Die Synode der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) stellt auf ihrer Digital-Tagung vom 20. bis 24. April die Weichen für eine Zukunft mit weniger Geld und weniger Mitgliedern.
Der Bad Vilbeler Pfarrer und Synodale Klaus Neumeier hat dazu Thesen vorgelegt, die den Fokus auf die Ortsgemeinde richten. Der Bergsträßer Dekan Arno Kreh betont die Rolle der Kirche im größeren Kontext.
Arno Kreh: Wir brauchen die Kirche vor allen Dingen deswegen, weil die grundlegenden Fragen, die zu unserem Leben gehören, dort verortet werden: Wo komme ich her, wo gehe ich hin und was ist meine Aufgabe…?
Daneben ist die Kirche wichtig, weil sie einen Ort frei hält, an dem es um die Grundbedürfnisse von Menschen geht:
Arno Kreh: Die Kirchensteuer ist ein Solidarbeitrag, und den bezahlen die Menschen auch ohne Vergünstigungen gern, wenn sie wissen, was mit diesem Geld gemacht wird.
Das aber muss immer wieder deutlich gemacht werden. Wir sollten zudem Fundraising-Aktivitäten stärken und auf Menschen zugehen, die auf ihre Rente keine Kirchensteuer bezahlen müssen, aber vielleicht doch finanzielle Ressourcen haben. Sie könnten über Spenden die kirchliche Arbeit unterstützen.
Klaus Neumeier: Unser System der Kirchensteuer kann tatsächlich hinterfragt werden. Die meisten Kirchen der Welt finanzieren sich auf ganz andere Art und Weise.
Das System könnte man natürlich auf vielfältige Weise auf den Kopf stellen. Das bräuchte sehr viel mehr eigene Verwaltungsorganisation. Ich weiß nicht, ob sich das lohnt.
Ich würde eher sagen: Lasst uns das System nutzen, so wie es ist. Und gleichzeitig sollten wir schauen, dass überall dort, wo Menschen in gutem Kontakt mit uns gekommen sind, auch bereit sind, sich finanziell zu engagieren – eben auch die, die keine Kirchensteuer zahlen.
Klaus Neumeier: Beziehungsarbeit bedeutet für mich, dass ich selber als Pfarrer in der Kita bin und mit den Kindern zusammen biblische Geschichten erlebe und gestalte, dass ich erfahrbar bin für die Eltern in der Kita, dass ich regelmäßig auf den Elternabenden mit dabei und ansprechbar bin, dass ich Familien ins Gemeindeleben einbeziehe.
Das geht genauso weiter, wenn Menschen älter werden. Es ist sehr wertvoll, wenn kirchlich verbundene Menschen Religionsunterricht leiten. Wenn wir Vater-Kind-Wochenende haben und abends am Lagerfeuer sitzen mit einem Bier in der Hand, ist es unglaublich, was da für Gespräche entstehen. Das geht nur auf der Beziehungsebene.
Arno Kreh: Bei direkter Beziehungsarbeit denke ich zuerst an den persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch. Deswegen sollte die Besuchsarbeit von Pfarrerinnen und Pfarrern einen sehr hohen Stellenwert haben. Dadurch werden ja auch die Kirchenmitglieder besucht, die nicht jeden Sonntag im Gottesdienst sind.
Aus meiner 25-jährigen Erfahrung als Gemeindepfarrer kann ich sagen, wie wichtig Besuche sind, also hinzugehen zu den Menschen in die Häuser und Wohnungen. Aber das muss natürlich auch ergänzt werden.
Beziehungsarbeit geschieht allerdings nicht nur durch Pfarrerinnen und Pfarrer. Wir haben hier in unserem Dekanat Bergstraße zum Beispiel die Arbeit für Familien sehr gestärkt. Dadurch haben wir den Kontakt zu jungen Familien und Alleinerziehenden ausgebaut, wo wir uns sonst eher schwer tun.
Was man bei dem Thema Beziehungsarbeit aber auch noch im Blick behalten muss: Wir wollen ja weiterhin öffentliche Kirche sein. Wir brauchen auch den öffentlichen Auftritt und die öffentliche Sichtbarkeit von Pfarrerinnen und Pfarrern. Die Orientierung in den Sozialraum bleibt auf jeden Fall eine wichtige Aufgabe.
Klaus Neumeier: Ein guter Religionsunterricht, an dem erkennbar wird, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht einfach nur Unterrichtsstoff vermitteln, sondern Relevantes aus dem Leben und für das Leben besprechen.
Klaus Neumeier: Kirche vor Ort ist ganz wesentlich Ortsgemeinde, allerdings im Verbund im Nachbarschaftsraum.
Kirche vor Ort umfasst die Kita, die Schularbeit und natürlich auch alle Einrichtungen, wo sie mit Seelsorgestellen vertreten ist – Krankenhäuser, Altenheime oder eben auch Studierendengemeinden.
All diese Arbeit, wo Kirche im unmittelbaren Kontakt mit Menschen ist, sollte gestärkt werden. Grundsätzlich muss Kirche dort sein, wo die Menschen sind und dort Wege finden, um diese Menschen auch gut ansprechen zu können.
Möglicherweise ist da auch noch mehr Potenzial bei Studierendengemeinden vorhanden als das im Augenblick umgesetzt werden kann, das gilt auch für die Kitaarbeit.
Klaus Neumeier: Es ist schon etwas passiert. Es gibt schon sehr konkrete Vorschläge zum Sparen, aber im Moment nur für alle Bereichte der Kirche vor Ort, abgesehen von einer Ausnahme: der Öffentlichkeitsarbeit.
Das beginnt in den Kitas, geht über die Pfarrstellen und das Zuweisungssystem und die Gebäude. Aber es müssen auch die anderen Ebenen der Kirche ins Sparen einbezogen werden. Arbeitszentren und gesamtchristliche Einrichtungen für jede Landeskirche sind nicht mehr zeitgemäß.
Das müssen wir gemeinsam machen oder gleich auf der EKD-Ebene verorten. Viele Kollegen beziehen völlig selbstverständlich Gottesdienst-Materialien von Instituten der bayrischen Kirche oder der hannoverschen Kirche. Dank des Internets ist das überhaupt kein Problem.
Das gilt natürlich auch für die Verwaltung, wir haben eine unglaubliche innerkirchliche Bürokratie. Vieles davon brauchen wir nicht.
Was ich mir ebenfalls dringend wünsche, ist, dass die mittlere Ebene, vor allem die Dekanate, ihr eigenes Sparpotenzial erkennen. Für Menschen, die hier in meiner Gemeinde leben, ist das Dekanat völlig unwichtig. Das ist nicht nah bei den Menschen.
Arno Kreh: Die Kirche steht fest auf ihren Beinen, und das ist auch gut so. Wenn unsere Kirche in den nächsten Jahren aber weniger Pfarrerinnen und Pfarrer und weniger Ressourcen hat, muss sie sich weiterentwickeln.
Wir brauchen eine gute, funktionsfähige Verwaltung, wir brauchen weiterhin Gemeinden, wir brauchen auch Dekanate. Die klassische Situation – ein Pfarrer, eine Kirche und ein Gemeindehaus – ist ein Konzept, das jetzt langsam zu seinem Ende kommt.
Wir brauchen neue Formen. Nachbarschaftliche Zusammenarbeit, die Arbeit im Team sowie digitale Angebote werden eine viel wichtigere Rolle spielen und müssen ausgebaut werden. In diesem Prozess befinden wir uns.
Daher müssen wir das Bewusstsein stärken, dass sich unsere Kirche in den nächsten Jahren stark verändern wird. Aber ich bin hier sehr hoffnungsvoll, denn unsere jungen Kolleginnen und Kollegen wollen genau in diese Richtung gehen.