Anzeige
Anzeige
Zivilcourage

Wie sich Lohmeyers in Jamel gegen Rechtsextreme stellen

Jamel rockt den Förster: Horst und Birgit Lohmeyer stehen vor einem Plakat
Jaro Suffner
Horst und Birgit Lohmeyer beim zehnjährigen Jubiläum Jamel rockt den Förster

Inmitten der angespannten Atmosphäre von Jamel stehen Birgit und ihr Mann als Beispiele für Zivilcourage und Widerstand. Im Interview macht sie Mut.

von Rosalie Schmidt

Seit 20 Jahren lebt Birgit Lohmeyer mit ihrem Mann in Jamel, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, nicht weit von der Ostseeküste. Ein Traum vom Ruhestand auf dem Land. Hätten sich nicht im Laufe der Jahre immer mehr rechtsextreme Familien in dem Ort angesiedelt.

Festival gegen Rechts: Jamel rockt den Förster

Die Lohmeyers halten dagegen – und organisieren Kulturveranstaltungen auf ihrem Grundstück, um ein Zeichen zu setzen und sich gegen Übergriffe und Einschüchterungen zu wehren. So zum Beispiel das Festival „Jamel rockt den Förster“, das seit 2007 jährlich auf ihrem Forsthof stattfindet. Für ihr Engagement wurden die Lohmeyers bereits mehrfach ausgezeichnet.

Portrait von Birgit Lohmeyer
privat/NDR

Frau Lohmeyer, was ist passiert, seitdem Sie und Ihr Mann 2004 nach Jamel gezogen sind?

Birgit Lohmeyer: Schon zu dem Zeitpunkt lebte dort einer der rechtsextremen Akteure. Dieser hatte angefangen, seine Gesinnungsgenossen und deren Familien ganz gezielt anzusiedeln. Leerstehende Häuser wurden nach dem Verkauf von rechtsextremen Familien übernommen, sodass wir hier zurzeit eine Bewohnerschaft von mindestens 95 Prozent bekennenden Rechtsextremen haben.

Wie blicken Sie auf die zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus?

Birgit Lohmeyer: Ich freue mich massiv darüber, dass anscheinend die bisher schlafende Mitte der Gesellschaft aufgewacht ist. Ich denke, zu viele Menschen haben das Thema Bedrohung von Rechts bisher entweder gar nicht gesehen oder sie haben sich gesagt‚ „da sollen sich mal andere drum kümmern“. Die Politiker zum Beispiel.

Aber es ist mitnichten so. Wir alle, wir Bundesdeutschen, Einwohner, Bürger und Bürgerinnen müssen jeden Tag aufs Neue unser Gesellschaftssystem gegen diese Menschenfeinde verteidigen.

Und: wir merken jetzt schon, wie nervös die rechte Szene wird.

Rechte Szene reagiert auf Bürgerproteste und Razzien

Auch in ihrem Ort Jamel?

Birgit Lohmeyer: Die Dorfbewohner hier gehen zurzeit sehr unauffällig durchs Leben. Das ist aber vor allem dem geschuldet, dass es Ende vergangenen Jahres in ganz Deutschland große Hammerskins-Razzien gab. Eine dieser Razzien hat hier in Jamel stattgefunden.

Bei dem hiesigen Nazi-Anführer wurde eine Hausdurchsuchung gemacht und sehr viel Material mitgenommen. Dieser Mensch ist seit der letzten Kommunalwahl leider mit einem Sitz in unserer Gemeindevertretung vertreten. Im Moment gibt er den Anschein des braven Bürgers. Aber die Hammerskins sind ein sehr machtvolles, internationales Organ der rechtsextremen Szene. Deshalb weiß man auch, was man davon zu halten hat, dass der Mann jetzt den Wolf im Schafspelz mimt.

Jamel rockt den Förster 2024: Festival in Gefahr

Trotzdem wird zurzeit gegen uns agitiert. Wir haben massive Schwierigkeiten mit der Gemeindevertretung. Wir brauchen dringend Wiesen rund um unser Festivalgelände und die will man uns im Moment nicht geben.

Es sind aber nicht nur die Nazis hier bei uns im Dorf, die was gegen unser Festival haben. Es gibt auch andere, die meinen, dass wir hier nur mit Dreck auf die arme Gemeinde schmeißen.

Wir kriegen viel Gegenwind.

Wenn man Aktionen gegen die rechtsextreme Szene plant, dann ist es wichtig, sich gut mit anderen Menschen zu vernetzen. Das ist uns hier aufgrund der politischen Verhältnisse leider nicht gelungen.

Haben Sie darüber nachgedacht, aus Jamel wieder wegzuziehen?

Birgit Lohmeyer: Also denken kann man Vieles. Aber da sprechen ja ganz viele Dinge gegen. Einerseits ist hier unsere Immobilie, die unverkäuflich ist. Außer an Nazis. Aber mit denen machen wir keine Geschäfte.

Und andererseits haben wir natürlich die gesellschaftliche Verantwortung, die wir uns mit unseren Aktionen auf die Schultern geladen haben. Wir sind ja quasi Vorbilder für zivilgesellschaftliches Engagement. Insofern wäre das schon ein eigenartiges Zeichen, wenn wir uns dann plötzlich ins Private zurückziehen und gar nichts mehr von uns hören lassen.

Glauben Sie, dass sich durch die Bürgerproteste etwas ändern kann?

Birgit Lohmeyer: Natürlich. Die Schwierigkeit jetzt gerade ist, nicht nachzulassen. Im Moment haben alle den Drive, zusammen auf die Straße zu gehen, aber irgendwann liegen doch alle wieder an ihren Swimming-Pools, puzzeln im Garten rum und gehen eben nicht mehr zur Demo. Das heißt, jedem muss klar werden, was sie als nächstes tun können: Geht wählen! Das ist die beste Methode!

Rechtsextremen etwas entgegen setzen

Natürlich kann man auch im eigenen Umfeld tätig werden, das Leben für die Mitmenschen lebenswert machen. Und zwar nicht so wie die Nazis meinen das machen zu müssen, sondern mit einem demokratischen, menschenfreundlichen Hintergrund.

Viele Menschen sagen uns immer: „Es ist toll was sie machen, aber ich könnte das nicht.“ Das braucht ja auch keiner. Nicht jeder muss ein großes, bundesweit bekanntes Rockfestival für Demokratie und Toleranz organisieren. Jeder hat aber die Möglichkeiten in seinem eigenen Umfeld zu wirken.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, sowohl für Jamel als auch für ganz Deutschland?

Birgit Lohmeyer: Sich was für Jamel zu wünschen wäre viel zu utopisch, weil hier die Eigentumsverhältnisse durch die Immobilien festgezurrt sind. Selbst wenn eine rechte Familie wegzieht, dann zieht die nächste nach. Da wird sich nichts dran ändern in diesem Dorf.

Toleranz in Darmstadt

Zwischen Aschermittwoch und Ostern predigen in Darmstadt Prominente zum Thema Toleranz. Auch Birgit Lohmever hat unter dem Motto „Zivilcourage gegen Rechts“ darüber gesprochen.

Predigtreihe Passion 2024 bei der Darmstädter Stadtkirche

Was auch gar nicht schlecht ist, weil es uns als Modell dafür dient, was passiert, wenn Rechtsextreme die Oberhoheit übernommen haben.

Für Deutschland wünsche ich mir, dass wir alle, Menschen aus Ost und aus West, uns klar machen, wie wertvoll es ist, in einer offenen Gesellschaft zu leben, in einer demokratischen Gesellschaft mit vielen Freiheiten für die Bewohner. Dass wir uns das jeden Tag klarmachen, was es bedeuten würde, wenn zum Beispiel die Partei mit dem großen A vorneweg an die Macht käme. Denn das kann keiner wollen.