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EKHN

Aufklären statt vertuschen: Missbrauch in der Evangelischen Kirche

Zitat: Nach 37 Jahren kann ich über den Missbrauch reden
Ergänzender redaktioneller Inhalt

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Betroffene kämpfen gegen Missbrauch in der evangelischen Kirche. Bei der Synode hören Kirchenvertreter:innen ihnen zu.

Ich trat meinem Täter gegenüber. Ich wollte es. Ich musste ihm in die Augen sehen. Es war ein abstruses Gespräch, in dem er sich rechtfertigte, in dem er immer wieder auswich. Keine Spur von Reue war zu erkennen.“ Diese Sätze fallen in einem Gottesdienst. Ein Gottesdienst, der von Menschen gestaltet wurde, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche erfahren haben.

Über Missbrauch reden

Drei Menschen teilen ihre Geschichten. Nicht alle wollen vor den Vertreter:innen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) stehen, aber ihre Worte sollen gehört werden: „Ich habe erlebt, wie die Täter geschützt werden. Wenn du auf Grenzüberschreitungen hinweist, wirst du ausgegrenzt.“ So beschreibt eine Betroffene, was sie in ihrer Kirchengemeinde erlebt hat.

Hilfe in der EKHN

Ansprechpartnerin für betroffene Menschen in der EKHN ist die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt. Und so können Betroffene sie erreichen:

per 📱 E-Mail an geschäftsstelle@ekhn.de

telefonisch 📞 unter 06151-405 106

Auch die evangelische Kirche hat Täter:innen geschützt. Jahrzehntelang geschwiegen und vertuscht. Das belegt die unabhängige ForuM-Studie aus dem Januar 2024. Die Betroffenen brauchen oft mehrere Jahrzehnte, bis sie sprachfähig werden. Dann sind die Taten strafrechtlich verjährt, aber ein Betroffener betont: „Doch in meinem Körper, in meiner Seele verjährte nichts.“

Die Betroffenen berichten auf der Synode der EKHN von Flashbacks, Trauma und dem Gefühl, dass die Täter nie zur Verantwortung gezogen wurden.

Pfarrer als Anwalt der Missbrauchsbetroffenen: Matthias Schwarz im Einsatz

Auch Matthias Schwarz hat sexualisierte Gewalt als Kind erfahren. Seit Januar hat er immer wieder öffentlich über den Missbrauch gesprochen. Seidem haben weitere Betroffene sich bei ihm gemeldet. Er betont: „Wenn wir sehen, jemand hat den Mut, sich öffentlich darzustellen, haben wir als Betroffene selbst auch Mut gekriegt, uns zu outen.“ 

Matthias Schwarz hat inzwischen ein kleines Netzwerk von Betroffenen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche aufgebaut. Hier können Sie im geschützten Rahmen miteinander sprechen. 

Über sexualisierte Gewalt reden

Trotzdem sei seine exponierte Position auch eine Belastung für ihn. Er bekommt Supervision, was ihn aktuell auch schütze: „Es besteht die Gefahr, wieder in diesen Opferstatus zurückzufallen, in die Situation zu gehen, wie vor 50 Jahren“, erklärt er. 

Aber Matthias Schwarz ist inzwischen an einem ganz anderen Punkt angekommen: „Ich merke, dass ich mir auch gegenüber kirchenleitenden Menschen ein anderes, gradliniges Auftreten angewöhnt habe.“ Auch als Mitglied im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beobachtet er, welche Schritte die evangelische Kirche unternehme, um angemessen mit dem Thema umzugehen. Folgenden Punkte hebt er hervor: 

  • ein EKD-weites einheitliches Disziplinarrecht
  • einheitliche Richtlinien in Bezug auf Anerkennungskommissionen und Anerkennungsleistungen
  • erste Initiativen für eine Vor-Ort-Aufarbeitung
  • theologische Fragen in den Punkten „Gnade ohne Gerechtigkeit“ sowie „Vergebung ohne Reue“

Deswegen begrüßt er, dass die Synodalen der EKHN sich erst einmal tiefgreifender mit dem Thema beschäftigen.

Die Tagung haben die Kirchenvertreter:innen genutzt, um den Betroffenen zuzuhören, im Gottesdienst, wie vor dem Plenum. Außerdem waren Betroffene so mutig, ihre Erfahrungen in kleinen Arbeitsgruppen vertiefend mit den Synodalen zu teilen. 

Ein Thema, was wahrscheinlich niemanden kalt gelassen hat. Viele der Kirchenvertreter:innen sprechen von ihrer „Sprachlosigkeit“, der „Ohnmacht“ und der „Hilflosigkeit“, die sie empfinden. Manche auf der Synode haben ähnliche Erfahrungen gemacht, andere haben Menschen begleitet, die von sexuellem Missbrauch betroffen waren.

Seelsorgerliche Begleitung von Missbrauchsbetroffenen

Eine Synodale berichtet davon, wie sie die Begleitung zerissen hat. Wie es sich anfühlt, wenn die Betroffene die Schweigepflicht in Anspruch nimmt. Wie es ist, wenn  man zwar der Frau glaubt, aber trotzdem das Innere fragt: „Habe ich richtig entschieden?“

Danke an alle Betroffenen für ihren Mut und die Bereitschaft, ihre Geschichte mit uns zu teilen. 

Die Vorsitzende der Synode, Präses Birgit Pfeiffer, rät dazu, auch mit sich selbst bei diesem Thema sensibel umzugehen. Es gibt auch bei der Tagung eine Telefonnummer und Ansprechpartner:innen. 

Innerhalb der EKHN ist die Fachstelle für sexualisierte Gewalt Ansprechpartnerin bei dem Thema. Durch Matthias Schwarz auch mit der Perspektive der Betroffenen. Seit 2020 gibt es das Gewaltpräventionsgesetz der Landeskirche. Hierin werden Schutzkonzepte und Verhaltensanforderungen zusammengefasst. Die Regeln seien „etabliert und definiert“, erklärt Birgit Pfeiffer.

Aber das sei nur der erste Schritt. Kirchenmitarbeitende und -mitglieder müssten darin „geübt werden, was passiert, wenn ein Fall auftritt“.

  • Wie wird die Information weitergegeben?
  • Wie werden die Betroffenen unterstützt?
  • Welche Anspruchsmöglichkeit haben sie?

Diese Fragen seien oft zwar theoretisch beantwortet, aber trotzdem in der Praxis zu unbekannt, sagt die Präses.

Außerdem stellt sie auch die Frage: „Wie ist unsere Verantwortung für das Umfeld?“ Denn wenn es betroffene Personen gäbe, „müssen wir davon ausgehen, dass es weitere Menschen in diesem Umfeld gibt. Dass es eine Risikostruktur in einer Gemeinde oder in einer Einrichtung gibt“.

In den Gesprächen auf der Synode fällt immer wieder der Wunsch, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende der Kirche zu schulen und zu sensibilisieren. Der Umgang mit sexualisierter Gewalt und mit Missbrauch in der Kirche sei ein „Dauerauftrag“, sagt Birgit Pfeiffer.

Sie wünscht sich eine klare Haltung und „dass Menschen bei uns in einem geschützten Raum und niemandem ausgeliefert sind“. Schließlich solle Kirche der Ort sein, wo jemand sich „vertrauensvoll an Menschen, vor allem aber auch sich vertrauensvoll an Gott wenden kann“.