Du hältst die Hand deines Crushs auf der Straße. Plötzlich wirst du angestarrt, hörst Kommentare, vielleicht Schlimmeres. Damit bist du nicht allein, denn: Queerfeindlichkeit nimmt zu. Laut dem aktuellen BMI-Bericht hat die queerfeindliche Hasskriminalität 2023 einen traurigen Höchststand erreicht.
Was bedeutet das für queere Menschen, die einfach nur leben wollen – in Klassenzimmern, Kirchen, Fitnessstudios? Johannes Giel und Peter Annweiler, beide schwul und Teil der evangelischen Kirche, kennen diese Realität aus nächster Nähe. Im indeon-Interview sprechen sie über ihre eigenen Erfahrungen und darüber, warum Queersein kein Thema sein sollte – sondern Menschenrecht.
Woran habt ihr gemerkt, dass ihr in eurem Alltag diskriminiert wurdet?
Johannes Giel: Wenn ich mich im Fitnessstudio umgezogen habe und angespuckt worden bin – wegen meines Regenbogenarmbands. Oder mir Schüler nachgerufen haben: „So behindert wie der läuft, ist er bestimmt schwul.“
Die Prägung, in der viele Menschen aufwachsen, ist gar nicht unbedingt selbst gewählt. Das sind Systeme, in denen sie groß werden. Deswegen fordern heute Eltern zum Beispiel, queere Themen sollen im Biologieunterricht kein Gegenstand sein, mit dem die Kinder konfrontiert werden sollten.
Aber das sind nicht unsere Mehrheitserfahrungen. Die Mehrheitserfahrungen sind positiv und zugewandt. Es gab breiten Support von Schulleitung, Kollegium, von Schülerinnen und Schülern und in unserer Kirche.
Johannes Giel: Wir machen zunehmend Erfahrungen, von denen wir dachten, dass sie eigentlich nicht mehr möglich wären.
Ich erschrecke dann manchmal schon und denke: Wie schön waren die Zeiten des Aufbruchs. Man wurde als Bereicherung erlebt. Heute wird das doch wieder mehr zu einem Thema und zu einem Problem.
Wie geht ihr mit Queerfeindlichkeit um?
Johannes Giel: Ich versuche, mich davon freizumachen. Ich sage: Leute, erkennt mich – wer ich bin. Dass ich genauso Würde habe, genau derselbe Mensch bin. Aber es tut immer wieder weh.
Das sind Schmerzerfahrungen, mit denen wir schon lange gelernt haben, zu leben. Aber Glaube ist größer, durchdringt erlebte Realität. Wir sind keine Zumutung, sondern ein Geschenk des Himmels.
Glaube kann heilen, aber auch ausgrenzen. Welche Rolle spielt die Kirche dabei? Was steht dabei auf dem Spiel?
Peter Annweiler: Es geht nicht um eine „queere Lobbygruppe“, die für ihre Interessen kämpft. Bei Queerfeindlichkeit geht es nicht nur darum, dass Leute verletzt werden, sondern dass letztlich die Gottesbotschaft verraten wird. Es geht um Kirche, Demokratie, um Strukturen, ums Ganze.
Johannes Giel: Ich finde, wo die Liebe von Menschen infrage gestellt wird, wird auch Gottes Liebe infrage gestellt. Mit der Frage nach den Menschen geht es auch gleichzeitig um die Frage nach Gott.
Peter Annweiler: Queerfeindlichkeit ist Gotteslästerung. Weil es einfach nicht möglich ist, Gottes Liebe von Menschen zu trennen.