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Herausforderung

Leben mit Borderline: Erfahrungen mit der Krankheit

Laura, von hinten, rauchend im Freien.
Charlotte Mattes
Obwohl sie nicht über ihre Krankheit sprechen wollte, hat Laura Hilfe gefunden.

Laura* ist an Borderline erkrankt. Was das genau heißt und wie die evangelische Kirche ihr seit 17 Jahren hilft, liest du hier.

Laura sitzt in Sessel, in Tagestätte, Blick auf TV gerichtet.
Charlotte Mattes
Laura möchte betonen: „Ich bin ziemlich korpulent, das kommt durch Psychopharmaka und ich kann schwer wieder abnehmen.“

Ich bin Borderlinerin, war beim Hausarzt, weil ich mich überall geritzt habe und der hat gemeint, ich soll mal beim Psychologen anklopfen“, erzählt Laura*, 62 Jahre alt. Sie kommt seit 17 Jahren in die Tagesstätte vom Evangelischen Verein für Innere Mission in Nassau (kurz EVIM).

Sie warte täglich ab 8.45 Uhr vor der Tür in Hofheim und schaue auf die Uhr, ob die Betreuer:innen auch pünktlich kämen, schmunzelt sie. Dann bleibe die Mutter von zwei Kindern bis 16 Uhr, um dann wieder mit dem Bus zu ihrer Wohnung zu fahren.

Hilfe für Menschen mit psychischen Krankheiten

Laura lacht viel, hat einen intensiven Blick, wenn sie über ihre Borderline-Störung spricht.

Es sei eine Krankheit rund um die Gefühle, sie lasse nicht gerne los, wenn sie jemanden ins Herz geschlossen habe, beziehe alles auf sich und fühle sich immer als Schuldige, wenn etwas passiere.

Tagesablauf in der Tagesstätte für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung

  • 9 Uhr: Gemeinsames Frühstück
  • 10 Uhr: Morgenbesprechung - was muss von wem erledigt werden?
  • Anliegen besprechen
  • Gemeinsames Kochen des Mittagessens
  • die eingeteilten Aufgaben erledigen oder eines der kreativen Angebote wahrnehmen
  • 16 Uhr: Ende

Laura schätze die Betreuung und die vielen Angebote, die ihr eine Tagestruktur geben würden. Gerade habe sie viel Spaß an Diamond Painting, das setzen von Acryl-Steinchen auf einer Leinwand, mache höllisch Spaß und süchtig, lacht die Frau mit den dunklen Haaren.

Borderline-Störung: Wie ein Leben auf der Achterbahn

Chefarzt Markus Steffens von der Klinik Hohe Mark in Oberursel beschreibt die Erkrankung folgendermaßen: „Sie ist vergleichbar mit einem Leben auf der Achterbahn, die Wechsel von freudig angespannt und negativ angespannt sind sehr schnell.“ Um diese Spannung runter zufahren, würden Borderlinerin:innen sich häufiger selbst verletzten. Zudem falle es ihnen schwer Graustufen zu erleben, auch in Interaktionen. Es gebe dann nur zwei Fraktionen von Menschen für sie: Die einen wollten ihnen Gutes tun, die anderen nicht. Das könne in Partnerschaften bedeuten, mit dem:r Partner:in ganz eng sein zu wollen. Es könne aber auch passieren, dass dieser Mensch zum Feind würde, den sie bekämpfen müssten.

Die ehemalige Arzthelferin ist in Frührente gegangen, weil sie nicht mehr arbeiten konnte. Hier habe sie Betreuer:innen, die ihr bei sämtlichen Angelegenheiten helfen.

Tägliche Struktur bei Borderline

Neben der Strukturdurch die Tagestätte, schätze sie auch die Freund:innen, die Gemeinschaft. Die Freundschaften hier seien nicht anders als „draußen“, betont sie. Die Krankheiten stünden nie im Vordergrund. Hier zu sein gebe ihr Kraft, denn das Wochenende sei zu lang und wenn der Montag dann noch ein Feiertag sei, umso länger.

Laura stehe nur aus dem Bett auf, wenn eins ihrer zwei Kinder oder Besuch käme. Es sei wichtig für sie in der Tagestätte zu sein, damit sie sich besser zurecht finden könne.

Das Wochenende ist viel zu lang, da decke ich mich bis oben hin zu und gucke Fernsehen.

Psychische Krankheiten ansprechen

Carsten Ackva ist Sozialarbeiter und Teamleiter in der Gemeindepsychiatrie in Hofheim. Der aufgeschlossene Mann erklärt, dass es wichtig sei, wie Menschen mit psychischer Erkrankung angesprochen würden, wegen der Selbstbestimmung. Sein Vorschlag: „Hey, ich habe den Eindruck, es geht dir nicht gut, möchtest du darüber sprechen?“

Laura wollte nie reden und wurde eher bockig, wenn sie jemand auf ihre Erkrankung abgesprochen habe. Es habe ihr niemand helfen können, sagt die Frau mit den dicken Brillengläsern. Durch die Betreuung laufe es aber besser.

Carsten Ackva ist Sozialarbeiter und Teamleiter in der Gemeindepsychiatrie in Hofheim, steht draußen, im Grünen.
Charlotte Mattes
„Erfolge bei Klient:innen machen mich sehr zufrieden und glücklich.“

EVIMs Angebote in Hofheim für Menschen mit psychischer Erkrankung

Logo EVIM, zwei haltende offene Hände
Charlotte Mattes
  • Ambulante Betreuung: Klient:innen werden unterstützt, leben aber in eigener Wohnung.
  • Wohnhaus: 28 Plätze stehen hier zur Verfügung. Es wird viel gemeinschaftlich gemacht, zum Beispiel die Mahlzeiten gekocht und gegessen. Es gibt aber auch individuelle Angebote.
  • Außenwohngruppen: 2er bis 4er WGs (auch hier gibt es Betreuung)

Carsten Ackva erklärt, dass die Begleitung im Alltag passiere. Zum Beispiel durch gemeinsame Spaziergänge, Einkäufe oder die Begleitung zum Verein. Außerdem würden die fallverantwortlichen Bezugspersonen auch bei Briefwechseln helfen.

Bei den sogenannten Entlastungsgesprächen tue es den Klient:innen gut ihr Herz auszuschütten und die Themen seien ganz individuell. Genau wie die Diagnosen, es gäbe an die einhundert Diagnosen bei psychischen Erkrankungen.

Gelungene Beispiele für die Arbeit von EVIM

Carsten Ackva, stehend, im Grünen.
Charlotte Mattes

Carsten Ackva hat zwei Klient:innen im Kopf, bei denen die Begleitung „sehr stark“ geholfen habe:

Klientin mit Depressionen kann wieder arbeiten

Die Klientin habe zehn Jahre lang eine depressive Krise gehabt, außerdem Psychosen mit Wahnvorstellungen. Sie sei sehr bedrückt gewesen, konnte nicht arbeiten gehen, wegen ihres mentalen Zustandes.

Das Ziel war es, dass sie wieder Teil vom ersten Arbeitsmarkt sein kann. Das sei durch die Betreuung und das regelmäßige Üben rauszugehen nach dreieinhalb Jahren gemeinsamer Arbeit in greifbarer Nähe.

Klient mit Psychosen kann wieder die Wohnung verlassen

Der Klient wird seit knapp fünf Jahren von Sozialarbeiter Ackva betreut. Ziel war die Stabilisation des Ist-Zustandes. Der Mann habe die Wohnung nicht verlassen können, litt stark an einer Sozialphobie, durch die Psychose. Alles kam nach Hause, Ärzte, Einkäufe et cetera.

Mittlerweile seien Spaziergänge möglich, sowie Einkäufe oder ein Ausflug in die Stadt.

Bitte habt mehr Verständnis für Menschen mit psychischer Erkrankung.

Borderline in Deutschland

Laut dem Info-Portal Neurologen und Psychiater im Netz sind 3 Prozent der deutschen Bevölkerung an der Störung erkrankt.

Für den Sozialarbeiter ist es ganz wichtig, dass Menschen Verständnis haben, wenn es anderen psychisch schlecht geht. „Den Bein- oder Armbruch kann man im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, die Psyche, unser Inneres, ist schwer zu begreifen.“

Laura sagt, es gehe ihr aktuell gut, durch die Tagestätte und durch die Freundschaften. Ihr Leben reiche ihr so wie es ist und wenn EVIM nichts dagegen habe, würde sie noch ganz lange in die Tagesstätte kommen.

*Der Name wurde auf Wunsch der Interview-Partnerin in Laura geändert.

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