Mojo fletscht die Zähne. Dem Hund gefällt es überhaupt nicht, dass Ärztin Meike Dewein an seine Weichteile will. Die junge Ärztin ignoriert sein männliches Gehabe und tastet vorsichtig ab.
„Eigentlich wollten wir nur zum Impfen kommen“, erzählt Frauchen Yvonne Letsch und seufzt. Dabei bleibt es wohl nicht. Denn wie Ärztin Meike Dewein feststellt, ist der 9-jährige Hund nicht kastriert. Das scheint aber nötig. Mojos Geschlechtsteil ist ungewöhnlich rot. Offenbar entzündet.
Frauchen Yvonne Letsch ahnt Schlimmes. Meike Dewein zückt ihr Handy und tippt etwas in den Taschenrechner. „Mit allen drum und dran sind das um die 350 Euro“, spricht sie schließlich die befürchtete Botschaft aus. Sofort ergänzt sie: „Das können sie in Raten zahlen.“ Yvonne Letsch überlegt kurz. Doch sie will das Geld lieber sparen, wie die 41-jährige Frührentnerin aus Frankfurt erzählt. „Es tut ihm ja weh“, sagt sie und schaut ihren Vierbeiner mitleidig an.
Die Tiere sind in der Regel die einzigen Sozialpartner der Menschen
Fritz Merl
Meike Dewein ist eine der insgesamt vier Tierärztinnen und Tierärzte, die sich im Verein „Soziale Tier-Not-Hilfe Frankfurt e.V. “ engagieren. Jeden ersten Samstag im Monat stehen sie ab mittags in der B-Ebene der Bahnhaltestelle Frankfurter Hauptwache und versorgen die Tiere armer Bürger*innen.
Die Idee zum Verein hatte Maja Firlé 2008. Die 52-jährige Tierärztin aus Belgrad hatte sich schon seit Jahren gefragt: Wie kann man Leuten helfen, die sich die Kosten für den Tierarzt nicht leisten können? Sie beschloss, zu handeln und versorgte die Tiere der Frankfurter Punks.
Das sorgte jedoch schnell für Probleme, wie die Ärztin mit fransiger Kurzhaarfrisur und Leder-Rock in ihrer Praxis am Frankfurter Westbahnhof kurz vor dem Einsatz erzählt. Medizinische Leistungen ohne dafür Geld zu nehmen – das passte der Tierärztekammer überhaupt nicht. Ab sofort zahlte der Verein die Rechnungen.
Ganz umsonst sind die Behandlungen in der Tiersprechstunde an der Hauptwache nicht. Zehn Euro muss jedes Frauchen oder Herrchen zahlen. Eine Untersuchung ist nur möglich, wenn die Hilfesuchenden ihre Notlage beweisen können. Also etwa durch das Vorzeigen eines Rentenbescheides.
Die meisten der Frauen und Männer, die das Angebot wahrnehmen, sind Rentner*innen, arbeitslos, obdachlos oder kommen aus der Punk-Szene. Wenn ein Fall zu kompliziert ist und vor Ort nicht machbar ist, erhält der oder die Halterin einen Überweisungsschein. Dann führt Maja Firlé die Behandlung in ihrer Praxis fort. Auch hier übernimmt der Verein die Kosten.
Die emsige Ärztin ist auf dem Sprung. Es ist längst nach Mittag. Jetzt muss es schnell gehen. Maja Firlé hievt einen schwarzen Roll-Koffer auf den Behandlungstisch. Mit gezielten Handgriffen zieht sie Spritzen, Medikamente und Verbände aus den Schränken und wirft sie in den Trolli. Die Zeit drängt: Um 13 Uhr stehen die ersten Patienten an der Hauptwache Schlange. Viele der Medikamente erhält das Team von Spendern. „Meistens, wenn die Tiere gestorben sind“, sagt Firlé.