Soziales

Ehrenamtlich Notfallseelsorger: Es geht immer um den Tod

Lukas sitzt auf einem Stuhl im Studio und guckt direkt in die Kamera.
Arik Sürek
„Man darf mit den Menschen mitfühlen, aber nicht mitleiden“, betont Lukas.

Lukas Freund steht Menschen bei, die durch einen Todesfall im Schockzustand sind.

Die ruhige und aufmerksame Art von Lukas finde ich direkt sehr angenehm. Lukas lebt und arbeitet in Frankfurt, in der Finanzbranche. Er erzählt mir in meinem Podcast „echt gefragt - der Talk mit Lotte“, dass er selbst einen persönlichen Tiefpunkt und eine Jobkrise hatte. Damals hat er wenig Sinn in seinem Tun gesehen.

Nachdem er im Schweigekloster war und sehr gute Erfahrungen mit einem Therapeuten gemacht habe, wollte er etwas zurückgeben. Denn er habe gemerkt, wie gut es tun kann, wenn ein Fremder einfach nur zuhört. Er kann gut zuhören und sein Talent wollte er sinnvoll nutzen.

Deswegen hat er im Februar 2021 bei der Telefonseelsorge angefangen. Dort hat er bis April 2025 mit Menschen gesprochen, zum Beispiel über Probleme in der Partnerschaft oder Suizidgedanken. Für einsame Anruferinnen und Anrufer war er einfach ein regelmäßiger Gesprächspartner im Alltag. 

Host Charlotte und Lukas Freund sitzen sich gegenüber im Studio. Sie lächeln sich an und gucken nicht in die Kamera.
Charlotte Mattes
Lukas passt bei seinen Einsätzen auch auf sich auf. So bittet er zum Beispiel Menschen, die viel rauchen mit ihm auf den Balkon zu kommen, da er Zigarettenrauch nicht mag.

Zuhören schon als Kind gelernt

Schon als Teenager hörte er oft: „Du kannst echt gut zuhören.“ Mit einer großen Schwester und zwei älteren Cousinen lernte er früh, wie wichtig gute Kommunikation ist. Damals drehte sich vieles um Liebeskummer, Stress mit den Eltern und das ganz normale Chaos der Pubertät.

Hochwasser im Ahrtal bringt ihn zum Engagement als Notfallseelsorger

Die Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal 2021 weckte in ihm den Wunsch, mehr tun zu wollen. Am liebsten hätte er gerne vor Ort den notleidenden Menschen geholfen. Doch damals fehlten ihm das nötige Wissen und Fertigkeiten. So fand er den Weg zur Notfallseelsorge.

Seit anderthalb Jahren übernimmt er meistens vier 24-Stunden-Dienste pro Monat. Standard seien zwei Schichten, aber er könne und wolle mehr leisten. Das ist auch nur möglich, weil sein Chef sein Ehrenamt gutheißt und ihn unterstützt.

Oft verlaufen Lukas Dienste ruhig. Aber er hatte auch schon drei Einsätze in 24 Stunden. Das sei sehr herausfordernd. 

Kontakt zur Notfallseelsorge

Die Notfallseelsorge sucht immer Freiwillige. Wenn du mitmachen möchtest, dann findest du bei der EKHN Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für deine Region.

Lukas hat als Notfallseelsorger meist folgende Aufgaben:

  • Menschen in den ersten Stunden nach dem Schock halten und begleiten
  • Todesnachrichten überbringen
  • Menschen begleiten, deren Angehörige plötzlich verstorben ist
  • Menschen unterstützen, die einen Unfall miterlebt, gesehen oder verursacht haben
  • Beraten, ob Familien die Verstorbenen nochmal sehen wollen
  • Gemeinsam Abschied nehmen vom Toten, zum Beispiel mit einem Gebet

Wie ein Notfalleinsatz beginnt: Der Pager piept

Lukas trifft ein, wenn Polizei und Feuerwehr schon da waren. Er hat eine gepackte Tasche zu Hause, die er sich schnappt, wenn sein Pager piept. Darin sind ein Gebetsbüchlein, Flyer mit Unterlagen, Teddys für Kinder, etwas zu trinken und ein kleines selbstgeschriebenes Handbuch. 

Manchmal unterbricht er für seinen Einsatz auch Treffen mit seinen Freunden

Ich denke nicht, 'oh cool - ich darf wieder raus'.

Die Einsätze lehren ihn so viel beruflich und privat, dass er die Notfallseelsorge noch lange weiter machen möchte. Insbesondere die Art, wie man mit Menschen spreche und in Stresssituationen einen kühlen Kopf bewahren kann.

In Stressmomenten nutzt er eine Technik aus seinem Ehrenamt: Er denkt sich an einen Ort, der ihm Ruhe schenkt. Dieser Ruheort ist für ihn ein Bachlauf. Dort wo die kühle Erde das Ufer säumt, könne er in Gedanken gut durchatmen und runter kommen.

Notfallseelsorger dringt in Privatssphäre der Menschen ein

Host Charlotte und Lukas Freund sitzen sich gegenüber im Studio. Sie lächeln sich an und gucken nicht in die Kamera.
Charlotte Mattes
Lukas passt bei seinen Einsätzen auch auf sich auf. So bittet er zum Beispiel Menschen, die viel rauchen mit ihm auf den Balkon zu kommen, da er Zigarettenrauch nicht mag.

Die Menschen, die Lukas trifft, seien immer in einem Schockzustand, erklärt er. Besonders wenn er als Fremder zusammen mit zwei Polizisten in die Wohnungen oder Häuser der Menschen komme. „Die Personen wissen gerade nicht, wo oben und unten ist“, beschreibt er die Situation.

Sobald der erste Schock verdaut sei, versuche er die Menschen wieder ins Handeln zu bringen. Manchmal bittet er sie, Angehörige über den Todesfall zu informieren oder einfach ein ein Glas Wasser zu holen. 

Meistens bleibt Lukas ein bis zwei Stunden, aber es sei immer schwer abzupassen, wann er gehen könne. 

Ich könnte immer länger bleiben.

Er erinnert sich dann: Seine Arbeit sei „Erste Hilfe für die Seele“. Danach folgen andere Angebote, die dann dauerhaft unterstützen.

Meistens schafft Lukas die nötige Distanz und kann mit der Ungewissheit leben, nicht zu wissen, wie es mit den Menschen weitergeht. Er habe damit seinen Frieden gefunden.

Aber manche Einsätze kann er nicht so einfach loslassen. Er berichtet von einem Einsatz in einem „prekären Frankfurter Stadtteil“. Dort traf er eine Frau, die wütend auf ihren verstorbenen Ehemann gewesen sei, weil sie auf das Geld des Mannes angewiesen war. Ihr Sohn war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Lukas wüsste in diesem Fall gerne, wie es der Familie heute geht.

Lukas spricht auch manchmal ein Gebet

Lukas hilft Angehörigen beim Abschiednehmen. Er begleitet sie zum Beispiel noch einmal ins Schlafzimmer und betet mit ihnen, wenn sie das wünschen, bevor das Bestattungsinstitut den Verstorbenen abholt.

Manchmal muss Lukas für Angehörige entscheiden, ob es vertretbar ist, dass sie den Verstorbenen nochmal sehen. Das sei insbesondere bei Suiziden wichtig, abzuwägen.

Nach dem Einsatz erstmal Duschen

Nach jedem Einsatz telefoniert Lukas mit der Leitung der Notfallseelsorge. Er berichtet vom Einsatz, wie es ihm geht, was gut und was weniger gut lief. Dieses Telefonat ist für Lukas sehr wichtig.

Zu Hause angekommen, duscht Lukas immer umgehend. So schafft er Distanz zum Einsatz. Das sei für ihn dann besonders wichtig, wenn die Wohnung sehr verraucht und unaufgeräumt war. Meistens wäscht er auch seine Kleidung.

Danach lenkt er sich ab: Er schaut eine Dokumentation, trifft sich mit Freunden, geht in den Taunus wandern oder bespricht das Erlebte kurz mit Familie und Freunden. Dabei achte er sehr genau auf die Anonymität der Betroffenen. Nach schwierigen Einsätzen gibt es auch Supervisionen für Notfallseelsorger.

Nach ein paar Tagen sei alles bei ihm „eingesickert“ und auch wieder okay“ für ihn. 

Was macht Lukas' Engagement mit dir?

Ich finde das Engagement von Lukas sehr beeindruckend und unglaublich wichtig für die Gesellschaft! Wie findest du sein Ehrenamt? Ich freue mich auf deine E-Mail oder einen Kommentar bei unseren Social-Media-Kanälen:

Instagram

Facebook