Sexualisierte Gewalt

Welche Strukturen Missbrauch in der evangelischen Kirche verhindern sollen

Matthias Schwarz steht am Rednerpult vor der Synode. Im Hintergrund sitzt Petra Knötzele.
Christian Spangenberg

Die ForuM-Studie war die erste große Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche. Was hat die Kirche daraus gemacht?

Menschen, die über sexualisierte Gewalt und Missbrauch ohne Tabus und Anfeindungen sprechen können: Das ist das Ziel von Matthias Schwarz. Als Betroffener arbeitet er innerhalb der evangelischen Kirche daran, wie „wir es Betroffenen einfacher machen, die Schwelle zu überwinden“.

Sprachfähig bei sexualisierter Gewalt werden

Deswegen spricht er unermüdlich über seine Erfahrungen und will mit dieser Sichtbarkeit Menschen sprachfähig machen. Sie sollen lernen, ohne Scham Erlebtes ansprechen zu können und damit den „Raum für Täter kleiner“ werden zu lassen. Nur so könne Kirche zu einem sicheren Raum werden.

Wo du dich bei Missbrauch melden kannst

Als betroffene Person oder als Angehörige kannst du dich bei sexualisierter Gewalt an folgende Stellen wenden:
☎ Telefonseelsorge 0800 111 0 111
☎ Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch 0800 22 55 530
🌐 zentrale anlaufstelle.help
🌐 Meldestelle der EKHN

Matthias Schwarz war in seinem Berufsleben selbst Pfarrer in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Inzwischen ist er Mitglied der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) und begleitet und unterstützt Betroffene in der Fachstelle gegen Sexualisierte Gewalt in der EKHN. Außerdem hat er an der im Januar 2024 erschienenen ForuM-Studie mitgewirkt.

Innerhalb der evangelischen Kirche wurden die Ergebnisse der ForuM-Studie als Auftakt für die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt verstanden. Seither beschäftigen sich nicht nur Fachleute, sondern auch die Kirchenparlamente mit dem Thema. So hat beispielsweise die EKD auf ihrer Herbsttagung in Würzburg einen Maßnahmenplan mit zwölf Maßnahmen verabschiedet.

Herausforderungen im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche

Auch die Synode der EKHN hat im November 2024 über die Fortschritte und die Herausforderungen gesprochen. Matthias Schwarz war bei beiden Synoden dabei. Er beschreibt die Tage in Würzburg als „ziemlich anstrengend“. Besonders bedaure er die Widerstände gegenüber einer deutschlandweit einheitlichen Anerkennungsrichtlinie. Er spricht von „heftigen Diskussionen“ und einem „harten Ringen“. Er kritisiert, dass wirtschaftliche Interessen der Fürsorge für die Menschen, die Leid erfahren haben, entgegengesetzt werden.

Obwohl er durchaus Verständnis für die Abwägung aufbringen kann: Beispielsweise, wenn „eine kleine diakonische Einrichtung, ein Kinderheim“ durch die Anerkennungsleistungen „gegebenenfalls an den Rand des Ruins gebracht“ werde. Aber da „müssen die Diakonie und die Kirchen gucken, wie sie einen Solidarfonds“ bilden, schlägt er vor.

Sollten die Widerstände sich durchsetzen, werde er sich „nicht scheuen, das öffentlich anzuprangern“, betont der Betroffenenvertreter.

Visitenkarte der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) prominent platziert ist. Auf der Karte sind die Kontaktdaten der Fachstelle zu sehen, darunter eine Telefonnummer (06151 405 106). Die Begriffe „Prävention“, „Intervention“ und „Aufarbeitung“ heben sich hervor, begleitet von dem Slogan „Ich erkenne hin und handeln“.
Aaron Kniese
Kontakt zur Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN: 06151 405 106

Mit Betroffenen vernetzen

Aber es gebe auch positive Nachrichten: Zum Beispiel ist das Betroffenen-Netzwerk BeNe online. Auch wenn noch nicht alle Funktionen freigeschaltet seien, so gebe es bereits einen regen Austausch.

Aus den zwölf geplanten Maßnahmen der EKD hebt er eine Novelle der Gewaltschutzrichtlinie besonders hervor. Dort sollen Standards für

  • Prävention
  • Intervention
  • Aufarbeitung für die Meldestellen
  • die Ansprechpersonen

gesetzt werden. Matthias Schwarz ist es besonders wichtig, dass „ich nicht als Betroffener in Württemberg mich anders orientieren muss, als in Hessen oder in Berlin“.

Portrait von Petra Knötzele
Aaron Kniese
Petra Knötzele ist Ansprechpartnerin bei Verdachtsfällen auf sexuelle Gewalt

Für das Land Hessen: EKHN, EKKW & Diakonie Hessen gemeinsam

Außerdem sollen im Frühjahr die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAK) ihre Arbeit aufnehmen. Deutschlandweit sind das neun Kommissionen. Die EKHN ist gemeinsam mit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und der Diakonie Hessen für den Verbund Hessen zuständig.

URAK im Verbund Hessen

September 2024: Forum zur Information Betroffener
November 2024 - Januar 2025: Bildung Betroffenenvertretung, Benennung URAK-Mitglieder und Vertretung
Winter 2024/2025: Einsetzen der Arbeit der Kommission
Frühjahr/Frühsommer 2025: Beschluss zur Geschäftsordnung und Arbeitsweise

Stand 25. November 2024

„Die URAK wird aus sieben Mitgliedern bestehen“, erklärt die Leiterin der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt Petra Knötzle. Die Kommission soll unter anderem dokumentieren, wie viele Fälle sexualisierter Gewalt es gibt, welche Strukturen Übergriffe ermöglichen und prüfen, wie mit Betroffenen umgegangen wird.

Damit Kirchen und diakonische Einrichtungen „sichere Orte für Menschen“ werden, arbeite die EKHN „an einer Kulturveränderung“, erklärte Volker Jung vor der Synode. Der EKHN-Kirchenpräsident bedaure es, dass Fragen nach „systemischen Risiken“ in der Kirche nicht früher aufgegriffen wurden.

Matthias Schwarz steht am Rednerpult vor der Synode. Im Hintergrund sitzt Petra Knötzele.
Christian Spangenberg

Matthias Schwarz begrüßt das wachsende Interesse an den Themen sexualisierte Gewalt und sexuellem Missbrauch. Auch wenn manchmal die Arbeit in den Gremien enervierend und anstrengend sei.

„Hinschmeißen“ käme für ihn nicht infrage. „Ich rede nicht nur für mich alleine“, betont er. „Sondern für eine ganze Reihe von Menschen. Und zu merken, dass denen das guttut, was will ich mehr als Antrieb?“