Soziales

Trost nach dem Verlust: So helfen Rituale rund ums Sternenkind

kleine Babyfüße umhüllt von einer weichen, weißen Decke. Die Aufnahme ist schwarz-weiß.
gettyimages/Vad-Len

Wenn Kinder viel zu früh sterben, begleitet das Hebammen-Team in Speyer jedes Sternenkind.

von Lara Sturm

Im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer kommen regelmäßig auch Sternenkinder zur Welt. Das sind Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt versterben. 

Hebamme erklärt stille Geburten

Andrea Grünberg ist Hebamme. Sie ist außerdem die Fachkoordinatorin im Kreißsaal und begleitet betroffene Familien. Im Interview spricht sie unter anderem über einen Wandel im Umgang mit stillen Geburten und über die Bedeutung von Erinnerung.

Gibt es Zahlen oder Schätzungen, wie viele Sternenkinder im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer jährlich geboren werden?

Andrea Grünberg seht im Krankenhaus.
privat

Andrea Grünberg: Wir begleiten jedes Jahr 30 bis 35 Sternenkinder. Die Zahlen schwanken etwas von Jahr zu Jahr, aber das zeigt: Wir begegnen dieser Situation regelmäßig – und sie betrifft viele Familien.

Wie hat sich Ihre Arbeit im Umgang mit Sternenkindern in den letzten Jahren verändert?

Andrea Grünberg: Im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer legen wir seit vielen Jahren großen Wert auf individuelle Begleitung und sensible Betreuung. Das ist zu großen Teilen unserer ehemaligen Kreißsaal-Leitung zu verdanken, die auch Mutter von zwei Sternenkindern ist. Wir schulen unser Team regelmäßig, erweitern unsere Fortbildungen und binden schon Studierende der Hebammenwissenschaft früh in die Begleitung von Sternenkind-Familien ein.

Individuelle Betreuung im Kreißsaal schafft Raum für Abschied

Uns ist bewusst, wie kostbar die kurze Zeit ist, die Eltern mit ihrem Kind bleibt. Wir sprechen mit den Eltern über ihre Wünsche, gestalten gemeinsam den Geburtsraum – ruhig, eine geschützte Atmosphäre, auf Wunsch mit Musik oder Aromatherapie – und ermöglichen selbstverständlich Schmerzfreiheit.

Wenn es möglich ist, reden wir vorher über den Moment des Ankommens des Kindes. Wir ermutigen Eltern, ihr Kind zu sehen, zu berühren, ihm einen Namen zu geben – aber wir respektieren auch, wenn sie das nicht können oder möchten.

Rechtliche Lage: Sternenkinder

Mutterschutz & Kündigungsschutz: Bei einer Totgeburt (ab 24 SSW oder ≥ 500 g) bekommst du Mutterschutz, Mutterschaftsgeld und vier Monate Kündigungsschutz. Bei einer Fehlgeburt besteht leider kein gesetzlicher Mutterschutz, aber ärztliche Bescheinigungen sichern Anspruch auf Lohnfortzahlung oder Krankengeld. 

Geburtsbegleitung: Du darfst entscheiden, ob du dein Kind selbst zur Welt bringen willst oder medizinische Unterstützung wünschst. Totgeburten werden meist hormonell eingeleitet, um den körperlichen und seelischen Prozess zu begleiten. 

Emotionale Unterstützung: Seelische Belastung ist normal. Es ist okay, Trauer zuzulassen und Hilfe in Anspruch zu nehmen – z. B. bei Ärzt*innen, Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen.

Wie gestalten Sie die Zeit rund um die stille Geburt konkret?

Andrea Grünberg: Während des Wartens auf die Wehen dürfen die Eltern Tücher, Kleidungsstücke oder kleine Erinnerungsstücke für ihr Kind aussuchen. Manche bemalen einen Papiersarg oder schreiben einen Brief an ihr Sternenkind. Wir beziehen, wenn möglich, auch Geschwisterkinder ein.

Wenn wir uns etwas wünschen dürften, dann wäre es ein fest eingerichteter Raum für stille Geburten – ein geschützter Ort, der jederzeit zur Verfügung steht. 

Denn diese Geburten brauchen Ruhe, Würde und Zeit.

Wie erleben Sie das Thema Sternenkind in der Frühschwangerschaft?

Andrea Grünberg: Liebe und Trauer kennen keine Schwangerschaftswoche. Wir haben immer noch das Gefühl, dass häufig die Frauen und Familien nicht bedacht werden, die sich schon sehr früh nach Bekanntwerden der Schwangerschaft von ihrem Kind verabschieden müssen

Die Diagnose wird häufig in einer gynäkologischen Praxis gestellt und viele Frauen wissen bislang nicht um die Möglichkeit der Hebammenbetreuung und Begleitung in dieser schmerzhaften und herausfordernden Situation.

Eine Kiste mit Baby-Kleidung. Darauf das Schild „Kleidung für kleine Sternchen“
privat
Sternenkind-Eltern dürfen sich Erinnerungsstücke oder Kleidung aussuchen

Mutterschutz und Anerkennung von Sternenkind-Familien

Wir wünschen uns, dass Frauen künftig häufiger die Möglichkeit haben, sich in einem vertrauten Umfeld für eine abwartende, natürliche Geburt zu entscheiden – begleitet von Hebammen und Gynäkolog*innen. Das kann helfen, Ängste zu nehmen, die Trauer zu verarbeiten und Schuldgefühle zu verringern.

Positiv ist: Die Mutterschutzfristen wurden inzwischen erweitert. Es gibt nun bereits ab der 13. Schwangerschaftswoche gestaffelte Schutzfristen – das ist ein wichtiges Signal der Anerkennung für die betroffenen Familien.

Trauer ist sehr individuell. Was können Sie betroffenen Familien empfehlen?

Andrea Grünberg: Zunächst einmal: Es gibt kein richtig oder falsch. Alles darf sein. Trauer verläuft in Phasen, die bei jedem Menschen anders aussehen. Manche Eltern möchten sofort Erinnerungen schaffen, andere brauchen Zeit. 

Wir arbeiten mit den Sternenkind-Fotografen von „Dein-Sternenkind.eu“ zusammen. Manchen Familien hilft, zu Hause Erinnerungsplätze einzurichten, mit Fotos und Erinnerungsstücken aus der Klinik. Wie unsere „Sternenbärchen“ oder eine schöne Schachtel, in der Erinnerungsstücke aufbewahrt werden, die immer wieder angeschaut und in die Hand genommen werden können. 

In unserer Klinik besteht die Möglichkeit einer Segnung; daran dürfen auch Geschwisterkinder, Großeltern, Angehörige und Freunde der Familie teilnehmen. Auch gemeinsame Rituale, etwa eine Erinnerungskerze anzünden, ein Lied singen oder abspielen, ein Gebet sprechen oder einen Text lesen, können helfen. 

Ebenso der Austausch mit anderen Betroffenen. Wir haben für die betroffenen Familien Flyer mit Adressen von Selbsthilfegruppen und Trauer-Cafés. Für Kinder unter 500 Gramm bieten wir, wenn keine individuelle Bestattung gewünscht ist, die Teilnahme an der Gemeinschaftsbestattung an, die zweimal im Jahr stattfindet. 

Und zuletzt kann seelsorgerische und psychologische Begleitung hilfreich sein, um auf die individuellen Bedürfnisse der Familien einzugehen. 

Elternschaft trotz Verlust

Wie begegnen Sie dem Satz „es braucht keine Hebamme, weil ja kein Baby da ist“ – und was antworten Sie darauf?

Andrea Grünberg: Hebammen beraten bei allen Fragen rund um die Bewältigung der Trauer, beim langsamen Zurückfinden in den Alltag und zu den körperlichen Rückbildungsprozessen, die jede Schwangerschaft mit sich bringt.

Allen Eltern von Sternenkindern kann ich sagen: Sie sind Mütter und Väter. Gerade weil Sie ihrem Kind nicht mehr körperlich nah sein können, es nicht mit ihren Händen berühren oder in ihren Armen halten können, ist eine achtsame, wertschätzende und liebevolle Begleitung wichtig. Ihr Kind ist immer in ihrem Herzen geborgen.