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Wenn die Lüge zum beruflichen Alltag gehört

Angelogen? Wahrheit ist unser oberstes Ziel

Im Job angelogen werden - Oberstaatsanwalt im Interview
Ergänzender redaktioneller Inhalt

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Alle Menschen lügen und alle Menschen werden immer mal wieder angelogen. Richterinnen, Staatsanwälte, Polizistinnen oder Ärzte haben größere Chancen als andere, dass ihr Gegenüber die Wahrheit verschweigt. Was macht das mit ihnen?

„Nein, ich habe keinen Alkohol getrunken.“ „Mit Frau Meier hatte ich immer ein sehr gutes Verhältnis.“ „Ich war vergangenen Dienstag gar nicht in München.“ Drei klare Aussagen, drei Lügen. So oder ähnlich lügen Frauen, Männer und Kinder, und zwar täglich. Obwohl wir alle lügen und angelogen werden, trifft es manche Berufsgruppen besonders hart. Bei ihnen gehört die Lüge zum Alltag.

Oberstaatsanwalt hat mir Mord und Totschlag zu tun

Ein Mann in dunklem Anzug steht vor dem Bild eines Stegs.
Jörn von Lutzau
Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger versucht, die Wahrheit herauszufinden.

„Es gehört bei uns schlichtweg dazu, dass wir angelogen werden“, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger von der Staatsanwaltschaft Gießen. Er arbeitet im Bereich Tötungsdelikte und hat mit Mord und Totschlag zu tun. Es geht um Verurteilungen zu zum Teil hohen Gefängnisstrafen und um Aufklärung auch für die Angehörigen der Opfer. Die Lüge von Angeklagten und Zeugen zu erkennen, sei eine der ganz großen Herausforderungen für ihn und seine Kollegen und Kolleginnen, betont Hauburger.

Justiz: Die Wahrheit zu finden, ist oberstes Ziel

Juristen hätten in Strafprozessen einige Kriterien herausgearbeitet, mit deren Hilfe sie versuchen, die Glaubwürdigkeit einer Aussage zu beurteilen. Die sogenannte Aussage-Inhaltsanalyse schaut auf die Entstehungsgeschichte und die Motive für eine Aussage.

Erzählt eine Verdächtige konstant und plausibel, nennt sie Details oder verwickelt sich in Widersprüche. Wahrheitsfindung ist das oberste Ziel von Staatsanwälten, aber „nicht immer erreichen wir dieses Ziel“, bedauert Hauburger.

Porträt einer Frau.
Oberlandesgericht
Richterin Gundula Fehns-Böer erinnert daran, dass Zeugen verpflichtet sind, die Wahrheit zu sagen.

Vor Gericht: Meineid ist ein Verbrechen

Auch Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht in Frankfurt, betont den Prozess der Wahrheitsfindung, da Zeugen dazu tendieren könnten, „bewusst die Unwahrheit zu sagen“. Mal ginge es um eigene Interessen, mal um die von Freunden, Kollegen oder Verwandten. Mitunter versuchten auch Dritte, einen Zeugen oder eine Zeugin zu beeinflussen.

Allerdings, betont sie, sind „Zeugen kraft Gesetzt verpflichtet, die Wahrheit zu sagen“. Die Richterin verweist auf die eidliche Falschaussage, „ein Verbrechen mit einem Jahr Mindeststrafe“. Richter und Richterinnen versuchten deshalb, die Aussagenden zu „wahrheitsgemäßem Verhalten zu bewegen“.

Mit Indizien der Wahrheit auf der Spur

Es gebe bestimmte Indizien, die für oder gegen die Wahrheit einer Aussage sprechen, sagt Gundula Fehns-Böer: „Berichtet der Zeuge etwa auch von Emotionen, spricht dies eher für etwas selbst Erlebtes, da Emotionen im Rahmen einer „erdachten“ Geschichte nicht erlebt und üblicherweise nicht berichtet werden. Auch eine nicht-chronologische Erzählweise kann für den Wahrheitsgehalt sprechen, da das „Erdenken“ einer nicht chronologischen Aussage sehr anspruchsvoll ist.“

Misstrauen auch im Privatleben

Anfangs habe die Lügerei ihn persönlich angefasst, sagt Oberstaatsanwalt Hauburger. Das ging so weit, dass er auch im Privatleben ein „gewisses Misstrauen entwickelt“ habe. Das konnte er mit den Jahren wieder ablegen und einen professionellen Zugang zur Lüge entwickeln. Egal ist sie ihm dennoch nicht immer.

Täter im Mordfall Johanna lügt vor Gericht

2018 kam es zur Verhandlung im „Mordfall Johanna“. Das achtjährige Mädchen aus der Wetterau war 1999 nicht vom Spielen nach Hause gekommen. Ein halbes Jahr später fand man ihre Leiche. Einen Verdächtigen nahm die Polizei 2017 fest.

Bei der Vernehmung habe er ausgesagt, dass er das Mädchen in seine Gewalt gebracht habe und missbrauchen wollte, erinnert sich Hauburger an einen Fall, der ihn emotional sehr berührt hat. Bei der Verhandlung revidierte der Angeklagte seine Aussage und erklärte, er hätte Johanna freilassen wollen. Für die Mutter, die Nebenklägerin, war das eine emotional schlimme Wendung.

Die Verhandlung wurde unterbrochen und Oberstaatsanwalt Hauburger wandte sich direkt an den Angeklagten und fragte ihn, ob ihm klar sei, was er hier tue. Als die Verhandlung weiterging, habe der Täter sich entschuldigt und versprochen, die Wahrheit zu sagen. Das Landgericht Gießen verurteilte ihn schließlich zu lebenslanger Haft.

Ein Polizist kontrolliert einen Autofahrer.
Getty Images/Matto Matteo
Polizisten müssen damit rechnen, angelogen zu werden.

Polizisten werden angelogen

Auch Michael (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt) Ermittlungsbeamter bei der Polizei, geht davon aus, im Beruf angelogen zu werden. „Ja, natürlich“, sagt er. Dazu hätten er und seine Kollegen eine professionelle Distanz. Dennoch könne man die Emotion nicht immer ausschalten.

Im Laufe seiner Berufsjahre habe er beispielsweise beobachtet, dass sich verschiedene Nationalitäten anders verhielten und dass Menschen mit asiatischen Wurzeln beispielsweise in der Regel lieber reden statt zu schweigen. Mit dieser Beobachtung im Hinterkopf habe er eine Asiatin befragt und ihr erklärt, sie könne auch schweigen. Das sei besser als zu lügen. Sie entschied sich zum Reden und habe ihm eine so offensichtliche und faustdicke Lüge aufgetischt, dass es ihn tatsächlich noch negativ berührt habe, erzählt der 46-Jährige.

Porträt eines mittelalten Mannes.
privat
Der Hausarzt Michael Thomas Knoll setzt auf das Vertrauensverhältnis zu seinen Patienten.

Hausarzt hat Vertrauen zu Patienten

Michael Thomas Knoll ist auch Profi, aber ihn stört es „massiv“, wenn eine Patientin oder ein Patient ihn anlügt. Knoll ist seit 30 Jahren Facharzt für Allgemeinmedizin mit eigener Praxis in Lich. „Meine Grundeinstellung ist, dem Patienten zunächst alles zu glauben, was er berichtet“, sagt er. Das Vertrauen zum Hausarzt sei „das höchste Gut einer vernünftigen Arzt-Patienten-Beziehung“. Man dürfe dem Arzt alles erzählen, weshalb es keinen Grund zum Lügen gebe.

Diagnostik verrät die Lüge

Das größte Potenzial, dennoch angelogen zu werden, sieht er bei den Themen Rauchen, Alkohol, Schmerzmedikamente und Drogen. Erfahrungsgemäß seien die Patienten aber umso ehrlicher, je länger er sie kenne. Schließlich könne er die Lüge häufig sowieso anhand der Diagnostik nachweisen.

Lügt ihn jemand trotzdem an, könne er auch die Arzt-Patienten-Beziehung lösen. „Dann bin ich nicht der richtige Hausarzt“, sagt Knoll.

Wie lauten deine Lügen-Geschichten?

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