Soziales

Trauma statt Therapie: Versagt Deutschland?

Im Evangelischen Zentrum Am Weißen Stein in Frankfurt bekommen Geflüchtete wie Jamshid Qadiri psychologische Hilfe.
Ergänzender redaktioneller Inhalt von Youtube

Eigentlich haben wir hier einen tollen Inhalt von Youtube für dich. Wisch über den Slider und lass ihn dir anzeigen (oder verbirg ihn wieder).

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von Youtube angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Jamshid floh vor Gewalt aus Afghanistan. Die Bilder verfolgen ihn. Im Gegensatz zu vielen anderen Geflüchteten hat er psychologische Hilfe erhalten.

von Hendrik Heim

Seit zwei Stunden liegt Jamshid wach. Schon wieder klebt Blut an seinen Händen. Obwohl er sie schon unzählige Male gewaschen haben muss, spürt er es ganz genau. Jamshid denkt ans Einschlafen, aber hat auch Angst vor den immer gleichen dunklen Träumen. Die Bilder lassen ihn nicht los.

Jamshid Qadiri hat ein Trauma erlebt. 2019 studiert er gemeinsam mit seiner Schwester an der Universität in Kabul. Es gibt einen Anschlag auf die Uni. Seine Schwester stirbt dabei. Ganz alleine muss Jamshid ihre Leiche aus dem Gebäude tragen. Überall an seinem Körper und seinen Händen ist Blut. Das verfolgt ihn noch Jahre später.

Warum Jamshid aus Afghanistan vor den Taliban fliehen muss

Zwei Jahre später übernehmen die Taliban die Macht. Genau die Organisation, die damals den Anschlag verübte. Jamshid betreibt inzwischen mehrere Fitnessstudios. Eines davon nur für Frauen im Militär und bei der Polizei.

„Sobald die Taliban an die Macht kamen, haben sie eine dieser Frauen getötet“, sagt Jamshid. Er könnte der Nächste sein, denn „dann haben sie herausgefunden, dass ich auch die Adressen der anderen kannte. Ich war in großer Gefahr“. Jamshid flieht nach Deutschland. Sein Körper ist jetzt Sicherheit, doch sein Kopf nicht.

Psychologische Hilfe bei Traumata für Geflüchtete

Psychosoziale Zentren für Geflüchtete und Folteropfer (PSZ) bieten Geflüchteten mit Traumata psychologische, psychotherapeutische und soziale Beratung. Oftmals arbeiten PSZ mit Dolmetscher*innen zusammen. Eine Liste aller Psychosozialen Zentren in Deutschland findest du auf der Website der BAfF e.V.

Jamshid bekommt Asyl – aber keine Therapie. Denn in den ersten drei Jahren nach ihrer Ankunft haben Geflüchtete nur in akuten Notfällen Anspruch auf ärztliche Versorgung. Eine Psychotherapie gehört in der Regel nicht dazu.

Ohne freie Träger wie das Evangelische Zentrum Am Weißen Stein in Frankfurt gäbe es oft nicht die notwendige psychologische Hilfe. Das Zentrum ist Teil des Psychosozialen Netzwerks Rhein-Main.

Isabel Hausmann leitet die Beratungs- und Therapiestelle: „Wir leisten essenzielle Hilfe für Geflüchtete, die sie sonst nicht bekommen würden.“ Sie betont:

Wir können zwar keine vollständige Therapie, aber erste Unterstützung anbieten.

Traumatherapie für Geflüchtete in Frankfurt

Psychotherapeutin Isabel Hausmann sitzt auf einem Stuhl und schaut in die Kamera
Aaron Kniese
Bei Isabel Hausmann hat Jamshid psychische Hilfe erhalten.

Im Evangelischen Zentrum in Frankfurt dürfen Geflüchtete bis zu 30 Therapie-Sitzungen besuchen. Wenn sie einen Platz bekommen. Denn der Bedarf ist riesig.

Laut dem Mediendienst Integration haben etwa 900.000 Geflüchtete in Deutschland eine posttraumatische Belastungsstörung – das sind fast ein Drittel. Rund 40 Prozent zeigen depressive Symptome.

Aber nur 3,3 Prozent der Betroffenen erhalten überhaupt psychologische Hilfe. Das zeigt der Versorgungsbericht Juni 2025 der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Im Bericht heißt es: „Es fehlt an einer stringenten Priorisierung von Rehabilitationsmöglichkeiten für Überlebende von Folter und schwerer Gewalt.“

Kämpfen um jeden Therapieplatz

Auch im Evangelischen Zentrum ist der Andrang groß. Isabel Hausmann betont: „Wir können nur absolute Notfälle aufnehmen. Und auch dann ist die Therapie oft mit Wartezeiten verbunden.“

Wer fördert die Therapie von Geflüchteten?

2025 werden die Psychosozialen Zentren für Geflüchtete und Folteropfer (PSZ) vom Bund mit etwa elf Millionen Euro gestärkt. Laut BAfF würden rund 27 Millionen Euro benötigt, um den tatsächlichen Versorgungsbedarf zu decken. Von den ca. 50 Millionen Euro, die jährlich rund 30.000 Klient*innen über etwa 65 Zentren erreichen, stammen nur rund sechs Prozent aus gesetzlichen Kostenträgern (z. B. Krankenkassen), der Rest aus öffentlichen Projektmitteln oder Spenden.

Für Fachkräfte ist das unattraktiv, sagt Isabell Hausmann. Große Träger wie das Evangelische Zentrum können das besser abfedern, aber auch sie stoßen an Grenzen.

Am Anfang habe ich nur geweint, wenn ich von meiner Geschichte erzählt habe“, beschreibt Jamshid die ersten Therapiesitzungen. Er war überfordert und hat sich „extrem große Sorgen um meine Familie gemacht“. Mit der steht er noch immer in Verbindung. 

Hunderttausende Geflüchtete in Deutschland brauchen psychologische Hilfe – doch sie bekommen sie oft nicht. Was denkst du nach Jamshids Geschichte: Sollte sich etwas ändern? Schreib uns deine Gedanken bei Instagram, Facebook oder per Mail. Oder teile den Text mit Menschen, die ihn lesen sollten.

Isabel Hausmann hat ihm Wege gezeigt, wie er mit diesen Gefühlen umgehen kann. Nach den 30 Therapiestunden schläft er besser, macht Sport und hat gelernt, sich in Deutschland zurechtzufinden. Die Dauer der Therapie ist individuell. Jamshid war etwa ein Jahr in Betreuung.

Sein Alltag ist durchgetaktet und gibt ihm Halt. „Von 7 bis 12 Uhr habe ich Deutschkurs.“ Danach lernt er in der Bibliothek weiter. Um 14 Uhr beginnt seine Arbeit. „Um 22 Uhr komme ich dann nach Hause – müde, aber glücklich.“

Jamshid ist nicht geheilt. Aber er hat etwas zurückgewonnen, was vielen Geflüchteten fehlt: Stabilität, Struktur, Sicherheit.