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Härtefall in Bad Endbach

Abschiebung droht: Darf mein Freund bleiben?

Louis Preisig und Riffat Adnan
Charlotte Mattes

Seit acht Jahren lebt Riffat in Mittelhessen. Der 22-jährige Somalier ist gut integriert, möchte bleiben. Ob er darf, ist unklar.

Status quo Dezember 2023

Seit Januar 2023 ist klar: Die Härtefallkommission hat positiv entschieden. Auf Nachfrage erklärt Gundula Preisig-Devic im Dezember 2023: „Da wir das Chancen-Aufenthaltsrecht für Riffat beantragt haben, darf er jetzt arbeiten." Vom Innenminister hätten sie allerdings noch kein Schreiben erhalten. 

Louis Preisig aus Frohnhausen, einem Stadtteil von Gladenbach, ist entsetzt, wenn er darüber nachdenkt, dass sein Freund Riffat Shakir Adnan eventuell abgeschoben werden könnte. „Jemand, der alles tut, um hier ein normales Leben zu führen, wird gepackt, von heute auf morgen, das macht mich sauer. Wofür macht Riffat sich die ganzen Bemühungen?“, sagt Louis kopfschüttelnd.

„Wir sind vor allem durch Fußballturniere in Kontakt gekommen“, erzählt der 20-jährige Louis strahlend und betont „Fußball verbindet uns!“ Außerdem gebe es immer etwas zu lachen und, wenn Riffat lache, stecke er alle damit an. Riffat nickt und ergänzt: „Ich bin eher aufgedreht, Louis eher ruhig.“

Nach acht Jahren in Deutschland droht die Abschiebung

Trotzdem könnten sie auch über ernste und unangenehme Themen, wie die drohende Abschiebung, sprechen. Riffat erinnert sich noch ganz genau an das erste längere Treffen: „Das erste Mal hatten wir auf dem Gladenbacher Kirschenmarkt so richtig Kontakt. Das war am 4. Juli 2014, damals bin ich 14 geworden.“ Heute ist er 22 Jahre alt, spricht einwandfrei deutsch, hat Freunde, eine feste Freundin und eine Ausbildung als Sport- und Fitnesskaufmann begonnen. Die würde er gerne weiter machen, aber aktuell dürfe er nicht arbeiten, was sehr schade sei. 

Meine Eltern wollten nicht noch ein Kind verlieren.

Hintergrund: Familie flüchtet 2014 aus Somalia

Seit Januar 2014 lebt Familie Adnan in Deutschland, in Bad Endbach, im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Riffat ist mit seiner Mutter, und seinen beiden kleinen Geschwistern geflüchtet. Der Grund: „Meine Eltern wollten weg aus Somalia, weil durch den Krieg ein Bruder von mir gestorben ist. Sie wollten nicht noch ein Kind verlieren.“ Sie seien illegal mit gefälschten tansanischen Pässen eingereist. Der Vater aber in Somalia geblieben. Mittlerweile lebe er in einem anderen Land und sie hätten telefonisch Kontakt.

Jüngerer Bruder wurde vor einem Jahr nach Sansibar abgeschoben

Doch in der Nacht vom 31. August 2021 wird Daud, Riffats kleiner Bruder auf die Insel Sansibar abgeschoben. Denn seit dem 3. August 2020 ist er volljährig und hat somit kein Aufenthaltsrecht mehr. Wegen der gefälschten Pässe wurde Daud auf die Insel Sansibar vor der afrikanischen Ostküste abgeschoben. Dort sei er vorerst für über zwanzig Tage in ein Abschiebegefängnis gekommen, erklärt Riffat.

Portrait von Riffat Shakir Adnan und seinem Smartphone
Charlotte Mattes
Riffat hat täglich Kontakt mit seinem kleinen Bruder Daud. Er vermisst ihn sehr.

Die Polizei hat nachts um halb vier geklingelt, sie wollten uns holen. Ich war zum Glück noch wach. Mein Bruder hat leider zu lange gebraucht, um wach zu werden“, erklärt Riffat gedankenversunken. Riffat sei dann aus dem Fenster im ersten Stock gesprungen und weggerannt. „Ohne T-Shirt und ohne Schuhe, aber mit Geldbeutel und Handy. Dann habe ich Gundula angerufen“, erklärt er.

Flucht vor der Polizei ins Kirchenasyl

Gundula Preisig-Devic ist die Mutter von Riffats bestem Freund Louis. „Es war wie im Film, er ist auf die Rückbank gesprungen und wir sind so schnell es ging, weit weg von Bad Endbach gefahren.“

Auf dem Weg habe Riffat einen Asthma-Anfall im Auto erlitten, erzählt Gundula. Die 41-jährige Mutter von zwei Söhnen habe erstmal Medikamente besorgt und zahlreiche Telefonate geführt. Auch mit ihrer eigenen Mutter. „Sie hatte die Idee mit dem Kirchenasyl“, sagt Gundula.

Daraufhin habe sie noch in der Nacht den zuständigen Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Gladenbach angerufen. Denn Riffat befand sich durch seine Flucht in der Illegalität und sie suchten nach Lösungen für ihn.

Riffat Adnan mit Gundula Preisig-Devic
Charlotte Mattes
Gundula mit „Zieh-Sohn" Riffat im Garten. Manchmal sittet er auch ihre zwei Hunde.

Gundula Preisig-Devic erklärt ihr Engagement für Riffat so: „Riffat ist mein Zieh-Sohn, er gehört zur Familie.“ Auch ihr jüngerer Sohn Noah bezeichne ihn als Bruder. „Ich kann und will nicht darüber nachdenken was wäre, wenn er abgeschoben wird“, sagt Gundula zögernd und mit feuchten Augen.

„Riffat gehört zur Familie.“

„Wenn, dann würden wir alles dran setzten, dass er wieder zurückkommt!“ Sollte er aber bleiben dürfen, gäbe es ein riesiges Fest, freut sich die herzliche Frau mit den mittellangen blonden Haaren.

Was ist der Sinn von Kirchenasyl?

Das Kirchenasyl gewährt Menschen, die vor einer Abschiebung stehen, für einen gewissen Zeitraum Schutz. Diese Zeit soll dafür genutzt werden, Asylverfahren erneut überprüfen (lassen) zu können. Ein Kirchenasyl ist zeitlich begrenzt. Während der Zeit des Kirchenasyls gilt der Schutz ausschließlich auf dem Gelände der Kirche. Der Staat könnte trotzdem eingreifen, tut dies aber in der Regel nicht.

Kirchenasyl hilft als Überbrückung

Nach der Flucht lebte Riffat eine Woche lang bei seinem besten Freund Louis, bis er für sechs Wochen ins Kirchenasyl kam. „Riffat sollte wieder in die Legalität reingeholt werden, weil dann ein Abschiebestopp durch das Kirchenasyl gilt“, erklärt Pfarrer Matthias Ullrich.

Er habe den Fall mit seinem Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchengemeinde Gladenbach besprochen und es wurde sich einstimmig dafür ausgesprochen. Der Hauptfaktor sei, dass die Familie auseinander gerissen würde und in ein Land abgeschoben, das sie gar nicht kannten. Außerdem stellt Pfarrer Matthias Ullrich klar: „Es kommt nicht selten vor, dass Somalier mit gefälschten tansanischen Pässen einreisen, denn Somalia ist nicht immer in der Lage Pässe auszustellen.“

Während der Zeit im Kirchenasyl verfasste Gundula Preisig-Devic eine Petition, für das Bleiberecht von Riffat. Diese wurde abgelehnt, aber der Schritt war notwendig, um dann den Härtefall an die Härtefallkommission des hessischen Innenministeriums stellen zu können.

Auf Nachfrage von indeon, wann die Entscheidung zu erwarten ist, schrieb die Pressestelle des Innenministeriums, das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen und „solange dies noch nicht geschehen ist, werden keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet“.

Louis Preisig, Gundula Preisig-Devic und Riffat Adnan
Charlotte Mattes
„Riffats Lachen ist ansteckend!", sagt Louis. Riffat ist bei Gundula und Louis immer willkommen.

Wer ist die Härtefallkommission?

Die Härtefallkommission besteht aus 23 Vertreter*innen u.a. aus Kirchen, Sozial- und Flüchtlingsverbänden und dem hessischen Innenministerium.
Sie prüft Fälle und kann dem Innenministerium empfehlen Menschen aus „dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“ ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu geben. Die endgültige Entscheidung trifft jedoch der hessische Innenminister.
Die Härtefallkommission gibt es seit 2005.

Unsicherheit gehört mittlerweile zu Freundschaft dazu

Mittlerweile gehört die Unsicherheit einfach dazu, genauso, wie Riffat zu uns gehört“, sagt Louis, seine tiefblauen Augen sind ernst. „Mir geht es nicht gut, weil ich nicht weiß, wie der Stand ist“, ergänzt Riffat.

Seit März 2022 warten alle auf eine Entscheidung vom Innenministerium. Von seinem Bruder konnte er sich nicht verabschieden und „Mama macht sich immer Sorgen um Daud“. Aber sie haben täglich Kontakt und es gehe ihm den Umständen entsprechend gut, ergänzt er.

Hier habe ich Freunde gefunden

Alle hoffen auf den deutschen Staat

Sein Bruder lebe mittlerweile auf dem tansanischen Festland in einer Familie. „Müsste ich auch zu meinem Bruder, wäre das sehr schwer. Hier habe ich Freunde gefunden und meine Schwester und Mama würden hier bleiben.“ Außerdem kenne er Tansania nur vom Schulunterricht und sei selbst noch nie dort gewesen.

„Ich hoffe, dass das Verfahren positiv beschieden wird, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass der deutsche Staat so eine menschliche Härte verantworten will“, sagt Pfarrer Ullrich zuversichtlich. Alle hier hoffen, dass der Pfarrer Recht behält.

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