Podcast „echt gefragt – der Deeptalk“

Wie sich die Lohmeyers in Jamel gegen Rechtsextreme stellen

Jamel rockt den Förster: Horst und Birgit Lohmeyer stehen vor einem Plakat
Jaro Suffner
Horst und Birgit Lohmeyer beim zehnjährigen Jubiläum Jamel rockt den Förster

Birgit Lohmeyer und ihr Mann trotzen Rechtsextremen in Jamel. Im Podcast erzählt sie vom Alltag unter Rechtsextremen.

von Charlotte Mattes und Rosalie Schmidt

Seit 20 Jahren lebt Birgit Lohmeyer mit ihrem Mann in Jamel, einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, nicht weit von der Ostseeküste. Ein Traum vom Ruhestand auf dem Land. Hätten sich nicht im Laufe der Jahre immer mehr rechtsextreme Familien in dem Ort angesiedelt.

Wir stehen in Jamel stark unter Beobachtung

Nicht mehr unbeschwert das Haus verlassen

Birgit Lohmeyer zufolge seien heute mindestens 95 Prozent der Einwohner von Jamel bekennende Rechtsextreme. Weil die Lohmeyers dem trotzen und aktiv protestieren, müssen sie im Alltag wachsam sein.

„Wenn wir unser Haus verlassen, müssen wir immer schauen, wem wir begegnen. Schaut jemand grimmig oder hat einschlägige Tattoos oder T-Shirt-Aufschriften, die uns wissen lassen: Oh ein Nazi!", erzählt sie im indeon-Podcast „Echt gefragt - der Deeptalk“. Die ganze Folge kannst du hier hören. 

Um ein Zeichen zu setzen und sich gegen Übergriffe und Einschüchterungen zu wehren, organisieren Birgit und ihr Mann Kulturveranstaltungen auf ihrem Grundstück. So zum Beispiel das Festival „Jamel rockt den Förster“, das seit 2007 jährlich auf ihrem Forsthof stattfindet.

Birgit Lohmeyer über ihre Motivation

Im August 2024 waren zum Beispiel die Fantastischen Vier beim Festival für Demokratie und Toleranz zu Gast. Für ihr Engagement wurden die Lohmeyers bereits mehrfach ausgezeichnet.

Lohmeyers trotzen Brandanschlag

Horst und Birgit Lohmeyer bekommen immer wieder zu spüren: Wir sind in Jamel nicht erwünscht. Wegziehen sei für beide nach 20 Jahren im Ort aber keine Option. Selbst nach einem Brandanschlag 2015, bei dem die Scheune der Lohmeyers abbrannte, änderte sich ihre Einstellung nicht. „Das hat bei uns eine Trotz-Reaktion hervorgerufen. Jetzt erst recht! Es kommt uns gar nicht in den Sinn, hier wegzuziehen, jetzt wo die Blicke der ganzen Republik auf uns gerichtet sind“, erklärt sie.

Engagement gegen Rechtsextremismus ist Birgit Lohmeyer wichtig. Ob mit ihrem Festival, das für Demokratie und Toleranz steht, oder wenn sie auf eine Demo geht, ist für sie klar: Jede*r kann etwas für die Gesellschaft tun.  

Birgit Lohmeyer wünscht sich gesellschaftliches Engagement

20 Jahre Lohmeyer in Jamel

Portrait von Birgit Lohmeyer
privat/NDR

Im  Februar 2024 hat indeon schon einmal ein Interview mit Birgit Lohmeyer geführt. Du findest es hier in voller Länge.

Frau Lohmeyer, was ist passiert, seitdem Sie und Ihr Mann 2004 nach Jamel gezogen sind?

Birgit Lohmeyer: Schon zu dem Zeitpunkt lebte dort einer der rechtsextremen Akteure. Dieser hatte angefangen, seine Gesinnungsgenossen und deren Familien ganz gezielt anzusiedeln. Leerstehende Häuser wurden nach dem Verkauf von rechtsextremen Familien übernommen, sodass wir hier zurzeit eine Bewohnerschaft von mindestens 95 Prozent bekennenden Rechtsextremen haben.

Wie blicken Sie auf die zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus?

Birgit Lohmeyer: Ich freue mich massiv darüber, dass anscheinend die bisher schlafende Mitte der Gesellschaft aufgewacht ist. Ich denke, zu viele Menschen haben das Thema Bedrohung von Rechts bisher entweder gar nicht gesehen oder sie haben sich gesagt‚ „da sollen sich mal andere drum kümmern“. Die Politiker zum Beispiel.

Aber es ist mitnichten so. Wir alle, wir Bundesdeutschen, Einwohner, Bürger und Bürgerinnen müssen jeden Tag aufs Neue unser Gesellschaftssystem gegen diese Menschenfeinde verteidigen.

Und: wir merken jetzt schon, wie nervös die rechte Szene wird.

Rechte Szene reagiert auf Bürgerproteste und Razzien

Auch in ihrem Ort Jamel?

Birgit Lohmeyer: Die Dorfbewohner hier gehen zurzeit sehr unauffällig durchs Leben. Das ist aber vor allem dem geschuldet, dass es Ende vergangenen Jahres in ganz Deutschland große Hammerskins-Razzien gab. Eine dieser Razzien hat hier in Jamel stattgefunden.

Bei dem hiesigen Nazi-Anführer wurde eine Hausdurchsuchung gemacht und sehr viel Material mitgenommen. Dieser Mensch ist seit der letzten Kommunalwahl leider mit einem Sitz in unserer Gemeindevertretung vertreten. Im Moment gibt er den Anschein des braven Bürgers. Aber die Hammerskins sind ein sehr machtvolles, internationales Organ der rechtsextremen Szene. Deshalb weiß man auch, was man davon zu halten hat, dass der Mann jetzt den Wolf im Schafspelz mimt.

Jamel rockt den Förster 2024: Festival in Gefahr

Trotzdem wird zurzeit gegen uns agitiert. Wir haben massive Schwierigkeiten mit der Gemeindevertretung. Wir brauchen dringend Wiesen rund um unser Festivalgelände und die will man uns im Moment nicht geben.

Es sind aber nicht nur die Nazis hier bei uns im Dorf, die was gegen unser Festival haben. Es gibt auch andere, die meinen, dass wir hier nur mit Dreck auf die arme Gemeinde schmeißen.

Wir kriegen viel Gegenwind.

Wenn man Aktionen gegen die rechtsextreme Szene plant, dann ist es wichtig, sich gut mit anderen Menschen zu vernetzen. Das ist uns hier aufgrund der politischen Verhältnisse leider nicht gelungen.

Haben Sie darüber nachgedacht, aus Jamel wieder wegzuziehen?

Birgit Lohmeyer: Also denken kann man Vieles. Aber da sprechen ja ganz viele Dinge gegen. Einerseits ist hier unsere Immobilie, die unverkäuflich ist. Außer an Nazis. Aber mit denen machen wir keine Geschäfte.

Und andererseits haben wir natürlich die gesellschaftliche Verantwortung, die wir uns mit unseren Aktionen auf die Schultern geladen haben. Wir sind ja quasi Vorbilder für zivilgesellschaftliches Engagement. Insofern wäre das schon ein eigenartiges Zeichen, wenn wir uns dann plötzlich ins Private zurückziehen und gar nichts mehr von uns hören lassen.

Glauben Sie, dass sich durch die Bürgerproteste etwas ändern kann?

Birgit Lohmeyer: Natürlich. Die Schwierigkeit jetzt gerade ist, nicht nachzulassen. Im Moment haben alle den Drive, zusammen auf die Straße zu gehen, aber irgendwann liegen doch alle wieder an ihren Swimming-Pools, puzzeln im Garten rum und gehen eben nicht mehr zur Demo. Das heißt, jedem muss klar werden, was sie als nächstes tun können: Geht wählen! Das ist die beste Methode!

Rechtsextremen etwas entgegen setzen

Natürlich kann man auch im eigenen Umfeld tätig werden, das Leben für die Mitmenschen lebenswert machen. Und zwar nicht so wie die Nazis meinen das machen zu müssen, sondern mit einem demokratischen, menschenfreundlichen Hintergrund.

Viele Menschen sagen uns immer: „Es ist toll was sie machen, aber ich könnte das nicht.“ Das braucht ja auch keiner. Nicht jeder muss ein großes, bundesweit bekanntes Rockfestival für Demokratie und Toleranz organisieren. Jeder hat aber die Möglichkeiten in seinem eigenen Umfeld zu wirken.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, sowohl für Jamel als auch für ganz Deutschland?

Birgit Lohmeyer: Sich was für Jamel zu wünschen wäre viel zu utopisch, weil hier die Eigentumsverhältnisse durch die Immobilien festgezurrt sind. Selbst wenn eine rechte Familie wegzieht, dann zieht die nächste nach. Da wird sich nichts dran ändern in diesem Dorf.

Toleranz in Darmstadt

In der Passionszeit 2024 haben in Darmstadt Prominente zum Thema Toleranz gepredigt. Auch Birgit Lohmever hat unter dem Motto „Zivilcourage gegen Rechts“ darüber gesprochen.

Predigtreihe Passion 2024 bei der Darmstädter Stadtkirche

Was auch gar nicht schlecht ist, weil es uns als Modell dafür dient, was passiert, wenn Rechtsextreme die Oberhoheit übernommen haben.

Für Deutschland wünsche ich mir, dass wir alle, Menschen aus Ost und aus West, uns klar machen, wie wertvoll es ist, in einer offenen Gesellschaft zu leben, in einer demokratischen Gesellschaft mit vielen Freiheiten für die Bewohner. Dass wir uns das jeden Tag klarmachen, was es bedeuten würde, wenn zum Beispiel die Partei mit dem großen A vorneweg an die Macht käme. Denn das kann keiner wollen.