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Protokolle

Armutsbetroffen bei hoher Inflation: „So gehen wir damit um“

So leben arme Menschen in Deutschland
Fotos: privat

Steigende Preise und das Geld reicht hinten und vorne nicht aus? Wir haben mit Menschen über ihre Erfahrungen gesprochen. #ichbinarmutbetroffen

von Lauritz Rößler

Seit dem Frühjahr 2022 trendet der Hashtag #IchBinArmutsbetroffen in den Sozialen Netzwerken. Er gibt den Menschen eine Stimme, die sich aus Scham lange Zeit versteckt haben. Nun berichten sie über ihre Erfahrungen als arme Menschen im reichen Deutschland. Wie sieht der Alltag mit der aktuell hohen Inflation aus, wenn man zu wenig Geld hat? In den folgenden Erfahrungsberichten schildern das vier Betroffene.

„Gesunde Ernährung für meine Kinder ist kaum noch machbar.“

Franziska aus Berlin
privat

Franziska (41) aus Berlin, alleinerziehend mit 4 Kindern (13, 11, 8 und 6 Jahre alt), Sozialarbeiterin:

„Richtig zu schaffen machen mir gerade die Stromkosten, die durch die aktuelle Situation auf das Doppelte gestiegen sind und die vom ganz normalen Regelsatz bezahlt werden müssen. Dafür gibt es kein Geld zusätzlich, wie manche fälschlicherweise annehmen.

Hinzu kommt die Preissteigerung von Lebensmitteln, auch gerade was gesunde Ernährung angeht! Kalorien bekommt man vergleichsweise leicht zusammen, aber Gesundes, das ist schon echt schwierig. Sowas bekomme ich eigentlich nur durch Foodsharing-Aktionen oder Märkte, die kurz vor Feierabend noch ihre Reste deutlich günstiger anbieten. Die Lebensmittel sind dann aber vielleicht auch nicht mehr ganz frisch.

Das ist natürlich ein riesiger Aufwand für mich und Wahlfreiheit bleibt uns dadurch auch nicht. Aber für den Supermarkt reicht es halt einfach nicht. Und abends mal eine Pizza bestellen, das geht schon lange nicht mehr.

Kinderarmut: Worunter Kinder leiden

Richtig schwierig wird es dann, wenn die Kinder neue Schuhe brauchen oder eine neue Winterjacke. Was jetzt auch nichts Ungewöhnliches ist, denn sie sind noch im Wachstum. Ab und zu bekommen wir zwar mal Sachen von Freunden weitergegeben oder man findet auf dem Flohmarkt was. Aber je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es.

Die würden sich natürlich auch gerne mal selbst ihre Kleidung aussuchen. Dabei geht es nicht um Markensachen oder so, sondern einfach nur das bekommen, was ihnen gefällt! Das ist aber einfach nicht drinnen.

Und darunter leiden die Kinder schon. Und wenn jetzt zum Beispiel die Waschmaschine kaputtgehen sollte, dann war es das. Reserven für eine Neue habe ich nicht!

Erfahrungen mit Armutsdiskriminierung

Mit Armutsdiskriminierung habe ich selbst zum Glück bisher kaum Erfahrungen gemacht. Was auch stark damit zusammenhängt, dass Menschen für meine Situation ein gewisses Verständnis aufbringen: Schließlich ist bei einer alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern, von denen eines chronisch krank ist, klar, dass arbeiten zu gehen, nicht drin ist.

Diskriminierend ist allerdings, dass Kinder von armen Eltern in ihren Hobbys und Talenten weniger gefördert werden, weil die Eltern es nicht bezahlen können. Ich habe für meine Kinder zum Glück eine Stiftung gefunden, die Klavier- und Akrobatik-Unterricht übernehmen. Sonst könnten die Kids ihren Hobbys schlicht und einfach nicht nachgehen!“

„Es wird immer schwieriger, noch Geld für meine Medikamente übrig zu haben.“

David aus Dortmund
privat

David Hinder (39) aus Dortmund, ledig, Arbeiter im Niedriglohnsektor:

„Die extrem angestiegenen Preise bemerke ich am stärksten im Supermarkt. Ein Wocheneinkauf hat mich vor einem Jahr zum Beispiel noch so 20 Euro gekostet. Jetzt liegt er bei 50 bis 60 Euro.

Das hat zur Folge, dass ich viel weniger kaufe als vorher: Jetzt gibt es solchen „Luxus“, wie Süßigkeiten halt gar nicht mehr für mich. Und statt dem etwas besseren, gesünderen Knäckebrot gibt es halt nur das ganz billige.

Dazu kommt, dass ich chronisch krank bin: Ich habe Asthma und muss deshalb eigentlich immer noch ein wenig Geld für meine Medikamente übrig haben. Durch die gestiegenen Kosten wird es für mich aber immer schwieriger, dieses Geld im Portemonnaie zu behalten.

Dass ich vor Kurzem zu alle dem auch noch meinen Job verloren habe, macht die Situation besonders schlimm und bereitet mir große Sorge! Obwohl ich das leider schon gewohnt bin: Durch meine chronische Krankheit falle ich halt öfter mal aus und deshalb folgt eine Kündigung in diesen Niedriglohnjobs immer sehr schnell.

Für mich heißt das jetzt, dass ich bis ich wieder einen neuen Job gefunden habe, mit sehr wenig Geld auskommen muss. Das sind die nächsten Monate so etwa 400 Euro weniger als eh schon. Und das ist krass viel Geld - auch ohne Inflation.

Armutsdiskriminierung in der Gastronomie

Erfahrungen mit Armutsdiskriminierung? Die mache ich ständig: Ein Kunde einer Fast-Food-Kette zum Beispiel hat mir mal zugerufen: „Bevor ich bei McDonalds arbeite, bin ich lieber arbeitslos.“ Oder ich musste mir auch schon sagen lassen, dass ich ja nicht so schlau sein könne, wenn ich bei Starbucks arbeiten würde.

Gerade in der Gastronomie wird man halt einfach ständig angeschrien, runtergemacht und beleidigt. Einige Menschen meinen, nur weil sie Kunden sind, stehe ihnen alles zu.

Traurige Wahrheit ist aber auch, dass ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe und das schulterzuckend ignorieren kann.

Was ich hingegen nicht hinnehmen kann, dass immer wieder gesagt wird, man habe sich nur nicht genug angestrengt, wenn man arm ist. Denn Armut ist ein riesiges strukturelles Problem, und das hat mit persönlichem Versagen nichts zu tun!“

„Bei Hartz IV fängt es mit systematischer Diskriminierung an“

Jule aus Frankfurt
privat

Jule Peters (37) aus Frankfurt am Main, alleinerziehend, leidenschaftliche Elternbeiratsvorsitzende:

„Ich bin im Moment aufgrund der großen Preissteigerung durch die Inflation einfach überall am Sparen, wo es nur irgendwie möglich ist. Bei jedem Einkauf merke ich das besonders stark, weil ich dreimal gucken muss, was geht und was nicht geht.

Ich kaufe mittlerweile auch deutlich weniger extra als vorher: Die Tafel Schokolade, die mein 13-jähriger Sohn gerne hätte, ist jetzt eben nicht mehr drin. Damit ich ihm aber wenigstens mal eine Flasche Apfelschorle für die Schule kaufen kann, steige ich beim Trinken selbst mittlerweile mehr und mehr auf Tee um. Denn mit einer Packung Teebeutel komme ich eine ganze Woche aus.

Was mir aber am meisten weh tut, dass mein Kleiner wegen alledem in so vielem zurückstecken muss: Ich würde ihm so gerne mehr bieten können, mehr Chancen im Leben ermöglichen können.

Doch stattdessen hat er aufgehört, nach Sachen zu fragen oder gar Wünsche zu äußern, weil er weiß, dass er eh nur zu hören bekommt: ‚Es geht nicht.‘

Wie ich Diskriminierung erfahre? Es sind so diese kleinen Dinge. Es ist gar nicht unbedingt, dass ich ausgeschlossen werde, aber es sind diese Blicke, dieses fast ein bisschen Mitleidige, wo man sich auch schon einfach mies fühlt.

Armut in Social Media

Unter dem Hashtag #armutsbetroffen kannst du diese Erfahrungen via Social-Media teilen. Gerne in deinen Profilen, oder über unsere Kanäle auf: 

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Oder dass du von anderen Eltern in der Schule teils schief angeschaut wirst, wenn du beim Elternabend fragst, warum die Kinder schon wieder neue Heftumschläge brauchen, weil du einfach nicht weißt, womit du das Schulmaterial bezahlen sollst.

Die Armutsdiskriminierung fängt für mich schon bei Hartz IV an. Du musst dich bei jedem Antrag aufs Neue komplett nackig machen, Kontoauszüge vorlegen, alles Mögliche nachweisen. Du darfst ja nicht mal Hilfe von der Familie annehmen, weil die Geldbeträge als Schenkung gezählt und angerechnet werden.

Ich würde mir einfach so sehr wünschen, dass unsere Politik endlich aufhört, uns als die Bösen hinzustellen. Wir, die sich nackt machen und auch ganz viel in ihrem Leben ändern wollen, haben nicht vor, den Staat abzuzocken. Denn wir werden auch durch die Politik und unsere Gesellschaft in der Situation gehalten, in der wir sind. Ob wir es wollen oder nicht.“