Über den „Mord an der jungen Generation“ möchten die jungen Menschen reden. „Nicht der Hungerstreik tötet eure Kinder, sondern der Status quo“, sagen sie. Konstruktiv reden, zielorientiert. So, dass dadurch der Weg geebnet wird, in der neuen Regierungsperiode gemeinsam gegen die Erderwärmung zu kämpfen – ernst gemeint. „Wir sind die letzte Generation, die die Katastrophe des unumkehrbaren Klimazusammenbruchs aufhalten kann.“
Zu Opfern seien sie bereit: „Wir setzen unser Leben aufs Spiel dafür.“ Doch warum greifen sie gleich zu solch radikalen Methoden? In Petitionen und Briefen vorher fühlten sie sich nicht gehört: „Auch nicht, als wir zu Zehntausenden die Klassenzimmer verließen. Wir sind verzweifelt, und wir werden hungern, bis ihr handelt.“
Eigentlich nie politisch gewesen
Nicht essen bis zur Bundestagswahl, bis zum 26. September. „Ab morgen lassen wir auch die Säfte weg“, sagt Grabow. „Das fühlt sich an, wie noch mal mit dem Hungern anzufangen.“ Politisch sei er eigentlich nie gewesen, sagt er. Noch im März stand der Greifswalder nach Abi und Deutschland-Wanderung als Lehrling am Backofen einer wendländischen Bio-Vollkorn-Bäckerei. Nun hat er die Säulen der Sicherheit gekappt, wie er sagt. Weder Wohnung noch Geld hat er mehr, und anders als andere Mitstreitende hier auch keine Rückendeckung von zu Hause. Wohl aber von Freunden. Das hier ist nun das Wichtigste. „Es ist schlimm, dass wir uns Leid antun müssen, es ist destruktiv und radikal“, sagt er. „Aber alles andere halte ich nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr in der Backstube stehen und mein Brot backen. Es macht mich wütend, dass die meisten einfach so tun, als würde sich das alles schon richten.“
Die Hungerstreikenden haben große Vorbilder
Schmerz und Leid. Auch damit hineinzugehen in den Protest. Sie tun es mit allem, was sie haben, Körper, Herz, Verstand. In der Tradition des passiven Widerstands. Namen wie Jesus, Ghandi, Martin Luther King spielen für Grabow eine Rolle. Das Vorbild Dietrich Bonhoeffers.
Auch ich versuche, voranzugehen und ein Vorbild zu sein.
Ihn prägten diese Traditionen, alles Reflektierende seines Heranwachsens. Die Morgenkreise in der Evangelischen Martinschule. Die Bergpredigt. Inspirierende Predigten in den Gottesdiensten. Orgel und Gesang, praktisch schon im Bauch seiner chorsingenden Mutter, nun tröstend in seinem Kopf. „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir“, Grabow singt es beim Interview in den Telefonhörer und fügt hinzu: „Dieses Lied wird auch im Krankenhaus eine große Rolle spielen.“ Denn damit rechnet er. In ein paar Tagen so schwach zu sein, dass die Kraft zum Aufstehen nicht mehr reichen wird.
Studium für den Hungerstreik abgebrochen
Sein Mitstreitender Henning Jeschke hat sein Studium abgebrochen, um hier zu sein. Und Lina Eichler müsste eigentlich in der Schule sitzen, um ihr Abi zu machen. Am zwölften Tag ohne Nahrung hatte sie ihren 19. Geburtstag. Ohne Torte und Party. „Geprägt von Hunger und Hilflosigkeit.“ „Kommt heraus aus eurer Komfortzone“, rufen die jungen Menschen ihren Eltern zu. Ihren Lehrern. Ausbildern. Allen. Allen. „Seid Sand, und nicht Öl im Getriebe.“