Glaube

Queer und gläubig: Warum das immer noch Mut braucht

Peter Annweiler und Johannes Giel (von links) sind beide Pfarrer und ein Paar.
Florian Riesterer
Glückliches Paar: Die Pfarrer Peter Annweiler und Johnanes Giel (von links)

Sichtbar queer zu leben - für viele Menschen ein Risiko. Zwei Pfarrer erzählen, wie sie Anfeindungen begegnen – und warum die Kirche ihr Zuhause bleibt.

Du hältst die Hand deines Crushs auf der Straße. Plötzlich wirst du angestarrt, hörst Kommentare, vielleicht Schlimmeres. Damit bist du nicht allein, denn: Queerfeindlichkeit nimmt zu. Laut dem aktuellen BMI-Bericht hat die queerfeindliche Hasskriminalität 2023 einen traurigen Höchststand erreicht.

Queersein heute: Identität, Diskriminierung & Widerstand

Was bedeutet das für queere Menschen, die einfach nur leben wollen – in Klassenzimmern, Kirchen, Fitnessstudios? Johannes Giel und Peter Annweiler, beide schwul und Teil der evangelischen Kirche, kennen diese Realität aus nächster Nähe. Im indeon-Interview sprechen sie über ihre eigenen Erfahrungen und darüber, warum Queersein kein Thema sein sollte – sondern Menschenrecht.

Woran habt ihr gemerkt, dass ihr in eurem Alltag diskriminiert wurdet?

Johannes Giel: Wenn ich mich im Fitnessstudio umgezogen habe und angespuckt worden bin – wegen meines Regenbogenarmbands. Oder mir Schüler nachgerufen haben: „So behindert wie der läuft, ist er bestimmt schwul.“

Die Prägung, in der viele Menschen aufwachsen, ist gar nicht unbedingt selbst gewählt. Das sind Systeme, in denen sie groß werden. Deswegen fordern heute Eltern zum Beispiel, queere Themen sollen im Biologieunterricht kein Gegenstand sein, mit dem die Kinder konfrontiert werden sollten.

Aber das sind nicht unsere Mehrheitserfahrungen. Die Mehrheitserfahrungen sind positiv und zugewandt. Es gab breiten Support von Schulleitung, Kollegium, von Schülerinnen und Schülern und in unserer Kirche.

Was bedeutet „queer sein“?

Queer ist ein Sammelbegriff für Menschen, die sich nicht mit heterosexuellen oder cis-geschlechtlichen Normen identifizieren. Er umfasst vielfältige Identitäten und Orientierungen – etwa lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter oder nicht-binär – und steht zugleich für eine Haltung, die gesellschaftliche Erwartungen an Geschlecht und Sexualität kritisch hinterfragt.

Peter Annweiler: Vieles ist selbstverständlicher geworden.

Und doch bin ich manchmal entsetzt darüber, wie junge Leute in der Seelsorge mit denselben Themen wiederkommen. Transpersonen und nicht-binäre Menschen schildern, wie sie diskriminiert werden.

Das ist ganz schön heftig, wie sich manches wieder zurückentwickelt. Wie kommt es, dass das, was 30 Jahre lang erstritten worden ist, jetzt wieder zur Disposition steht?

Peter Annweiler und Johannes Giel ziehen in die Kirche ein
Florian Riesterer
Peter Annweiler und Johannes Giel beim Einzug in die Kaiserslauterer Stiftskirche

Queeres Leben 2025: Weniger Akzeptanz

Johannes Giel: Wir machen zunehmend Erfahrungen, von denen wir dachten, dass sie eigentlich nicht mehr möglich wären.

Ich erschrecke dann manchmal schon und denke: Wie schön waren die Zeiten des Aufbruchs. Man wurde als Bereicherung erlebt. Heute wird das doch wieder mehr zu einem Thema und zu einem Problem.

Wie geht ihr mit Queerfeindlichkeit um?

Johannes Giel: Ich versuche, mich davon freizumachen. Ich sage: Leute, erkennt mich – wer ich bin. Dass ich genauso Würde habe, genau derselbe Mensch bin. Aber es tut immer wieder weh.

Das sind Schmerzerfahrungen, mit denen wir schon lange gelernt haben, zu leben. Aber Glaube ist größer, durchdringt erlebte Realität. Wir sind keine Zumutung, sondern ein Geschenk des Himmels.

Sichtbarkeit ist Schutz

Gerade in Social-Media erleben queere Menschen viel Hass und Diskriminierung. Deswegen zählt jeder positive Kommentar. Egal, ob Herz, Like oder liebe Worte: Wer Mut macht, macht den Raum sicherer. Für uns alle. 

Like für Peter und Johannes auf Instagram

Da hilft mir auch mein Glaube. Wenn Leute mir ihren Hass entgegenschleudern, dann ist das etwas, womit sie leben müssen. Ich werde daran nicht bitter, ich halte das ganz gut aus. Außer, es betrifft Jugendliche. Das triggert mich.

Die Systeme, in denen sie groß werden, generieren Werte, die nicht meine sind. Das finde ich manchmal schon befremdend.

Glaube kann heilen, aber auch ausgrenzen. Welche Rolle spielt die Kirche dabei? Was steht dabei auf dem Spiel?

Peter Annweiler: Es geht nicht um eine „queere Lobbygruppe“, die für ihre Interessen kämpft. Bei Queerfeindlichkeit geht es nicht nur darum, dass Leute verletzt werden, sondern dass letztlich die Gottesbotschaft verraten wird. Es geht um Kirche, Demokratie, um Strukturen, ums Ganze.

Johannes Giel: Ich finde, wo die Liebe von Menschen infrage gestellt wird, wird auch Gottes Liebe infrage gestellt. Mit der Frage nach den Menschen geht es auch gleichzeitig um die Frage nach Gott.

Peter Annweiler: Queerfeindlichkeit ist Gotteslästerung. Weil es einfach nicht möglich ist, Gottes Liebe von Menschen zu trennen.

Trans, queer, gläubig – und sichtbar in der Kirche? Eine Realität mit Hindernissen

Peter Annweiler: Wir leben in einer Gesellschaft, in der vieles, was uns selbstverständlich geworden ist, wieder zur Disposition steht.

Ich bin manchmal wirklich erschüttert, wo dieser Hass herkommt – auf Menschen, die nicht einer heteronormativen Lebensweise entsprechen. Manchmal gerade in sogenannten christlichen Kreisen.

Deswegen ist es wichtig, als evangelische Kirche zu zeigen, dass gleichgeschlechtliche und queere Lebensformen selbstverständlich sind. Wir brauchen mehr, als nur ein Etikett als etwas Besonderes.

Was erwartet ihr da von der evangelischen Kirche?

Johannes Giel: Ich wünsche mir, dass „faith spaces“ „safe spaces“ sind. Dass es eine noch bewusstere Willkommenskultur gibt, die angstfrei ist und die Begegnung ermöglicht, in aller Unterschiedlichkeit. Natürlich sollten auch Schulen „safe spaces“ sein für Schülerinnen und Schüler, die in ihrer Orientierung einen Schutzraum brauchen.

Peter Annweiler: Wichtig ist, dass es nicht bei Sprechblasen bleibt. „Alle sind willkommen“, sagt fast jede Kirchengemeinde.

Aber es ist trotzdem eine Nagelprobe, wenn man sich vorstellt: Ein Transmann geht sonntags in den Gottesdienst und wird nicht angestarrt. So weit möchte ich das eigentlich denken. Aber so weit sind wir an vielen Stellen doch noch nicht.

Was bedeutet das für die Einzelnen in ihrer Liebe?

Peter Annweiler: Schön wäre, wenn das alles keine Rolle mehr spielen würde. Wenn zwei Menschen sich lieben, können sie heiraten – egal welches Geschlechts und welcher Orientierung sie sind und egal, was andere darüber denken.

Peter Annweiler und Johannes Giel
Florian Riesterer
Peter Annweiler und Johannes Giel bei ihrer Trauung

Segnung & Trauung gleichgeschlechtlicher Paare

Für die Gleichstellung in den evangelischen Kirchen sind Segnung und Trauung von homosexuellen Paaren wichtig. Bereits seit den frühen 2000er-Jahren sind in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sowie der Evangelischen Kirche der PfalzSegnungen möglich. Diese Feiern wurden schrittweise zur offiziellen Trauung weiterentwickelt. Seit 2019 gilt deswegen in beiden Landeskirchen: gleichgeschlechtliche Paare können kirchlich heiraten, ihre Trauung wird im Kirchenbuch eingetragen und sie ist rechtlich sowie liturgisch gleichgestellt.

Es geht um die Personen, die Liebe, die Individualität. Nicht darum, aufgeklebte Etiketten nach außen zu tragen. Dahin zu kommen, ist für mich Evangelium.

Johannes Giel: Ich möchte mit Menschen, mit denen ich solche Erfahrungen mache, nicht auf dieselbe Weise umgehen. Dem Hass nicht mit Hass zu begegnen, das ist für mich schon die größte spirituelle Anfechtung.

„Liebe deine Feinde“, das ist eine Zumutung, an der man scheitern muss. Trotzdem sage ich:

Ihr bekommt meinen Hass nicht.

Ich habe eine andere Haltung als jene, mit der ihr mich verachtet.

Ich will diesen Menschen Gottes Liebe nicht absprechen. Aber ich sage, sie sind auf einem Weg, auf dem ich diese innere Erfüllung davon nicht spüre.

Was ist Evangelium, wo lebe ich das? Das ist für mich nicht vereinbar mit Menschenhass. Und wenn Menschen sich lieben, kann ich sie dafür nicht hassen. Das ist für mich ein Gegensatz, der nicht lebbar ist. Emotional wie spirituell.

Ihr wart das erste schwule Pfarrerpaar in der Pfalz, das mit kirchlichem Segen gemeinsam im Pfarrhaus lebte. Wie war der Weg dahin?

Peter Annweiler: Es war ein steiniger Weg dorthin und manchmal war es anstrengend, auf das zu schauen, was für andere schwierig ist – und dabei unsere Lebensrealität hinten anzustellen.

In dem Prozess für die gottesdienstliche Begleitung gleichgeschlechtlicher Paare musste eine Handreichung erarbeitet werden. Und ich habe mich immer gefragt: Warum soll man da etwas anderes sagen als in einem Gebet für ein heterosexuelles Paar?

Johannes Giel: Da war schon Angst, diesen Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen. Wir standen damals vor die Stiftskirche Kaiserslautern, und ich erinnere mich an Kommentare wie „Muss der da jetzt einziehen?“ Eine Frau neben mir sagte „Ja, wo ist denn hier die Braut?“ Und wir haben uns angeschaut und gesagt: „Es gibt keine.“

Wir hatten wahnsinnig Angst, dass die Veranstaltung von Fundamentalisten gesprengt wird. Das erste Pfarrerpaar in der Pfalz, das im Gottesdienst gesegnet wird und zusammen in einem Pfarrhaus lebt – das war schon für viele eine Anfechtung. Es war ein wunderbares Fest, aber es war nie angstfrei.

Was waren die größten Hürden, die ihr überwinden musstet?

Peter Annweiler: Ich musste die ganzen Diskussionen, Vorwürfe und Bibelauslegungen wieder und wieder hören – und mich dem stellen. Das war manchmal mühsam.

Und anfangs mussten wir für das Zusammenleben im Pfarrhaus eine Untermietkonstruktion machen. Da waren alle möglichen Ängste, was andere denken könnten.

Peter Annweiler und Johannes Giel schauen sich ein Fotobuch an
Florian Riesterer
Blättern in Erinnerungen an die Hochzeit: Peter Annweiler und Johannes Giel.

Jahrzehntelang kämpft ihr nun diesen Kampf. Was ratet ihr jungen queeren Menschen, die vor Angst haben, abgelehnt zu werden?

Peter Annweiler: Heute staune ich, wie weit wir gekommen sind. Und trotzdem gibt es Räume, in denen immer noch gefragt wird: Ist das erlaubt? Wir möchten aber nicht darüber sprechen, ob erlaubt ist, wer wir sind.

We`re queer and we`re here.

Johannes Giel: Lebt nicht an eurer Liebe vorbei. Geht nicht in die Selbstentfremdung. Denn daran geht man zugrunde.

Wenn ich meiner Liebe keinen Raum mehr schenke und mich in der Angst verkrieche, werde ich in mir nie Liebe spüren. Man gibt sich selbst verloren – als Mensch.