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Private Seenotrettung

Wie steht es um die Seenotrettung im Mittelmeer?

Das Rettungsschiff von der Seite und ein angelegtes Beiboot, von dem Menschen auf das Schiff umsteigen.
SOS Humanity/Arez Gadheri
Die Humanity1 bei einer Rettung im Mittelmeer 2022

„United4Rescue“ hilft Ertrinkenden im Mittelmeer. Unterstützt wird der Verein von der Evangelischen Kirche. Wie steht es um die zivile Seenotrettung?

In Europa liegt eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt: Sie führt durch das Mittelmeer. In der ersten Hälfte von 2023 starben laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bislang über 1.900 Menschen bei der Überquerung oder werden vermisst. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Hilfsbündnis „United4Rescue“ bald mit drei Schiffen

Bis heute hat Europa keine staatliche Seenotrettung. Nur private Initiativen halten nach Menschen auf der Flucht Ausschau. Thies Gundlach ist Vorstandsmitglied bei „United4Rescue“.

Bündnis „United4Rescue“

Das Bündnis ist ein Verein. Nach eigenen Angaben wird er in der zivilen Seenotrettung von 900 Organisationen und Gruppen unterstützt. Obwohl er nicht konfessionell ist, wurde das Bündnis von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angestoßen. 2020 wurde das Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ erworben.

Das Bündnis finanziert Rettungsschiffe im Mittelmeer, darunter auch das kirchlich mitfinanzierte ehemalige Forschungsschiff „Poseidon“ unter dem Namen „Sea Watch 4“. Seitdem es von der Organisation „SOS Humanity“ übernommen wurde, heißt es „Humanity 1“. Die zweite Schiff heißt „Sea Eye 4“ (2021). Die „Sea-Watch 5“ soll dieses Jahr als dritter Retter auslaufen.

Wie viele Menschen konnten bisher durch diese Schiffe gerettet werden?

Thies Gundlach: Die jetzige „Humanity 1“ hat über 3.000 Menschen gerettet. Das andere Schiff ist noch nicht ganz so lange im Einsatz und hat rund 2.600 Menschen gerettet.

Portrait von Thies Gundlach
epd-bild/Peter Juelich

Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Schicksal, ein langer Weg, eine Hoffnung. Wir sind sehr glücklich, dass uns das gelingt.

Not im Mittelmeer – Kritik an Italiens Regierung

Wie ist denn derzeit die Lage im Mittelmeer?

Thies Gundlach: Sie ist schwierig: Einerseits nehmen die Überfahrten rapide zu, gleichzeitig hat es dieses furchtbar große Unglück vor der griechischen Küste gegeben und auf der anderen Seite macht es uns die italienische Regierung wirklich schwerer.

Sie macht bestimmte Auflagen. Das Absurdeste zum Beispiel:

  • Wenn man ein Schiff gerettet hat, dass darf man das nächste das einem begegnet, nicht retten. Sonst wird man dafür bestraft.
  • Man kriegt Häfen zugewiesen, die sehr weit weg liegen, so dass man lange fahren muss.

Das sind alles Erschwernisse. Und trotzdem halten wir das Engagement für unaufgebbar. Man kann die Leute nicht einfach ertrinken lassen.

Wird die Situation schwieriger? Auch mit den Spenden?

Thies Gundlach: Leichter wird es nicht. Und das die Stimmung in Europa und anderen Ländern langsam in Richtung noch schärferer Abgrenzung kippt, ist mit den Händen zu greifen.

Für die Seenotrettung spenden

United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank
Direkt bei „United4Rescue“ spenden

Aber es gibt ja auch Schwierigkeiten, für die keiner was kann: Diesel-Einkauf, Rettungswesten-Einkauf, Essen-Einkauf – das alles ist sehr viel teurer geworden.

Gleichzeitig ist mit dem Ukrainekrieg ein Spendenaufkommen hinzugekommen. Die Ukraine zu unterstützen ist absolut sinnvoll, aber wir wachsen nicht mehr so, was das Spendenaufkommen angeht. Insofern ist das eine Grundsituation, mit der man leben muss.

Finanzierung für zivile Rettung im Mittelmeer

Was kostet denn so ein Rettungseinsatz?

Thies Gundlach: Wir haben im Jahr ein Unterstützungsziel von etwa 1,2 Millionen Euro. Das müssen wir aber erst einmal durch Spenden zusammen kriegen. Bisher haben wir das geschafft. Das verteilen wir nach Bedarf.

Einsätze sind schwer kalkulierbar. Es ist ja nicht so, dass man losfährt und sagt: „In einer Woche sind wir wieder da und das kostet soundso viel.“ Manchmal musst du drei Runden drehen, dann musst du vorm Hafen in Italien zwei Tage warten usw.. Also es ist schwer einschätzbar.

Wir versuchen nach Bedarf und Notwendigkeit zu unterstützen, so gut wir können.

Rettungsring der Sea-Watch 5, im Hintergrund Menschen, unscharf dargestellt
Sea-Watch/Selene Magnolia
Beim Tag des offenen Schiffes zu Besuch auf der „Sea-Watch 5“ in Hamburg

Sind das nur Spenden oder auch Kirchensteuern?

Thies Gundlach: Es gibt Kirchengemeinden und Kirchenkreise, die uns unterstützen, aber eine offizielle Kirchensteuerregelung gibt es nicht. Wir kriegen Kollekten und das ist toll.

Wir haben jetzt etwa 900 Bündnispartner. Fast 500 Förderer haben sich verpflichtet, uns regelmäßig zu unterstützen, mit unterschiedlichen Beträgen. Da freuen wir uns riesig, dass das doch so breit unterstützt wird.

Europäische Herausforderung Migration

Mai 2023: Rettung geflüchteter Menschen im Mittelmeer mit der „Sea-Eye 5“
Sea-Eye/Soizic Roux
Mai 2023: Rettung geflüchteter Menschen im Mittelmeer mit der „Sea-Eye 5“

Die Migration ist eine große Herausforderung für Europa. Ist die private Seenotrettung da wirklich eine Lösung des Problems?

Thies Gundlach: Wir sind nicht diejenigen, die für die Migrationsproblematik dieser Welt eine Lösung haben. Das ist ein Riesen-Problem und kann man auch gar nicht leugnen. Wir sagen nur: Menschen zur Abschreckung ertrinken zu lassen, dass ist gegen jedes christliche oder humanitäre Ideal. Dafür muss man nicht besonders christlich engagiert sein.

Und ich würde an dieser Stelle auch keinen Zentimeter rücken. Ich finde, dass das eine außerordentliche wichtige und sinnvolle Tätigkeit ist, dass es diese Seenotretter gibt. Die soll es ja nur solange geben, bis es eine gute staatliche organisierte Seenotrettung gibt.