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Sterbehilfe: Tod auf Termin

Kerze, die gerade ausgegangen ist
gettyimages/Gromushka

Der Deutsche Bundestag entscheidet über den assistierten Suizid. Doch was bedeutet Sterbehilfe für die Betroffenen? Erfahrungen aus der Schweiz und den Niederlanden.

Was wäre ein guter Tag zum Sterben? Geht es bei euch nächste Woche?“ Abschiednehmen, wenn das Todesdatum planbar ist.

Im Gespräch erzählen davon Gerrit Kimsma, Hausarzt aus den Niederlanden, und der Schweizer Schriftsteller Nicola Bardola, dessen Eltern den assistierten Suizid gewählt haben. Dabei sollten nicht die Regelungen zur Sterbehilfe in den Nachbarländern bewertet werden. Es ging darum, deren Erfahrungen zu hören. Eine Gratwanderung.

Erfahrungen mit assistiertem Suizid

Ein gemeinsamer Tod sei immer das Ideal des Vaters und der Mutter gewesen, erzählt Nicola Bardola. Der Schweizer Journalist hat das Buch „Schlemm“ über den gemeinsamen assistierten Suizid seiner Eltern geschrieben. Blasenkrebs im fortgeschrittenen Stadium, so lautete die Diagnose des Vaters. Für ihn war klar: Er wollte „die letzte Phase nicht im Morphiumnebel erleben“. Für die Mutter war klar: Sie wollte nicht ohne ihren Mann weiterleben. Lange vor der Erkrankung waren beide Eltern Mitglieder bei „Exit“ geworden, der „Vereinigung für humanes Sterben“ in der Schweiz.

Sterbehilfe in der Schweiz

In der Schweiz ist Tötung auf Verlangen ausnahmslos strafbar. Beihilfe zum Suizid ist nicht explizit geregelt. Sie steht unter Strafe, wenn sie „aus selbstsüchtigen Beweggründen“ geleistet wird. Daraus wird abgeleitet: Suizidhilfe aus nicht selbstsüchtigen Motiven bleibt straffrei.

Ein Ehepaar, er sterbenskrank, sie zwar mit einem chronischen Leiden, vor allem aber von dem Wunsch erfüllt, gleichzeitig mit ihrem Mann zu sterben. Das war vor mehr als 20 Jahren auch in der Schweiz „der absolute Ausnahmefall“, sagt Bardola. Heute begleite „Exit“ zwei bis drei Paare pro Jahr in den Freitod.

„Es geht nicht um rechtliche oder medizinische Fragen“, sagt der evangelische Medizinethiker Kurt Schmidt während einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie in Frankfurt. Man wolle von dem „inneren Erleben der Betroffenen“ erfahren.

Wie reagiert Familie auf Tod per Termin

Das zum Sterben entschiedene Ehepaar hatte zwei erwachsene Söhne, beide verheiratet. Die Reaktion in der Familie war gespalten. Der eine Sohn und die Frau des anderen waren entsetzt: „Das könnt ihr nicht machen!“ Doch die Eltern blieben dabei.

Am Abend vor dem vereinbarten Todestag isst die Familie noch einmal gemeinsam zu Hause. „Weil das Todesdatum seit längerem feststand, hatten wir Zeit, alles zu fragen, was wir von unseren Eltern wissen wollten“, erzählt Bardola. Man unterhält sich am Tisch. Die Eltern sind aufgeräumt, entspannt. Einmal geht ein Sohn in die Küche, um zu weinen.

Söhne sehen die Eltern erst wieder, als sie tot sind

Früher als gewöhnlich wollen die Eltern zu Bett gehen. Eine letzte Umarmung. Fester als sonst. „Du machst jetzt aber nicht mehr sauber“, sagt der eine Sohn an der Tür zu seiner Mutter. „Ich mache, was ich will“, antwortet sie. Die Söhne sehen ihre Eltern erst wieder, als sie tot nebeneinander in ihrem Ehebett liegen. Die Polizei stellt fest, dass die „Tatherrschaft“ bei den Verstorbenen lag. Die Leichenbestatter kommen mit den Särgen.

Sterbehilfe in den Niederlanden

Die Niederlande haben 2001 als erstes Land der Welt ein Gesetz erlassen, das die aktive Sterbehilfe („Tötung auf Verlangen“) erlaubt. Es sieht vor, dass ein Arzt eine tödliche Dosis eines Medikaments verabreichen darf,wenn der Patient „freiwillig, wohlüberlegt und wiederholt“ diesen Wunsch äußert. Der Arzt muss sich vergewissert haben,dass das Leiden des Patienten unerträglich und unheilbar ist. Er muss sich mit mindestens einem Kollegen beraten haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt bleibt die aktive Sterbehilfe straffrei. (epd)

In der Schweiz ist ausschließlich die Beihilfe zum Freitod erlaubt. Anders in den Niederlanden. Hier steht assistierter Suizid ebenso wie Tötung auf Verlangen unter Strafe, es sei denn, ein Arzt führt sie nach gesetzlich geregelten Kriterien durch. „Mein erster Fall war 1977“, berichtet Gerrit Kimsma, Hausarzt und Medizinethiker.

Was bedeutet assistierter Suizid für die Begleitenden?

Insgesamt habe er nicht vielen Menschen Sterbehilfe geleistet. Jeder Fall sei belastend, ein psychologischer Schock, der schlaflose Nächte bereite. „Ich kenne keinen Arzt, der als Euthanasie-Arzt bezeichnet werden kann. Niemand macht das gerne.“ In den Niederlanden verweigerten die Ärzte zwei von drei Bitten um Sterbehilfe. Sein Berufsideal sei, zu heilen, „aber auch, Menschen beim Sterben zu helfen“.

Der erste Patient, der ihn um Sterbehilfe bat, habe ihn viel gelehrt, erzählt Kimsma. Schon einige Jahre war er dessen Hausarzt gewesen. Eines Tages kam der 60-Jährige zu ihm in die Praxis. Er befürchtete, Darmkrebs zu haben. Der Verdacht bestätigte sich. Der Tumor war so aggressiv, dass nur noch Schmerzlinderung in Frage kam.

Der Mann wollte nicht vom Tod überrascht werden. Das hatte er offen mit seiner Frau und Familie besprochen. Nun sagte er zu Kimsma: „Sie sind uns immer ein guter Hausarzt gewesen. Wenn ich Sie nun um Hilfe beim Sterben bitte, muss unser Verhältnis persönlicher werden.“ Als erstes bot er dem Arzt das „Du“ an. Es müsse einen persönlichen Bezug zwischen Arzt und Patient geben, sagt Kimsma. Das sei für ihn die unerlässliche Bedingung.

Die beiden führten viele Gespräche, bevor der Arzt seinem Patienten den Becher mit tödlichen Medikamenten ans Krankenbett stellte. Henk selbst trank ihn aus und schlief sofort ein. Doch die Dosis reichte nicht. Am folgenden Tag musste der Arzt mit der Spritze nachhelfen. Dann verständigte er die Polizei. Die stellte fest, dass alles nach den Richtlinien verlaufen war.

Palliative Versorgung in den Niederlanden

Die palliative Versorgung in den Niederlanden ist laut Kimsma viel besser ausgebaut als in Deutschland. Aktive Sterbehilfe sei das letzte Mittel, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Die Initiative dazu gehe immer vom Patienten aus, nie vom Arzt. Im Fall des Falles sähen Ärzte den assistierten Suizid als „Methode der Wahl“. 90 Prozent der Patienten jedoch bäten um „Tötung auf Verlangen“. Das heißt, sie wollen lieber vom Arzt die Giftspritze bekommen, als eigenhändig die tödlichen Medikamente nehmen.

Einen Menschen, der stirbt, zu begleiten, sei immer ein intensives, intimes Erlebnis. Bei der aktiven Sterbehilfe komme hinzu, dass der Patient die Entscheidung selbst getroffen habe. Der Betroffene und seine Angehörigen könnten sich auf das Sterben vorbereiten. „Das gibt die Chance, über den Tod in aller Offenheit zu sprechen“, so Kimsma.

Druck auf hilfsbedürftige Menschen kann steigen

Sterbehilfe in Deutschland

Der Bundestag muss ein neues Sterbehilfegesetz beschließen. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 ist der assistierte Suizid eine Grauzone. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Es geht vor allem um den Schutz derjenigen, die augenscheinlich nicht freiwillig Suizid begehen wollen.

Quelle: Bundestag

Es ging ums Zuhören an diesem Abend in der Evangelischen Akademie Frankfurt im Jahr 2015. So blieben viele Fragen bewusst ausgeklammert:

  • Wie kann eine Gesellschaft die Kriterien eingrenzen, wer mit welcher Erkrankung aktive Sterbehilfe bekommt?

In den Ländern mit gesetzlich geregelter Sterbehilfe wurden die Indikationen kontinuierlich ausgeweitet. In Belgien können nicht nur unheilbar Kranke, sondern auch Menschen mit psychischen Leiden und sogar Minderjährige aktive Sterbehilfe bekommen.

  • Muss sich rechtfertigen, wer trotz schwerer Krankheit weiterleben will, auch wenn er das Gesundheitssystem viel Geld kostet?

In einer alternden Gesellschaft kann der Druck auf hilfe- und pflegebedürftige Menschen steigen, lieber Giftspritze oder Todestrunk zu wählen, anstatt Angehörigen und Allgemeinheit zur Last zu fallen.

  • Was bedeuten Würde und Selbstbestimmung beim Sterben?
  • Bleibt beides nur gewahrt, wenn man den Termin seines Todes selbst wählt?
  • Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der das Leben bewertet wird als gut oder schlecht, produktiv oder Last, lebenswürdig oder lebensunwürdig?

Eine Reaktion auf den Abend war: „Ich kann vieles verstehen – und doch auch wieder nicht.“

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