Bevor sie anfingen, Geflüchteten aus der Ukraine Deutsch beizubringen, reisten Gudrun und Manfred Eberlein nach China. Aber nur in Gedanken. Das Ehepaar aus Rüsselsheim fragte sich: Welche Worte bräuchten wir, um in dem fremden Land halbwegs klarzukommen? Um einkaufen gehen zu können, für den Arztbesuch.
Seit Ende April unterrichen die beiden Ukrainerinnen und Ukrainer, die wegen des Krieges ihre Heimat verlassen mussten. Einmal in der Woche bringen sie ihnen bei, wie man sich auf Deutsch begrüßt, und dass es hier ‚fünf-und-zwanzig‘ und nicht ‚zwanzig-und-fünf‘ heißt.
Die Übungsstunden finden in den Räumen der freikirchlichen Petrusgemeinde in Kelsterbach nahe Frankfurt statt. Dort sind die Eberleins Mitglied.
„Die können wir nicht einfach links liegen lassen“
Vor sieben Jahren haben Gudrun und Manfred Eberlein schon einmal Deutsch unterrichtet: für Syrer, Irakerinnen oder Eritreer. 2015 kamen sie im Zuge der damaligen Fluchtbewegungen nach Deutschland. „Die Leute können wir nicht einfach links liegen lassen“, dachte sich Manfred Eberlein damals wie heute.
Für den Diplom-Kaufmann, 64 Jahre alt und inzwischen Rentner, ist Sprache der wichtigste Bestandteil von Integration. „Und ich bin einfach neugierig. Da kommen so viele großartige Menschen, die will ich kennenlernen.“
„Er war die treibende Kraft“, denkt Manfreds Frau Gudrun, 60, an das erste Kursangebot 2015 zurück. Schnell ließ sich die Lehrerin für Biologie, Sport und Kunst vom Enthusiasmus ihres Mannes anstecken.
Der Sprachkurs kam gut an. „Mit einigen Schülern von damals sind wir heute gut befreundet“, sagt Manfred Eberlein. Die Ereignisse in der Ukraine seien für ihn ein Déjà-vu gewesen. Schnell war für die Eberleins klar: Wir machen wieder einen Sprachkurs!
Zur ersten Stunde kamen acht Menschen, beim zweiten Mal waren es 18, dann 16. „Es sind überwiegend Frauen zwischen 30 und 40“, sagt Manfred Eberlein. Auch eine 14-Jährige sei schon da gewesen, ergänzt seine Frau. Der Unterricht falle leichter als vor sieben Jahren, „damals hatten manche noch nie eine Schule besucht.“ Viele der ukrainischen Geflüchteten könnten zumindest etwas Englisch.
„Sie sind richtig ambitioniert, sie wollen hier etwas lernen“, ist Manfred Eberlein von deren Eifer angetan. Als es im Unterricht um die Zahlen ging, habe jemand nach Kommazahlen gefragt. „Er wollte wissen, wie man das im Supermarkt sagt. Dann habe ich erklärt, dass es nicht ‚zwei Komma 80 Euro‘, sondern ‚zwei Euro 80‘ heißt.“
Gelernt wird vor allem mit Arbeitsblättern, die Gudrun entwirft. Was die Eheleute schnell gemerkt haben: Mit Humor funktioniert vieles einfacher. „Als wir uns in der ersten Stunde vorgestellt haben, habe ich zu meiner Frau gesagt: ‚Was, du bist schon 60, so alt?‘ Das hat die Stimmung gleich aufgelockert“, erzählt Manfred Eberlein.
Er und seine Frau begegnen im Unterricht Menschen, die vor kurzem Krieg erlebt haben. Die möglicherweise den Bruder verloren haben, deren Haus zerbombt wurde. „Einige scheinen vollkommen unbeschwert“, sagt Manfred Eberlein, andere seien hingegen stiller, in sich gekehrt. „Guckt man in ihr Gesicht, sieht man: da ist etwas.“
Aber um darüber zu sprechen ist es noch zu früh, ergänzt seine Frau. Jetzt sei nur der Kurs wichtig.
Zwei Stunden wohlfühlen, zwei Stunden heile Welt.