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Für alle, die Hilfe benötigen

Was wäre, wenn es die Diakonie nicht mehr gäbe?

Die Kältebusfahrer der Berliner Stadtmission kümmern sich um Obdachlose, die sich im Tunnel unter der Moltkebrücke am Kanzleramt ein Nachtlager eingerichtet haben.
epd-Bild / Rolf Zoellner
Die Kältebusfahrer der Berliner Stadtmission kümmern sich um Obdachlose, die sich im Tunnel unter der Moltkebrücke am Kanzleramt ein Nachtlager eingerichtet haben.

Katastrophenhilfe im Ahrtal, Obdachlosenspeisung, Begleitung von Geflüchteten: Rund 10 Millionen Menschen erhalten in Deutschland Hilfe von der Diakonie.

Flughafenpfarrerin Bettina Klünemann auf dem Weg durch Terminal 1 am Frankfurter Flughafen
epd-bild/Leuthold
Flughafenpfarrerin Bettina Klünemann auf dem Weg durch Terminal 1 am Frankfurter Flughafen

Den Frankfurter Flughafen bringen viele mit Reisen und Urlaub in Verbindung. Doch egal ob Menschen, die im Transitbereich festsitzen, Geflüchtete, die Asyl suchen, ein Ehemann, der den Leichnam seiner verstorbenen Frau überführt. Auch am Flughafen können Menschen aus unterschiedlichen Gründen in Notsituationen geraten. Um sie kümmern sich die Pfarrerinnen Bettina Klünemann und Tanja Sacher mit ihrem Team von der Flughafenseelsorge Frankfurt.

„Hier stranden zum Beispiel Menschen, deren Reisevisum annulliert wurde. Während Corona hingen Leute teilweise über Wochen im Transitbereich fest“, erzählt Bettina Klünemann. Wer im Transitbereich strandet, den versorgt sie mit Schlafsäcken und Decken für die Nacht, hilft beim Umbuchen von Flügen, organisiert Essen. „In der Transitzone kann man zum Beispiel keine Babynahrung kaufen“, schildert sie.

Beim Tod unterstützend zur Seite stehen

Lesetipp: Gestrandet am Flughafen

„Ohne die Diakonie hätte ich es nicht geschafft“: Maria saß in Dubai im Gefängnis, mit ihrem Sohn Leo landet sie als Obdachlose am Frankfurter Flughafen und kämpft sich nach oben.

Lies hier, was sie erlebt haben und wie die Diakonie ihr geholfen hat.

Bewegend sei die Geschichte eines jungen Paares gewesen, das nach Thailand ausgewandert ist. „Die Frau wurde dort so schwer krank, dass sie innerhalb von einer Woche verstorben ist.“ Als der Mann mit dem Leichnam nach Deutschland zurückkehrte, half sie bei der Überführung und stand in Kontakt mit dem Bestatter. „Der ganze gemeinsame Traum war vorbei. Das muss man erstmal verarbeiten“, sagt sie.

Wichtig sei es, erzählt Klünemann, als Ansprechpartner zugegen zu sein. „Wenn jemand im Urlaub verstorben ist oder sich das Leben genommen hat, dann müssen wir den wartenden Angehörigen am Gate Todesbotschaften überbringen“, sagt sie.

Eine europäische Außengrenze mitten in Frankfurt

Um Geflüchtete am Flughafen kümmert sich Tanja Sacher gemeinsam mit dem kirchlichen Flüchtlingsdienst von Diakonie und Caritas. „Mitten in Frankfurt haben wir eine europäische Außengrenze“, beschreibt sie ihren Arbeitsplatz. Am Flughafen befindet sich eine geschlossene Übergangsunterkunft für Menschen, die auf ein Asylverfahren warten.

„Rundherum ist sie umzäunt und wir von der Bundespolizei und einem Sicherheitsdienst bewacht. Das sind haftähnliche Bedingungen“, sagt sie. Die Menschen dort seien tief verzweifelt, manche suizidal gefährdet. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen berät Sacher die Geflüchteten über den Ablauf des Asylverfahrens, organisiert bei Bedarf einen Anwalt, kümmert sich um Menschen, wenn sie traumatisiert sind.

„Natürlich würde der Betrieb hier am Flughafen auch ohne uns funktionieren“, sagt Bettina Klünemann. „Aber nur für die Menschen, die keine Hilfe benötigen.“

Obdachlose finden wieder eine Wohnung

Jürgen Mühlfeld, ehemaliger Leiter vom Weser 5 Diakoniezentrum im Frankfurter Bahnhofsviertel
epd-Bild / Tim Wegner
Jürgen Mühlfeld, ehemaliger Leiter vom Weser 5 Diakoniezentrum im Frankfurter Bahnhofsviertel

Etwa 400 – 450 Menschen leben derzeit allein in Frankfurt am Main auf der Straße. 3.100 weitere haben keine eigene Wohnung und kommen in Notunterkünften, Frauenhäusern oder Übergangswohnheimen unter. Hilfe bekommen sie unter anderem vom WESER 5 Diakoniezentrum im Frankfurter Bahnhofsviertel. „Wir kümmern uns um Obdachlose sowie Menschen in prekären Lebenssituationen und bieten schnelle und unbürokratische Hilfe an. Speziell in der Sozialberatung ist der Bedarf hoch“ sagt Jürgen Mühlfeld. Bis 2022 war er Leiter von WESER 5.

Zu den Angeboten zählen ein Tagestreff mit Essens- und Kleiderausgabe, Straßensozialarbeit sowie Notübernachtungsplätze und ein Übergangswohnheim für Obdachlose. „Wir stellen zehn Notübernachtungsplätze bereit, dennoch müssen wir, wenn sie belegt sind, manchmal Menschen abweisen. Es bräuchte mehr Kapazitäten“, schildert Mühlfeld.

Das Übergangswohnheim von WESER 5 umfasst 36 Plätze. Das Diakoniezentrum unterstützt die Bewohner auf dem Weg zurück in ein geordnetes Leben und hilft bei der Wohnungssuche in Frankfurt. „Im vergangenen Jahr konnten wir 18 ehemals Obdachlosen eine eigene Wohnung vermitteln. Das ist angesichts von Wohnraumknappheit und vor allem auch dem Mangel an Sozialwohnungen eine gute Quote“, freut sich Mühlfeld.

Stichwort: Subsidiaritäts-prinzip

Das Subsidiaritätsprinzip (von lateinisch subsidium – „Hilfe“) regelt den Aufbau und die Zuständigkeiten innerhalb des Sozialstaats. Auf Grundlage der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus beinhaltet es, dass der Staat nicht allein für das Wohl einer Gesellschaft zuständig ist oder dieses zentral organisiert. Aufgaben der sozialen Fürsorge überträgt er stattdessen an verschiedene Träger oder Wohlfahrtsverbände wie etwa Diakonie oder Caritas.

Wie funktioniert die Wohlfahrt in Deutschland?

Neben vielen Einrichtungen auf kommunaler Ebene wie etwa den Tafeln sowie privatwirtschaftlichen Trägern, sind es in Deutschland sechs große Verbände, die sich für das Wohl in der Gesellschaft einsetzen: Die Diakonie Deutschland von evangelischer Seite, der Caritasverband von katholischer Seite, die Arbeiterwohlfahrt AWO, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sowie die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).

Diese gemeinnützigen Organisationen orientieren sich in ihrem Handeln an religiösen (Diakonie, Caritas, ZWST), humanitären (DRK, paritätischer Wohlfahrtsverband) oder politischen Überzeugungen (AWO).

Was wäre, wenn es die Diakonie nicht mehr gäbe?

 „In Deutschland gilt das Subsidiaritätsprinzip. Sollten die Diakonischen Werke von heute auf morgen schließen, dann könnten theoretisch zunächst andere Wohlfahrtsverbände einspringen“, erklärt Dr. Ingolf Hübner aus dem Leitungsstab der Diakonie Deutschland. Praktisch habe sich jedoch speziell während der Flüchtlingskrise 2015 oder der Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr gezeigt, wie notwendig die Arbeit von Helferinnen und Helfern der Diakonie war.

Lies hier den Erfahrungsbericht einer Helferin, die im Ahrtal unterwegs war

Stichwort: Diakonie

Die Diakonie (von altgriechisch diakonia – „dienen“, „helfen“) ist der soziale Dienst der evangelischen Kirche. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von circa 4.500 rechtlich eigenständigen Trägern und Verbänden, die unter ihrem Dach deutschlandweit über 31.000 Einrichtungen versammeln. Das sind Krankenhäuser, Altenpflegeheime, Sozialstationen, Wohngruppen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Angebote und Beratungsstellen etwa für Suchtkranke und Obdachlose.

Knapp 600.000 Menschen arbeiten in Deutschland hauptamtlich für die Diakonie in Voll- oder Teilzeit, hinzu kommen um die 700.000 ehrenamtlich Engagierte. Circa 10 Millionen Menschen erhalten von der Diakonie auf unterschiedliche Weise Hilfe.

Verloren gehe etwas ganz anderes. „Das Wesensmerkmal der Diakonie ist die christliche Nächstenliebe“, sagt Hübner. Heruntergebrochen heiße das, für andere Menschen da zu sein, unabhängig von Herkunft, Religion, Weltanschauung oder der sexuellen Orientierung. „Die Angebote der Diakonie stehen allen Menschen offen“, sagt Hübner. Dabei bezieht er sich auf die Bibelgeschichte von Jesus und dem barmherzigen Samariter. Der oder die Nächste sei schlicht die Person, die Hilfe benötigt.

Für das, was man tut, brauche es Hübner zufolge immer auch eine weltanschauliche Überzeugung. „Mitarbeitende der Diakonie empfinden ihre Arbeit als einen Ausdruck ihres Christseins. Es sind sinnstiftende Tätigkeiten, in denen Menschen aufgehen.“ Aus diesem Antrieb heraus, beschreibt Hübner es, könne man Kraft und Stärke gewinnen. „Es gibt Beispiele von Menschen, die einst auf die Tafel angewiesen waren und sich heute dort selbst ehrenamtlich engagieren. Sie haben die Seite des Tisches gewechselt.“

Diakonie und Kirche beschreibt Hübner als eine „Anwältin der Nächstenliebe“. „Ohne Kirche und Diakonie würde in der gesellschaftlichen Debatte um ethische Fragen wie etwa der Sterbehilfe eine wichtige Stimme fehlen“, sagt er.

„Ohne die Diakonie wäre unsere Gesellschaft deutlich ärmer“, findet auch Felix Blaser von der Bereichsleitung der Diakonie Hessen. Gäbe es die Diakonie nicht mehr, entfiele die Arbeit von rund 600.000 hauptamtlich und 700.000 ehrenamtlich engagierten Menschen deutschlandweit. Allein im Gebiet der Diakonie Hessen  betrifft das 42.000 Stellen und fast 2.100 diakonische Angebote etwa in der Schwangerschafts- und Familienberatung, sowie der Begleitung kranker, wohnungsloser oder geflüchteter Menschen bis hin zur Sterbebegleitung.

Wie finanziert sich die Diakonie?

Die Finanzierung der Diakonie setzt sich zusammen aus Einnahmen von Leistungsempfängern, öffentlichen Zuwendungen sowie Eigenmitteln. Die Einnahmen von Leistungsempfängern machen dabei den größten Teil aus. Darunter fallen beispielsweise Kitagebühren sowie Leistungen der Sozialversicherungen wie Kranken- und Rentenkassen, Pflege- oder Unfallversicherungen.

Die öffentlichen Zuwendungen sind zweckgebunden und bedürfen eines Förderantrags. Sie kommen von Bund, Ländern, Landkreisen oder Kommunen, die etwa den Bau einer Kita oder eines Krankenhauses unterstützen. Die Eigenmittel der Diakonie setzten sich zusammen aus Einnahmen der Kirchensteuer, Mitgliedsbeiträgen, Spenden oder Kollekten.

Kirche verliert Mitglieder, Bedarf der Diakonie wächst

„Die kulturprägende Kraft des Christentums zeigt sich nicht nur an unserer Zeitrechnung und dem arbeitsfreien Sonntag. Sie hat auch immer eine starke Ausprägung darauf, wie wir uns als Menschen in einer Gesellschaft verstehen“, sagt Blaser. Kirche oder Diakonie im Quartier zu sein, bedeute etwa auch Nachbarschaftszusammenhalt zu gestalten, mit anderen leben und mit ihnen gemeinsam Probleme zu lösen.

Die Annahme, dass es Diakonie in Zukunft nicht mehr geben könnte, sei jedoch nicht sehr realistisch. „Bei aller Prognostik des Kleiner-Werdens, die für die Entwicklung der verfassten Kirchen sicherlich zutreffend ist, gilt für die diakonischen Einrichtungen eher, dass ihr Bedarf zunehmen und sie von Wachstum geprägt sein sind.“

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