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Theologische Zoologie

Tiere im Christentum: Ein falsches Bild?

Schimpanse und Frau blicken sich an
gettyimages/RollingEarth

Auch Tiere haben Würde! Die moderne christliche Tierethik kann und will sich nicht davor drücken, von wem wir abstammen.

Kommen Tiere in den Himmel? „Natürlich“, sagt Rainer Hagencord. Er leitet das Institut für Theologische Zoologie in Münster. 

Gott in der theologischen Zoologie

Rainer Hagencord ist katholischer Priester und Zoologe.
Michele Cappiello
Rainer Hagencord ist katholischer Priester und Zoologe.

Er kritisiert, dass die Würde allein den Menschen zugesprochen sei, nicht aber den Tieren oder allgemein der Schöpfung. „Wenn wir vom Menschen reden, müssen wir auch von den Urahnen reden, den Orang-Utans, den Gorillas und den Schimpansen. Wir sind ja nicht plötzlich vom Himmel Gefallene, sondern Gewordene“, sagt er. 

„Gott wählt sich doch nicht aus der Fülle der Geschöpfe eines heraus, für das dann das ewige Leben gilt“, argumentiert der Theologe und Biologe.

Aus der Bibel zitiert

Jesaja 11, 6-8: „Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter.“

Schon der Prophet Jesaja habe im 8. Jahrhundert vor Christus ein kommendes Friedensreich beschrieben. So wie in dieser Vision die Tiere zusammenleben (siehe Box), werden auch die Menschen beziehungsweise alle Geschöpfe in der Endzeit zusammenleben.

Raub- und Beutetiere nenne der Prophet hier immer paarweise.

Wenn es denn eine göttliche Wirklichkeit gibt, dann gilt sie für alle oder für keinen.

Jesus habe sich immer im Einklang mit allen Geschöpfen verstanden, sagt der Rainer Hagencord. „Wenn es denn eine göttliche Wirklichkeit gibt, dann gilt sie für alle oder für keinen“, ist er überzeugt.

Rainer Hagencords Tierethik

Für Rainer Hagencord führt ein falsches Bild von Tieren zu einer falschen Auffassung von Gott, sprich: zu einer falschen Theologie. Von Gott und den Menschen auf zwei verschiedenen Seiten zu sprechen, hält Hagencord für Unsinn. „Die Schöpfung ist eins!

Theologe Hagencord mit den Eseln Freddy und Fridolin
WWU/Thomas Mohn

Nach einer Lebenskrise studiert der Priester noch Biologie

Was bewegt den Mann? 1987 zum Priester geweiht, geriet er nach drei Jahren in einer Gemeinde in eine schwere Lebenskrise. Dann studierte er Biologie. „Mit der anthropozentrischen Theologie, also mit dem Menschen als Mittelpunkt, konnte ich nichts mehr anfangen“, bekennt der Wissenschaftler.

Rainer Hagencord suchte als Hochschulpfarrer in Münster den Dialog zwischen Theologie und Biologie. Mit seiner Promotion 2004 „Das Tier: Eine Herausforderung für die christliche Anthropologie. Theologische und verhaltensbiologische Argumente für einen Perspektivenwechsel“ legte er den Grundstein für das Institut in Münster.

Würde von Tieren und Menschen

In der Theologie, die er vertritt, einer neuen Theologie, steht das Leiden der anderen im Mittelpunkt. Die „alte“ Theologie habe das Seelenheil des Einzelnen im Blick. Er kritisiert dabei besonders, dass die Würde allein den Menschen zugesprochen sei, nicht aber den Tieren oder allgemein der Schöpfung. 

Earth Overshot: Wenn die Menschen die Erde aufbrauchen…

Dabei wisse er den Papst auf seiner Seite. „Hören wir auf den Schrei unserer Schwester, der Erde, aufgrund der Schäden, die wir ihr zugefügt haben“, zitiert er aus der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 über die Sorge für das gemeinsame Haus, unseren Planeten.

Darin heißt es weiter: „Während wir die Dinge in verantwortlicher Weise gebrauchen dürfen, sind wir zugleich aufgerufen zu erkennen, dass die anderen Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen und ihn ‚schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen‘, denn der Herr freut sich seiner Werke (vergleiche Psalm 104,31). Jeder Hahn und jede Pute hätten einen Wert an sich.“

Forderung: Kirchen mehr Einsatz für den Klimaschutz

Die Reaktion auf die Enzyklika? „Keine!“ empört sich Hagencord. Dabei sieht er die Kirchen bei dem Thema Bewahrung der Schöpfung und Klimaschutz in der Verantwortung. Das funktioniere aber schon nicht im Kleinen. „Man muss nur mal ein Gemeindefest rein vegetarisch planen. Dann bricht ein Sturm der Entrüstung los“, spricht er aus seiner Erfahrung.

Die Kirchen sollten nach seiner Auffassung einen Masterplan zur Rettung der Erde und des Klimas auf den Weg bringen. Was stehe in deren Masterplan bisher? „Seelsorge! Ausschließlich für den Menschen!“ Dabei sei die Menschheit schon angekommen bei „kurz nach 12“. „Wir retten die Erde nicht mehr, der Zug ist abgefahren“.

Artenschutz und Biodiversität: Den Tieren geht es so schlecht wie nie

Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien ging es noch nie so schlecht wie jetzt. Seit 1970 ist der Bestand der untersuchten Wirbeltierpopulationen weltweit um 68 Prozent zurückgegangen. Hagencord konfrontiert seine Studentinnen und Studenten damit, geht am Anfang eines Semesters mit ihnen in den Zoo, „damit die jungen Leute die letzten Vertreter ihrer Art sehen können“.

Er verweist auf den Living Planet Report der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF), in dem die Kurve der Tierbestände zu sehen ist. Sie bezeugt eine dramatische Entwicklung. „Wäre der Living Planet Index ein Aktienindex, würde er die größte Panik aller Zeiten auslösen, aber es interessiert die Menschen nicht“, stellt er fest.

Wir müssen Archen bauen.

Doch Rainer Hagencord verfällt keineswegs in Depression. Er setzt ein Bild dagegen. „Wir müssen Archen bauen“, fordert er. Überall da, wo Menschen mit Tieren und der gesamten Schöpfung in Einklang leben wollen, sollen sie für ein gutes Umfeld sorgen.

Das bedeutet konkret:

  • Raum für Säugetiere und Insekten schaffen
  • heimische Pflanzen vielerlei Arten setzen
  • Hecken anlegen
  • weniger Fleisch essen
  • auf wasserintensives Obst und Gemüse zu verzichten

und noch vieles mehr.

Klimaschutz gemeinsam angehen

„In Deutschland ist die Fläche der gesamten Gartenanlagen größer als alle Naturschutzgebiete zusammen, deswegen lohnt sich der Einsatz im heimischen Garten und auch auf den Balkonen“, ermuntert der Biologe zum Engagement. Jede und jeder sei dazu aufgerufen.

Heimische Arten sterben aus: Beispiel Feldhamster

Ohne Mithilfe sieht es nämlich für viele Tiere schlecht aus. Durch Neubaugebiete und größe Ackerflächen werden Lebensräume der Tiere um uns herum vernichtet. Viele heimische Tierarten sind deshalb vom Aussterben bedroht. Die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) macht auf das Artensterben aufmerksam. Sie versuchen, durch Zusammenarbeit mit Landwirten und Tierauffang- und Zuchtstationen Tierarten zu schützen. Wir haben eine Feldhamster-Aufzucht-Station der HGON bei Gießen besucht.

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Klimaschutz muss vom Rand in die Mitte der Gesellschaft rücken

Der Klimaschutz, die Schöpfung, seien immer noch Randthema. Das müsse sich ändern. „Es sollte viel öfter vorkommen - in Kindertagesstätten, im Schulunterricht, an der Uni, in Konfirmanden- und Firmstunden, in der Liturgie“, fordert Institutsleiter Rainer Hagencord. Es sollte auch eine zentrale Rolle spielen in der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie in der Erwachsenenbildung.

Kirchengemeinden könnten hier Vorreiter sein. Deswegen stellt das Institut Impulse und Arbeitsmaterialien dazu zur Verfügung. Auf dem Programm stehen auch Exerzitien (geistliche Übungen), Workshops und Exkursionen für eine schöpfungsgerechte, klimafreundliche Spiritualität.