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Diakonie

Frühe Hilfe für blinde und sehbehinderte Kinder

Lukas und seine Mutter Lisa fahren auf dem Therapietandem im Park an einer Wiese vorbei
Detlef Schneider
Gemeinsam on Tour: Lukas und seine Mutter Lisa auf dem Therapietandem im Park

Mitarbeiterinnen der Frühförderung „Sichtweisen“ kümmern sich um blinde und sehbehinderte Kinder. Sie stabilisieren Familien und beraten.

Lukas und Mama Lisa auf dem Therapietandem im Park
Detlef Schneider
Lukas und Mama Lisa auf dem Therapietandem im Park

Lukas hält sich gern draußen auf. Und er mag Züge. Die U-Bahn-Stationen der Linie U2 in Frankfurt kann er porblemlos auswendig aufzählen. Da der Siebenjährige auch gern selbst in die Pedale tritt, hat er auf Anregung der Diakonie ein Therapietandem bekommen, gemeinsam mit Mama Lisa tourt er damit regelmäßig durch die Gegend. Alleine Fahrrad fahren klappt nämlich nicht. 

„Lukas war kurzsichtig. Doch im Alter von vier Jahren diagnostizierten die Ärzte bei ihm ein bis dahin unentdecktes, erblich bedingtes Glaukom, das zur Erblindung führen kann“, erzählt die Mutter. Für die Eltern war die plötzliche Diagnose ein Schock.

Erblinden: Angst vor dem Aufwachen in völliger Dunkelheit

„Die Angst, dass Lukas eines Morgens in völliger Dunkelheit aufwacht, war das Schlimmste, was ich bis dahin erlebt habe“, sagt die 37-jährige Arzthelferin. Bereits am Tag darauf erfolgte eine Not-Operation, zwei weitere Eingriffe folgten.

Die Operationen halfen, den Augeninnendruck von Lukas zu stabilisieren. Etwa sechs bis acht Prozent Sehkraft hat er heute noch und benutzt auf der Straße einen Blindenstock.

Der behandelnde Augenarzt machte die Familie auf die Frühförderung „Sichtweisen“ der Diakonie Frankfurt und Offenbach aufmerksam. Die Diakonie ist eine von mehreren Trägerinnen der Frühförderung, die sich an blinde und sehbehinderte Kinder zwischen der Geburt und der Einschulung richtet. Zwischen 130 und 160 Familien im Raum Frankfurt, Offenbach und Südhessen werden von den zwölf Mitarbeiterinnen von „Sichtweisen“ begleitet.

Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder

Die Frühförderung richtet sich an blinde und sehbehinderte Kinder bis zur Einschulung und deren Familien. Die Frühförderstellen befinden sich - je nach Region, in unterschiedlicher Trägerschaft. Informationen bietet der Landeswohlfahrtsverband Hessen sowie die Landesblindenschule Neuwied für Rheinland-Pfalz

„Lukas war von Beginn an sehr kontaktfreudig und hat viel mit mir gespielt“, erzählt Tanja Misof, pädagogische Fachkraft der Diakonie. Bis zur Einschulung von Lukas im letzten Sommer hat sie die Familie einmal pro Woche besucht und geschaut, welche Förderung Lukas braucht. Auch mit dem Kindergarten arbeitet Misof dabei interdisziplinär zusammen und hilft bei Behördengängen und Anträgen, etwa für einen Schwerbehindertenausweis.

„Unser erstes Treffen war sehr emotional. Frau Misof hat uns ein Pflaster gegen den Schmerz, Traubenzucker für viel Kraft, einen Tee für Ruhe und Gelassenheit, einen Geduldsfaden und ein Gummiband mitgebracht, weil so vieles an unseren Nerven zerrt“, erzählt die Mutter.

Bei den Treffen mit den Familien hat Tanja Misof auch jede Menge Spielzeug im Gepäck. Immer mit dabei sind die Handpuppe Max mit einer Brille und einem abgeklebten Auge zur Schieltherapie, Bücher in Großdruck sowie mit Fühlelementen, ein „Hör-Memory“ – kleine Döschen mit Sand, Reis oder kleinen Kugeln gefüllt – sowie Sprühkreide.

Lukas und Tanja Misof mit einem Fühlbuch in Großdruck: Lukas bringt einen Raben mit Klettverschluss auf der Seite an
Detlef Schneider
Lukas und Tanja Misof mit einem Fühlbuch in Großdruck: Lukas bringt einen Raben mit Klettverschluss auf der Seite an

Blind finden: Spielzeug bekommt feste Orte im Schrank

„Andere Kinder malen gern mit Buntstiften, aber Kreide ist für sehbehinderte Kinder besser zu sehen“, erklärt Misof. Zusammen mit der Handpuppe Max zeigt Misof Lukas, wie er sein Spielzeug im Schrank an festen Orten verstaut, um es so besser wiederzufinden.

Auch bei der Wahl der richtigen Schule hat Tanja Misof die Familie beraten. Lukas besucht derzeit die Hermann-Herzog-Schule in Frankfurt, eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Sehen. „Lukas hat sich super entwickelt und ist ein selbstbewusster, junger Mann, der allein mit dem Fahrdienst zur Schule fahren kann“, sagt Tanja Misof.

Das hat die Familie gut gemacht.

Tanja Misof

Die Vielfalt der schulischen Angebote ist wichtig

„Bei der Wahl einer Schule schauen wir darauf, welches die bestmöglichen Entwicklungsmöglichkeiten für ein Kind sind und wie wir dem gerecht werden können. Die Vielfalt der schulischen Angebote ist daher wichtig“, sagt Carmen Lauer, Leiterin der Frühförderung „Sichtweisen“. Knapp ein Drittel der begleiteten Kinder ist in den vergangenen Jahren an einer Regelschule eingeschult worden.

Lauer wünscht sich wohnortnahe Schulen, die alle Kinder besuchen können. „Davon sind wir aktuell aber noch weit entfernt“, sagt sie. Viele der Kinder haben neben ihrer Augenkrankheit auch weitere Beeinträchtigungen. Die Mitarbeiterinnen der Diakonie besuchen diesbezüglich regelmäßig Fortbildungen und arbeiten mit Konsiliarärztinnen zusammen.

Sehbehinderung durch Frühgeburt in der 23. Schwangerschaftswoche

„Neulich beim Einkaufen hat ein Mädchen Leon den Stinkefinger gezeigt. Das war eine Beleidigung, aber Leon hat das nicht verstanden“, erzählt Anna, Leons Mutter. Auch aus diesem Grund ist die 34-Jährige aktuell noch unsicher, welche Grundschule Leon später besuchen wird. Der Vierjährige besucht aktuell eine integrative Kita. Zwar einige Kilometer vom Wohnort entfernt, aber dafür fühlt er sich dort wohl.

Leon kam in der 23. Schwangerschaftswoche als Frühchen mit 670 Gramm zur Welt, nur 30 Zentimeter war er groß. „Leon hat nach der Geburt Hirnblutungen erlitten und konnte nicht selbstständig atmen. Er musste mehrere Wochen inkubiert werden“, sagt Anna. Die Ärzte sagten den Eltern, dass sie damit rechnen müssten, dass Leon nicht laufen kann.

Tanja Misof und Leon malen mit Kreide auf den Gehweg
Detlef Schneider
Tanja Misof und Leon malen mit Kreide auf den Gehweg

Als Augenärzte auf die Station kamen, bemerkten sie zudem, dass der Sehnerv in Leons Auge durch zu viel Sauerstoffzufuhr während der Inkubationszeit nicht genug durchblutet wurde. „Das war für mich ein Schock, aber dann habe ich gemerkt, dass Leon trotzdem sein Spielzeug sieht und damit spielen kann“, erzählt Anna. Etwa 10 bis 20 Prozent Sehkraft hat Leon heute, er kann ungefähr zwei Meter weit sehen.

„In der Kita sieht Leon völlig unauffällig“, ergänzt Tanja Misof, die auch Leon und seine Familie begleitet. Sie hat die Familie unter anderem bei der Wahl der Kita geholfen. „Dort habe ich den anderen Kindern von Leons Geburt erzählt und dass er dabei nur so groß war wie eine Babypuppe“, sagt Misof.

Auch für das zuständig, was die Mama beschäftigt

Der interdisziplinäre Ansatz in der Arbeit von Tanja Misof wird hier besonders deutlich. So hat sie etwa Kontakt zu Physiotherapeuten und Ergotherapeuten aufgenommen, die sich heute ebenfalls um Leon kümmern. Im Alter von zwei Jahren und acht Monaten begann Leon zu laufen und auch mit dem Sprechen wird es inzwischen besser.

„Ich bin auch für das zuständig, was die Mama beschäftigt, etwa in der Erziehungsberatung“, sagt Misof. Ein Thema sei aktuell, die Essenszeiten einzuhalten. Tanja Misof arbeitet dafür mit Piktogrammen, die das Gesagte mit Bildern unterstützen. Ihr sei es wichtig, den Eltern den Schrecken zu nehmen. Sie sagt:

In der Zeitung sehen die Leute ja auch Bilder zu dem, was dort geschrieben steht.

„Ich bin sehr dankbar, weil Frau Misof Antworten für mich hat“, sagt die Mutter Anna. Denn zu dem Förderbedarf rund um Leons Einschränkungen könne sie sich mit anderen Eltern nur unzureichend austauschen.

Auch die Entwicklung von Leon beurteilt Tanja Misof positiv. „Leon macht das super. Natürlich ist er ein Kind mit Behinderung. Aber er ist heute meilenweit von dem entfernt, was ich im ersten Arztbericht gelesen habe.“