeinschaft
  • Spiritualität
  • Kraft und Trost durch die Nähe zu Gott

Dabei geht es nicht um Größe, auch kleine Gemeinden und kleine Kirchen sind wertvolle Gemeinschaften.  Aber sie müssen nach außen zeigen, wer und was sie sind, warum es einen Unterschied macht, im Sportverein oder in der Kirche zu sein. Die Antwort muss die Kirche geben. Wer sonst? 

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