Anzeige
Anzeige
Psyche

Gewalt bei der Geburt? Wie es Müttern damit geht

Schwarz-Weiß-Aufnahme der Mutter, die ihr Neugeborenes direkt nach der Entbindung hält
gettyimages/encrier

Eine Geburt ist sehr intim. Für einige ist sie traumatisch. Und zwar dann, wenn sie durch das Gesundheitspersonal Gewalt oder Respektlosigkeit erfahren.

Gebärende berichten von Damm- oder Kaiserschnitten ohne medizinische Notwendigkeit, davon, dass sie mit Schmerzen alleine gelassen wurden und von Respektlosigkeit. Sie erzählen von langwierigen, schmerzhaften Untersuchungen, über die sie vorab niemand informiert hat. Die Elterninitiative „Gewaltfreie Geburtshilfe“ will über Gewalt in der Geburtshilfe aufklären.

Erfahrung mit Gewalt in der Geburtshilfe

Anja Müller (Name von der Redaktion geändert) hat zwei kleine Kinder und zweimal hat sie während der Geburt Gewalt erfahren, wie sie gegenüber indeon.de sagt. Gehofft habe sie jeweils auf „eine natürlich Geburt“, weil es vorab keine Komplikationen gab. In der Klinik sei sie dann aber „in eine Maschinerie geraten“.

Geburtsbericht: Über Gewalt im Kreißsaal sprechen

Anja Müller fühlte sich im Mai 2021 gut vorbereitet, als sie zur Geburt in der Klinik ankam, sagte sie.  Sie hatte in der Geburtsvorbereitung gelernt, dass sie Wehen auch im Stehen begegnen kann. Eine Hebamme im Krankenhaus lehnte das ab. Der Kopf sitze nicht fest im Becken, sie müsse liegen, habe sie ihr gesagt. Eine zweite Hebamme habe das anders gesehen, sich aber nicht durchsetzen können. Die Auseinandersetzung zwischen den Geburtshelferinnen war für die werdende Mutter sehr unangenehm.

Gedenktag für eine gerechte Geburt: 25. November

Rosen vor Kliniken oder Kreißsälen sind kein gutes Zeichen: Mütter legen sie ab, um zu zeigen, dass sie an diesem Ort Gewalt erfahren haben. Sie tun das seit 2011 weltweit am sogenannten „Roses Revolution Day“, dem 25. November.

Im weiteren Verlauf sollten die Herztöne des Kindes dauerhaft kontrolliert werden. Die praktizierende Hebamme versuchte versehentlich, das medizinische Gerät dazu im Körper der Mutter zu befestigen, statt am Kopf des Kindes. Auf ihre Schmerzensschreie hin sei ihr gesagt worden:

Da müssen Sie jetzt durch.

Erst nach einem weiteren schmerzhaften und ergebnislosen Versuch habe eine andere Hebamme verstanden, dass hier etwas nicht stimme und eingegriffen.

„Hätte man mir gesagt, dass die Hebamme unerfahren ist, hätte ich trotzdem in den Versuch eingewilligt“, sagt Anja Müller. Aber das Personal hätte ihre Schmerzen ernst nehmen müssen, betont sie. Tatsächlich aber habe man ihr vermittelt, zu empfindlich zu sein.

Wenn die PDA nicht anschlägt

Die 37-Jährige erlebte das gleiche kurz darauf bei der Periduralanästhesie (PDA). Die Hebamme glaubte ihr lange nicht, dass sie noch immer starke Schmerzen hatte. Es stellte sich heraus, dass ein Teil ihres Körpers überhaupt nicht betäubt war.

Häufig geht es um Respektlosigkeit und fehlende Kommunikation“, sagt Saskia Riemer von der Elterninitiative „Gewaltfreie Geburtshilfe“. Die Gebärende werde unter der Geburt als nicht zurechnungsfähig gesehen, immer wieder spreche und entscheide das Personal über ihren Kopf hinweg.

Bei fast 90 Prozent aller Geburten wird interveniert, sagt Saskia Riemer. Medizinisch sei das oft nicht notwendig.

Trauma auch bei zweiter Geburt

Anja Müller hat nach der ersten Geburt aufgearbeitet, was ihr passiert ist. „Im Vertrauen darauf, dass es auch anders geht“, ist sie zur zweiten Geburt in das gleiche Krankenhaus gegangen.

Doch auch dieses Mal sei ihr im Kreißsaal gesagt worden, dass sie beim Pressen nicht stehen dürfe, weil die Hebamme „keine Lust“ habe, „jemanden vom Boden aufzuheben“. Und sie traf auf eine Ärztin, die nicht mit ihr sprach. „Ich wurde in eine Geburtsposition gepresst, die sich nicht gut für mich angefühlt hat, und schließlich sind sie auf mich drauf gestiegen, um die Geburt zu beschleunigen.“

Hilfetelefon Schwierige Geburt

Unter ☎ 0228 9295 9970 erreichst du das Hilfetelefon nach schwieriger und belastender Geburt. Beratungszeiten sind mittwochs von 12 bis 14 Uhr und donnerstags von 19 bis 21 Uhr.

„Die Frau wird im Kreißsaal als ‚Container für das Kind‘ gesehen“, kritisiert Katharina Desery vom Elternverein „Mother Hood“. Mit einer solchen Rolle als Objekt hätten viele Frauen Probleme.

Der Verein hat deshalb vor drei Jahren ein Hilfetelefon eingerichtet, das stark genutzt werde. Gebärende müssten über das sprechen, was ihnen bei der Geburt passiert, sagt Katharina Desery. Von Kliniken fordert „Mother Hood“, die Patient:innenrechte einzuhalten.

„Immer wieder werden auch die Rechte von Frau und Kind gegeneinander ausgespielt“, sagt die Diplom Psychologin Claudia Watzel. Sie arbeitet seit Jahren zu dem Thema und berät betroffene Gebärende in einem Berliner Stadtteilzentrum.

Werdende Mütter unter Druck setzen

Wenn Gebärende einer Intervention nicht zustimmen, werde ihnen gesagt, dass dann ihr Kind stirbt. „Gewalt hinterlässt Spuren bei den Frauen und in den Familien“, betont Claudia Watzel.

Hashtags

#GewaltunterderGeburt

#GewaltinderGeburtshilfe

#traumatischeGeburt

#RosesRevolution

In der Folge könne es unter anderem zu Postpartalen Depressionen und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) kommen.

Die Psychologin Lea Beck-Hiestermann forscht zu postpartalen psychischen Störungen. Nach ihren Worten entwickeln etwa vier bis sechs Prozent aller Gebärenden nach der Geburt eine PTBS, die oft lange nicht erkannt werde. Wenn es schließlich eine Diagnose gibt, haben die Gebärenden es schwer, einen Therapieplatz zu finden. „Frauen mit einer PTBS und einem kleinen Kind schaffen es nicht, sich bei 20 Therapeutinnen vorzustellen, um nach einem Platz zu suchen“, sagt die Psychologin.

Oft spielten die Gebärenden auch herunter, was ihnen passiert sei und gäben sich selbst die Schuld, wenn sie sich nicht über ihr Kind freuen könnten.

Mütter haben keine Lobby

Lea Beck-Hiestermann

Sie kritisiert, dass es zu diesem Thema auch keine großen Studien gebe.

Das Tabu brechen und darüber sprechen

Dich bewegt dieses Thema und du möchtest darüber sprechen? Für vertrauliche Gespräche empfehlen wir dir mit eine:m Psycholog:in vor Ort zu sprechen oder das Hilfetelefon 0228 9295 9970 anzurufen. Wenn du öffentlich deine Erfahrungen teilen möchtest, dann beteilige dich gerne auf unseren Social-Media-Kanälen: 

Instagram

Facebook

Twitter

In einen Positionspapier des Deutschen Hebammenverbands von 2020 ist die Rede von zehn bis 25 Prozent der Gebärenden in Deutschland, die Gewalt unter der Geburt erfahren. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Strukturelle Probleme bei der Geburt

Martina Klenk, Vorsitzende des Landesverbands der Hessischen Hebammen, verweist auf strukturelle Probleme in den Krankenhäusern. Hebammen müssten zwei bis fünf Geburten gleichzeitig betreuen. Notwendig sei eine 1:1-Betreuung.

Fehlendes Personal sei allerdings keine Entschuldigung für falsches Verhalten, sagt Martina Klenk. Sie habe im Kreißsaal auch den sogenannten „husband stitch“ erlebt, wenn ein Arzt den Damm nach einer Geburt enger zunäht, als es sein muss. „Das ist Sexismus und Gewalt“, sagt sie. Der Verband habe deshalb Fortbildungen konzipiert und Empfehlungen für traumasensible Geburten herausgegeben.

Gewalt bei der Geburt aus der Tabuzone rausholen

Die Verbandsvorsitzende ist froh, dass immer mehr Betroffene berichten, was ihnen passiert. Ihre Kolleginnen würden zwar „fürchterlich erschrecken“, wenn am „Roses Revolution Day“ eine Rose vor dem Kreißsaal liegt, aber das zwinge zur Reflektion. „Wir müssen das Problem lösen, Gewalt unter der Geburt darf es nicht geben“, betont Martina Klenk.