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„Querdenken“-Demos

Mitläufer: Gebt ihnen bloß nicht nach

Nils Sandrisser
Kommentar von Nils Sandrisser

Nein, wer bei „Querdenken“ mitläuft, ist nicht automatisch Nazi. Nur noch ärmer dran als wir alle. Trotzdem kein Grund, nachzugeben.

„Querdenken“ rottet sich wieder häufiger zusammen. Mittlerweile haben sogar viele Kleinstädte ihre sogenannten Spaziergänge, auf denen Menschen gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren.

Demos müssen schon klargehen

Viele von ihnen wollen keine Maske tragen, keinen Abstand halten und sich schon gar nicht impfen lassen – und geben der Regierung die Schuld dafür, dass der Kampf gegen die Pandemie weitergeht. Schwer nachvollziehbar, aber nicht verboten. Dass es Demos gibt, geht also klar - und muss auch klargehen in einer Demokratie.

Demonstration der "Querdenken"-Bewegung in Hamburg
epd/Stephan Wallocha
In Hamburg demonstrieren Menschen gegen die Corona-Maßnahmen.

Überhaupt nicht klar geht hingegen, dass diese Art von Spaziergang zusehends gewalttätiger wird. Das liegt daran, dass Rechtsextremisten ihre Chance wittern und in den vorderen Reihen mitlaufen.

Natürlich sind nicht alle „Querdenker“ Nazis

Nein, natürlich soll hier nicht gesagt sein, dass alle, die da mitmarschieren, rechtsextrem sind. Im Gegenteil. Der Sozialwissenschaftler David Begrich aus Magdeburg, der schon seit langem die Protestszene analysiert, beschrieb in der „Zeit“ die Spaziergänge mit den Worten „vorn rechtsextreme Hooligans, in der Mitte die Mitte Vierzigjährigen in bürgerlicher Kleidung und dahinter kommen dann die Muttis mit den zehnjährigen Kindern“.

Schaut man noch genauer hin, wird das Bild noch differenzierter. Die Frage „Geimpft oder nicht?“ hat auch einen soziale Komponente. Zumindest hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie belegt, dass vor allem Geringverdiener ungeimpft sind. Okay, Impfgegner ist nicht gleich „Querdenker“ und schon gar nicht Corona-Leugner, aber eine gewisse Schnittmenge gibt es schon.

Dazu passt, was der Darmstädter Arzt Cihan Çelik beobachtet: „Bildungsferne, Geringverdienende, Minderheiten sind unter den Ungeimpften überrepräsentiert.“

Andere wirtschaftlich-soziale Gründe spielen auch mit hinein. Vielen Selbstständigen steht nach zwei Jahren Corona das Wasser bis zum Hals. Die dürften auch nur mäßig begeistert davon sein, dass die Pandemie einfach nicht enden will.

Es liegt also nicht daran, dass die „Querdenkerinnen“ und „Querdenker“ dumm wären oder bösartig. Das sind sie nicht. Es sind einfach Menschen. Und Menschen suchen beim Zusammensetzen ihres Weltbilds in aller Regel nicht nach Wahrheit oder Logik, sondern nach Konsistenz.

Sie neigen dazu, nur das zu glauben, was sie ohnehin schon immer geglaubt haben, ignorieren den Rest oder – wenn er sich nicht ignorieren lässt – erklären ihn für falsch, dumm oder zum Teil einer Verschwörung. „Bestätigungsfehler“ oder „confirmation bias“ nennt das die Psychologie.

Bestimmte Menschen sind anfällig für Verschwörungsglauben

Wobei zwar alle Menschen zum „confirmation bias“ neigen, aber nicht alle gleich stark. Die Sozialpsychologie weiß ziemlich genau, wer anfällig für Verschwörungsglauben ist. Es sind unter anderem Menschen, die das Gefühl haben, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben. Und hey: Soll mal einer sagen, die Pandemie kontrolliere unser Leben nicht. „Querdenkerinnen“ und „Querdenker“ sind also keine Idioten, sondern genauso arme Würstchen wie wir alle.

Die Sache ist die, dass manche das eben nicht aushalten und sich Kontroll-Illusionen aufbauen. Und der Glaube, eine Verschwörung oder eine Diktatur aufgedeckt zu haben, kann eine solche Illusion sein.

Ich-Aussage als eigentliche Botschaft

Ein weiterer Beweggrund ist das, was die Psychologie „selbstwertdienliches Motiv“ nennt. Es stabilisiert den Selbstwert, wenn man behauptet, alle anderen inklusive der Wissenschaft und der Medien seien doof oder obrigkeitshörig, nur man selbst habe den Durchblick. Das ist die Ich-Aussage hinter dem Keine-Corona-Diktatur-Gerede - und die eigentliche Botschaft. Sie verrät ein Selbstwertgefühl, das nicht mit den Herausforderungen der Pandemie klarkommt.

Präziser ausgedrückt muss man also sagen, dass die „Quedenkerinnen“ und „Querdenker“ nicht genauso arme, sondern noch ärmere Würstchen sind wie wir alle, denn so ein schwaches Selbstwertgefühl wünscht man ja wirklich niemandem.

Also: Wer da spazierengeht, muss sich (zu Recht) nicht automatisch Nazi nennen lassen. Aber dass „Querdenken“ den Neonazis die Führung überlässt und ihnen hinterhertrottet, das kann man wissen. Es ist „Querdenken“ aber offensichtlich total piepe - und diesen Vorwurf muss es sich schon gefallen lassen.

Bislang wenig Überzeugungserfolg

Überzeugungsversuche haben bislang wenig gebracht. An der Bergstraße in Südhessen haben Vertreter von Kirchengemeinden im vergangenen Winter bei „Querdenken“-Demonstrationen Gesprächsangebote gemacht, darunter der überregional bekannte Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger. Er und seine Mitstreiter brachen den Versuch nach ein paar Malen aber ab, als die Diskussionen mehr und mehr auf die persönliche Ebene rutschten und teilweise beleidigend wurden.

Auch der Hamburger Pastor Andreas Baldenius versuchte mit den Spaziergängern, die gegenüber seiner Kirche protestierten, ins Gespräch zu kommen, und erntete eine Flut von Hassnachrichten.

Trotzdem muss die Politik selbstverständlich weiter versuchen, ihre Maßnahmen zu erklären, und zwar besser, als sie das bislang tut. Es gibt nun einmal Bildungsferne in unserer Gesellschaft, und die haben genauso ein Recht auf Information. Sie muss ihnen angemessen sein. Kann ja wohl nicht sein, dass nur die die Notwendigkeit von Maßnahmen einsehen, die sich regelmäßig Studien und Statistiken reinziehen.

Nicht nachgeben, nicht untätig bleiben

Nur: Allzuviel Erfolg sollte man sich von Aufklärung nicht erhoffen. Denn die ändert nicht die Psychologie der Menschen. Umso wichtiger ist, dass die Politik den Forderungen der „Querdenken“-Bewegung nicht nachgibt – und auch nicht vor lauter Angst vor deren Stärkung im Nichtstun verharrt.

Von dieser Angststarre hatten wir bei der Delta-Welle ja schon genug. Denn - ja, okay, das war jetzt viel Psychologie, aber der hier muss noch sein - aus der Lernforschung kennen wir die sogenannte operante Konditionierung: Menschen wiederholen Verhalten, das für sie Erfolg hat. Und sie ändern es, wenn es sie nicht zum Ziel bringt. Das bedeutet: Gibt man „Querdenken“ nach, fördert man dessen Radikalisierung.

Ein Rechenbeispiel verdeutlicht, was hier auf dem Spiel steht: Wenn Omikron eine Letalität von 0,5 Prozent hätte (was vergleichsweise gering wäre, andere Corona-Wellen hatten deutlich höhere Sterblichkeitsziffern), dann bedeutet das bei 100.000 täglichen Neuinfektionen 500 Tote. Pro Tag.

Mehrheitsverhältnisse rund um Corona in Deutschland sind eindeutig

Die Politik sollte einen Blick auf die Mehrheitsverhältnisse werfen. Es mögen Zehntausende sein, die demonstrieren. Aber Hunderttausende, die sich jeden Tag impfen lassen.

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