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Neue Wege in der Obdachlosenhilfe

Kein Leben auf der Straße: Housing-First in Frankfurt

Obdachlose Menschen sollen mit Housing First von der Straße geholt werden.
epd-bild / Annette Zoepf

Erst eine Wohnung kriegen und dann weiterschauen: Nach diesem Konzept funktioniert Housing First. Nun gibt es das Modell auch in Frankfurt.

Europa hat einen Plan: Bis zum Jahr 2030 soll Obdachlosigkeit in den 27 Mitgliedsstaaten abgeschafft werden. Das ist ein großes Ziel – vor allem mit Blick auf die Wohnungsbaupolitik.

Frankfurt geht mit der Housing-First-Initiative, die jetzt umgesetzt wird, den ersten Schritt in diese Richtung. Frauen und Männern, die bisher in Hauseingängen, auf Parkbänken oder in Unterkünften übernachtet haben, bietet das ganz neue Perspektiven.

Obdachlosen Menschen mit Wohnraum helfen

Der Anblick von Menschen, die auf der Straße leben, ist längst zur Normalität geworden. Auch dass es Notunterkünfte gibt und Menschen notdürftig in Containern oder Hotels untergebracht werden.

Aber was, wenn es gar keine Obdachlosigkeit mehr gäbe? Was viele für eine Utopie halten, wird ansatzweise und mit bisher noch mit wenigen Projekten in der Bundesrepublik umgesetzt. Housing First heißt das Konzept, das die bisherige Arbeit der Wohnungslosenhilfe verändern soll.

Was ist Housing First?

Hoursing First bedeutet, den Menschen zuerst eine Wohnung zu vermitteln und erst danach Probleme wie Sucht, Depression oder anderes in Angriff zu nehmen. In Frankfurt-Sossenheim organisieren das Housing-First-Projekt die Stadt Frankfurt, die Wohnungsbaugesellschaft GWH und die Diakonie Frankfurt und Offenbach gemeinsam.

Endlich ein eigenes Klingelschild, endlich wieder eine Postadresse, eine Dusche und eine Toilette: Es sind Alltäglichkeiten, die für Bewohnerinnen und Bewohner eines Mehrfamilienhauses in Frankfurt-Sossenheim nach wie vor etwas ganz Besonderes sind. Nach teilweise Jahrzehnten auf der Straße haben sie nun wieder zurück in ein geschütztes Leben gefunden..

Es braucht mehr Wohnraum für Menschen ohne Wohnung

Zwölf ehemalige Obdachlose leben in Sossenheim nun in eigenen Wohnungen mit eigenem Mietvertrag. Unterstützung und Beratung erhalten sie von Sozialarbeitern der Diakonie, die im Erdgeschoss des Wohnblocks ein Büro haben.

 

Es sind viele Gespräche und Begleitung notwendig, bis der Schritt in eine eigene Wohnung möglich wird.

Jeder Einzug ist für mich wichtig. Es bringt für die Menschen ein Stück Normalität und soziale Teilhabe“, sagt Frankfurts Sozialdezernentin Elke Voitl bei der Vorstellung des Projektes. Es sei ihr ein besonderes Anliegen, in Frankfurt noch viel mehr solcher Angebote nach dem Housing-First-Ansatz zu schaffen. 

Pressetermin zu Housing Forst - die 3 Personen stehen a einem Stehtisch und unterhalten sich
Stadt Frankfurt am Main /Maik Reuß
Michael Back, Geschäftsstellenleiter Süd der GWH (von links), Stadträtin Elke Voitl und der Theologische Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes Markus Eisele im Gespräch.

Sie ergänzt: „Die Strukturen und Expertise, diese erfolgreich umzusetzen, sind in unserer Verwaltung wie bei unseren Trägern gegeben. Was fehlt, ist ausreichender Wohnraum.“ Daher sei sie der Wohnungsbaugesellschaft GWH besonders dankbar, dass sie sich ihrer sozialen Verantwortung als Wohnungsunternehmen stelle und an dem Projekt beteilige. Sie betont ihren wiederholten Appell an private Immobilienbesitzer, wie an Wohnungsgesellschaften in Frankfurt:

Melden sie uns freien Wohnraum und seien sie offen für solche Projekte.

Elke Voitl, Sozialdezernentin

„Die GWH hat sich immer als ein Wohnungsunternehmen verstanden, das über den Tellerrand hinausschaut und einen aktiven Beitrag zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft leistet“, sagt der Geschäftsstellenleiter der Geschäftsstelle Süd der GWH, Michael Back.

Mit dem Housing-First-Projekt sei die GWH Teil der Antwort auf das immer größer werdende Problem der Wohnungslosigkeit in Deutschland. „Und wir senden das Signal, dass unsere Quartiere eine Heimat für alle Menschen bieten – auch für jene, die sich nicht auf der Sonnenseite des Lebens befinden“, sagte Michael Back.

Die ehemaligen Obdachlosen in Sossenheim haben mit der GWH eigene unbefristete Mietverträge, die auch nach der im kommenden Jahr startenden Sanierung des gesamten Gebäudekomplexes bestehen bleiben.

Unterstützung durch Sozialarbeit

Ein Mitarbeiter der Diakonie im Gespräch - Overshoulder-Perspektive
epd-bild/Peter Sierigk
Mitarbeitende der Diakonie Frankfurt und Offenbach beraten und untestützen die Menschen in der neuen Situation.

Da nach Jahren auf der Straße der Weg in eine eigene Wohnung und hin zu einem selbstbestimmten, sicheren Leben mit einigen Hürden verknüpft sein kann, beraten und unterstützen Mitarbeitende der Diakonie Frankfurt und Offenbach die Menschen. Sie sind stets ansprechbar für Fragen der Gesundheitsversorgung bis hin zu notwendigen Behördengängen.

Für uns ist Housing-First mehr als Housing Only.

Die Wohnung als Schutzraum und Quelle eines Sicherheitsgefühls ist eine wichtige Voraussetzung. Zugleich ist eine gute Begleitung durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter unverzichtbar. Das zeigen unseren langjährigen Erfahrungen“, sagt der Diakoniepfarrer und Theologische Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach, Markus Eisele.

Bei persönlichen und bei gesundheitlichen Krisen oder auch wenn soziale Isolation und Verelendung drohen, sei professionelle Unterstützung dringend nötig. „Dafür stehen unsere Fachkräfte und dazu vernetzten wir uns auch eng mit den Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe“, sagt Markus Eisele.

Neue Wege in der Wohnungslosenhilfe versprechen Erfolg

Ein (Demo-)Schild auf dem steht: Angst vor Obdachlosigkeit
epd-bild / Rolf Zoellner
Die Zahl der Obdachlosen steigt, außer in Finnland, stetig an.

Das aus den USA stammende Housing First wird in Finnland besonders erfolgreich umgesetzt. Eine eigens gegründete Nichtregierungsorganisation (NGO), die Y-Foundation, genießt den Vorteil, vergünstigte finnische Staatsanleihen kaufen zu können, um damit Wohnraum anzuschaffen. Die NGO wird außerdem von der staatlichen Lotterie finanziell unterstützt. Die Obdachlosigkeit in Finnland wurde dadurch fast abgeschafft. Aktuell zählt das skandinavische Land etwa 600 Menschen, die auf der Straße leben.

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Neue Wege zu gehen, ist wichtig, weil die bisherigen Anstrengungen und Ansätze häufig ins Leere laufen oder nicht ausreichend sind. Überall in Europa steigt die Zahl der Menschen, die ohne Obdach sind. Deutschlandweit schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die Zahl der Menschen, die im Jahr 2020 auf der Straße lebten, auf rund 256.000. Die Dunkelziffer liegt darüber. Statistisch nicht erfassbar sind unter anderem diejenigen, die einen Fluchthintergrund haben.

Die Europäische Union legt mit der Resolution zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit vor, ihre Mitgliedsstaaten müssen nun nachlegen. Neben der Finanzierung entsprechender Programme ist Obdachlosigkeit zunächst eine wohnungspolitische Frage und Aufgabe. Denn ohne ausreichenden, bezahlbaren Wohnraum ist es nicht umsetzbar, Obdachlosigkeit in Europa abzuschaffen.