Vitamine von der Wiese

Unterwegs mit der Kräuterfrau im Taunus

Collage: Frau mit roter Jacke, Kräuter am Boden und verarbeitet im Glas
Renate Haller

Vitamine von der Wiese? Kräuterfrau Regine Ebert verrät dir, was Kräuter mit Göttern zu tun haben und gibt ein Rezept für einen (alkoholfreien) Magenbitter.

Engelwurz steht für die Heilige Dreifaltigkeit und Efeu für den griechischen Gott Dionysos. Kräuter und Götter, das war einmal eine selbstverständliche Verbindung. Kräuterexpertin Regine Ebert verrät dir, warum. Und auch, wie man einen Digestif mit Kräutern von der Wiese herstellt.

Zwei Hände legen auf dem Boden ein kleines Kraut frei.
Renate Haller
Schon Ende Februar findet Regine Ebert auf einer Wiese frisches Scharbockskraut. Das Kraut ist ein Lieferant für Vitamin C.

Ein sonniger, kalter Tag Ende Februar. Auf dem kleinen Spielplatz am Ortsrand des Taunusdörfchens Obernhain frieren ein paar Eltern, während die Kleinen rutschen und schaukeln. Regine Ebert lächelt den Kindern zu und steuert eine kleine Holztreppe am Ende des Spielplatzes an. Wenige Stufen führen abwärts auf eine Wiese, rechts plättschert ein Bach, am Ufer stehen hohe Weiden.

Kräuter zu jeder Zeit des Jahres

Die Wiese sieht für das ungeübte Auge aus, wie eine Wiese um diese Jahreszeit so aussieht: Grasbüschel, deren Grün schon lange die Frische verloren hat, braune Stängel von Pflanzen aus dem letzten Sommer. Das Ganze dank des Regens der vergangenen Tage in Matsch gebettet.

Kräuterfrau findet Vitaminlieferanten auf der Wiese

Kräuterschule im Taunus

2016 hat Regine Ebert ihre „Kräuterschule Taunus“ eröffnet. Die Phytologin bietet Kurse zur Wildkräuter- und Pflanzenheilkunde an, Kräuterführungen und Seminare, Tees und Essenzen aus Wildkräutern. Vor wenigen Wochen ist im at-Verlag ihr Buch erschienen „Beinwell – Knochenheiler aus der Pflanzenwelt“.

www.regine-ebert.de

Regine Ebert sieht mehr: „Ah, da ist es ja schon“, sagt sie und bückt sich: Scharbockskraut. Kleine rundliche, grüne Blätter, unscheinbar. „Ein hervorragender Vitamin C-Lieferant“, erklärt die Kräuterexpertin und freut sich, als sie wenige Schritte weiter Giersch entdeckt. Ebenso wie der Bärlauch entgiftet er und regt den Stoffwechsel an.

„Die Natur gibt uns genau das, was wir gerade brauchen und holt uns aus dem Winterschlaf“, sagt die Fachfrau. In dem frischen Grün stecke geradezu göttliche Lebenskraft der Mutter Erde. Sie zitiert Hildegard von Bingen: „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und diese Kraft ist grün.“

Giftiges Efeu ist dem Gott Dionysos gewidmet

Der Weg führt hinein in ein kleines Wäldchen. Dort wächst unter anderem Efeu. Die Pflanze ist immergrün, blüht im Winter und steht für das ewige Leben. Im antiken Griechenland war Efeu dem Gott Dionysos gewidmet.

Efeu kann giftig sein, aber auch heilen. Dann: lindert er Husten, löst Schleim und hat eine berauschende Wirkung.
canva/153photostudio

Die Pflanze ist giftig, wohldosiert aber lindern ihre Wirkstoffe Husten, lösen Schleim und haben eine berauschende Wirkung. „Oh sehet, es erregt mir den Geist der Efeu, der zum bacchischen Lusttaumel mich entrückt“, ist von dem griechischen Dichter Sophokles überliefert, erzählt Regine Ebert schmunzelnd und zeigt ein kleines frisches Efeublatt.

Gott des Weines fühlt sich bei Efeu-Pflanzen wohl

Laut griechischer Mythologie sollen Verehrer von Dionysos geglaubt haben, dass dort, wo viel Efeu wächst, Dionysos anwesend ist. Der Gott des Weines war so beliebt, dass seine Anhänger unterjochte Völker zwangen, ihm zu huldigen.

Im zweiten Buch der Makkabäer ist beschrieben, wie es den Juden in Jerusalem erging, als die Griechen die Stadt besetzt hatten: „Wenn man aber das Fest des Dionysos beging, zwang man sie, dass sie mit Kränzen von Efeu dem Dionysos zu Ehren einherziehen mussten (2. Makk 6). 

Die ersten Christen, schreibt Marianne Beuchert in ihrem Buch „Symbolik der Pflanzen“, legten gläubige Verstorbene auf Efeu, das in der Symbolik auch für Treue steht. Nicht-Bekehrte lagerten sie auf Zypressen. „Wer in Christo getauft ist, ist unsterblich, die Ungetauften aber sind ohne Hoffnung auf Auferstehung, gleich den Zypressen, die einmal gefällt, nie mehr nachwachsen.“

Menschen glauben, dass sich Gott auch in Kräutern verkörpert

Die Verbindung zwischen Göttern und Pflanzen kam von der frühen Sicht der Menschen, die Erde als Spenderin allen Lebens zu begreifen, erklärt Regine Ebert. Die ehemalige Redakteurin der Frankfurter Rundschau hat ihr Interessensgebiet zum Beruf gemacht.

Eine Frau in einer roter Jacke steht in einem Wald.
Renate Haller
Regine Ebert sucht im Wald nach Engelwurz. Die Pflanze hat eine antivirale Wirkung.

Vorherrschend sei der Gedanke gewesen, dass sich in jedem Menschen, jedem Tier und auch in jeder Pflanze der jeweilige Gott verkörpere. Einen Hinweis darauf gäben etwa Schöpfungsmythen, in denen der Mensch aus einem Baum entstanden ist.

In der nordischen Mythologie entstand der Mann aus einer Esche, die Frau aus einer Ulme. Aus Mexiko gebe es Überlieferungen, nach denen der Mensch aus einem gespaltenen Baum entstand.

Göttin Freia versteckt Kinderseelen in Erdbeer-Blüten

„Die Verbindungen von Christentum und Kräutern gehen zurück auf frühere Götter“, sagt die 60-Jährige. Christen hätten Überlieferungen auf eigene Heilige übertragen. Ein gutes Beispiel sei die germanische Göttin Freia, Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit.

Eine ihrer Pflanzen war die vitaminreiche Erdbeere. Freia soll die Seelen verstorbener Kinder in den Blüten der Erdbeere versteckt und so in das Totenreich Walhalla geschmuggelt haben. Ein Ort, der heldenhaften Kriegern vorbehalten war.

Maria pflückt Erdbeeren für verstorbene Kinder

Später, bei den Christen, war es die Gottesmutter Maria, die jedes Jahr zur Erde kam, um Erdbeeren für die verstorbenen Kinder im Paradies zu pflücken. In der christlichen Symbolik steht das dreigeteilte Blatt der Erdbeere für die Heilige Dreieinigkeit, erklärt die ausgebildete Phytologin.

Das Erdbeerblatt symbolisiert im Christentum die Dreieinigkeit: Vater, Sohn & Heiliger Geist.
canva/karandaev; Danny Smythe

Engelwurz mit Heiligenschein

Regine Ebert hält in dem kleinen Wäldchen den Blick auf den Boden gesenkt, sucht nach ersten Trieben der Engelwurz. Im Sommer geht der Blick bei der Suche nach oben: Die Engelwurz – auch Heiliggeistwurzel genannt – wird mannshoch und wächst im Wald genau dort, wo Licht einfällt. „Das sieht manchmal aus wie ein Heiligenschein“, sagt Regine Ebert.

Kräuterfrau gibt Kurse

Regine Ebert in ihrer roten Jacke hockt auf dem Boden und hat beim Kräutersuchen eine Kelle in der Hand
Renate Haller

An diesem Nachmittag ist kein Engelwurz zu finden. Aber in ihrer nahe gelegenen Kräuterschule hat Ebert einen Vorrat von Samen und Wurzelstücken.

In dem kleinen Lehrraum brennt ein Feuer im Holzofen, an den Wänden hängen Bilder einzelner Kräuter, und auf einem Regal im Nachbarraum stehen braune Apothekergläser aufgereiht von B wie Baldrian bis W wie Wermut.

Seit 2016 unterrichtet die Kräuterexpertin hier vor allem Frauen aus dem Gesundheitswesen in Wildkräuter- und Heilpflanzenkunde. Neben ihren Kursen bietet sie Kräuterwanderungen und -vorträge an, fertigt Salben und Essenzen und hat kürzlich ein Buch über Beinwell geschrieben.

Rezept Magenbitter mit Kräutern

selbstgemacht

Zutaten: je einen Teelöffel

  • Engelwurz-Wurzel
  • getrocknete Kamille
  • Schafgarbe
  • Beifuß
  • Melisse
  • Löwenzahnwurzel 
  • Johanniskraut
  • eine halbe Zimtstange
  • vier Nelken

Alles in ein Glas geben und mit 300 ml Rum auffüllen. Vier bis fünf Tage stehen lassen, filtern und einige Tage nachruhen lassen. Der Magenbitter wirkt appetitanregend vor dem Essen, verdauungsfördernd danach. Er ist aber auch allgemein ein Stärkungs- und Kräftigungsmittel.

Wer ein alkoholfreies Rezept möchte, nimmt statt Rum eine Mischung aus Essig und Honig und kocht das Ganze leicht auf. 

Erzengel zeigt Mönch, wie er sich vor der Pest schützen kann

Ihre Verbindung mit der Dreieinigkeit hat die Engelwurz wegen der Blattscheiden beidseitig der Dolde. Die Verbindung zu den Erzengeln kommt einer Legende zufolge aus der Zeit der Pest. Ein Erzengel sei zur Erde gekommen und habe einem Mönch gezeigt, wie er sich vor der Krankheit schützen könne. Nämlich indem er die Wurzeln der Engelwurz kaue. Diese hat antibakterielle und antivirale Wirkstoffe.

Räuber schützen sich mit Kräuteressig

Regine Ebert kennt auch die Legende von einer Räuberbande, die während der Pest die Häuser von Verstorbenen plünderte. Nachdem man sie gefasst hatte, sollten die Räuber verraten, warum sie sich nicht angesteckt haben. Als Lohn versprach man ihnen, sie am Leben zu lassen. Und so erzählten sie von einem Essig aus Thymian, Salbei, Minze, Nelke, Zitwerwurzel und Engelwurz.

Viele Kräuter wissenschaftlich gut untersucht

Es gibt die Legenden, aber es gibt auch die Wirksamkeitsnachweise einiger Pflanzen. Kamille, Weißdorn oder Johanniskraut etwa seien wissenschaftlich sehr gut untersucht, erklärt Ebert. Das passiere vor allem dort, wo man sich großes Potenzial verspreche, was Bedarf, Wirksamkeit und die Aussicht auf finanziellen Erfolg angeht.

Einerseits ist das gut, sagt Ebert, man habe medizinisch viel erreicht. Andererseits gingen manche Forschungen in die falsche Richtung. Als Beispiel nennt sie das Johanniskraut. Nachdem man herausgefunden hatte, dass das enthaltene Hypericin gegen Depressionen hilft, habe man Pflanzen mit hohem Hypericingehalt gezüchtet – mit mäßiger Wirkung.

Kräuterexpertin Ebert verfolgt ganzheitlichen Ansatz

Das zeigt, betont Ebert, dass man beides sehen müsse: die Einzelwirkstoffe und die ganze Pflanze. Denn diese sei in ihrer Vollkommenheit mit zum Teil mehr als 10.000 Einzelwirkstoffen weit mehr als die Summe ihrer Einzelteile.

Mit Kräutern den Winterblues vertreiben

Zur Kräftigung nach dem dunklen Winter setzt die Fachfrau deshalb nicht auf Produkte aus Drogerie oder Apotheke. Sie nimmt ein Glas, gibt je einen Teelöffel Wurzel der Engelwurz hinein, Kamille, Schafgarbe, Beifuß, Melisse, Löwenzahnwurzel und Johanniskraut, eine halbe Zimtstange sowie vier Nelken und füllt das Ganze mit 300 Milliliter Rum auf. 

Digestif von der Wiese: Magenbitter

Nach vier bis fünf Tagen filtert Regine Ebert die Mischung und lässt sie wieder einige Tage ruhen. Heraus kommt ein Magenbitter, der alles enthält, was die Pflanzen in sich tragen. Und zudem ein echter Alleskönner ist ­ -  Aperitif und Degistiv in einem: „Appetitanregend vor dem Essen, verdauungsfördernd danach“, sagt Ebert schmunzelnd.

DIY: Rezept für Magenbitter von indeon.de
Renate Haller

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