Diese Nachricht ist für werdende Eltern eine emotionale Katastrophe: Das Herzchen des erwarteten Babys schlägt plötzlich nicht mehr oder wird bald aufhören zu schlagen. Kinder, die die Geburt nur kurz oder gar nicht überleben, heißen Sternenkinder. Seit 2013 hilft die Organisation „Dein Sternenkind“ Eltern dabei, eine Erinnerung an ihr verstorbenes Kind zu bekommen. Über 600 ehrenamtliche Sternenkind-Fotografinnen und Fotografen engagieren sich für „Dein Sternenkind“ in Deutschland und Österreich.
Stefan Rasch fotografiert im Raum Mainz/Wiesbaden in Kliniken und im Kinderhospiz. Er hat bei seinen Einsätzen auch schon Taufen und Aussegnungen fotografiert. Im Gespräch mit Redakteurin Charlotte Mattes erzählt der 59- jährige Ingenieur, wie er sein Ehrenamt erlebt.
Stefan Rasch: Ich könnte mir einfach nicht vorstellen, damit aufzuhören. Es sind für mich die wichtigsten Bilder, die ich machen kann. Ich habe auch die volle Unterstützung meines Chefs bei der Ausübung meines Ehrenamtes. Er sagte mir, als ich ihm erzählte, was ich mache: „Kein Termin ist so wichtig, dass er nicht verschoben werden kann.“ Ohne diese Unterstützung ginge es auch gar nicht, denn die Einsatzalarme kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Die Motivation immer weiter zu machen, ziehe ich sicher auch aus den Rückmeldungen der Eltern, obwohl nicht oft welche kommen. Aber einmal habe ich ein Foto zugeschickt bekommen, da haben die Eltern eines meiner Bilder bei der Beerdigung neben den Sarg gestellt, das wollten sie mir zeigen. Eine andere Familie hat mir ein Päckchen geschickt, da war ein sehr lieb geschriebener Brief, in dem sie sich für die Bilder bedankt haben, drin, dazu ein selbst-gebackener Kuchen und eine Flasche Rotwein.
Das ist vielleicht so eine ähnliche Situation, wie wenn ein Notarzt, auf die Autobahn gerufen wird, weil ein Unfall passiert ist.
Stefan Rasch: Das ist vielleicht so eine ähnliche Situation, wie wenn ein Notarzt, auf die Autobahn gerufen wird, weil ein Unfall passiert ist. Der braucht ja auch Distanz, um richtig handeln zu können. Das ist für mich vor Ort ganz wichtig. Wenn ich in diese intime Situation als völlig Fremder reinkomme und mich von der unendlichen Hilflosigkeit und Traurigkeit anstecken lassen würde, wäre das nicht gut.
Ich bin aber auch manchmal froh, wenn ich mich an meiner Kamera festhalten kann. So kann ich mich darauf konzentrieren, wofür ich da bin. Wenn ich mir dann aber hinterher die Fotos zu Hause anschaue und bearbeite, geht das aber nicht spurlos an mir vorbei, da kommen die Emotionen schon mal hoch.
Stefan Rasch: Gerade erst, vor den Corona-Einschränkungen, war ich bei einem solchen Einsatz. Da ist das Mädchen einer pakistanischen Familie verstorben. Als ich in die Klinik gekommen bin, haben die Eltern dem Mädchen ein schönes Kleid angezogen und fein-bestickte goldene Schuhe. Und sie haben die ganz Zeit mit ihr gesprochen und die Mama hat angefangen, ein Lied zu singen. Das sind Situationen, in denen ich schon mal schlucken muss.
Stefan Rasch: Ja, die gibt es tatsächlich. Einmal kam ein Papa mit seiner verstorbenen Tochter auf dem Arm ins Zimmer, in dem schon der Rest der Familie wartete. Eigentlich fragen Eltern immer, was sie denn jetzt machen sollen für die Fotos. Diesmal war es ganz anders. Ich hatte das Gefühl, dass die Familie mich überhaupt nicht bemerkte. Das Erste was der Papa gemacht hat, war, sich mit der Kleinen auf den Boden zu setzen. Dann kamen die kleinen Geschwister, und haben gefragt, was mit ihr ist und ob sie schläft. Der Papa hat ihnen dann mit einfachen Worten erklärt, warum die Kleine nicht mit ihnen nach Hause gehen könnte.
Die „große“, vielleicht fünf Jahre alte Schwester, hatte ein Bild gemalt, das sie zusammen mit dem Papa mit einer Schleife an dem toten Mädchen befestigte. Dann haben sich alle, Papa, Mama, die Großeltern und die beiden Geschwister zusammen auf ein Bett gesetzt, weil sie gerne ein Bild mit Allen haben wollten.
Das war so eine intime und trotz des furchtbar traurigen Anlasses auch eine sehr „schöne“ Atmosphäre, wie sich die ganze Familie von dem Mädchen verabschiedet hat - das sind Situationen, die bleiben hängen. Was vielleicht noch als Ergänzung ganz interessant ist: Väter gehen oft anders mit der Situation um als Mütter. Die Väter sitzen da und weinen nur, bekommen keinen Ton raus. Woran das liegt, weiß ich nicht.
Stefan Rasch: Sie haben schon gefragt: „Warum willst du denn jetzt tote Kinder fotografieren?“ Das kam manchen gruselig vor, weil sie wissen, was ich ja sonst nebenberuflich fotografiere. Also Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Taufen, also lauter schöne und fröhliche Anlässe. Ich wurde sogar einmal von einer Sternenkind-Mama gefragt, warum ich das mache.