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Kirche hat weniger Mitglieder

Kreativ der Krise in der Kirche begegnen

Renate Haller
Kommentar von Renate Haller

Die Kirche verliert Mitglieder. Das ist ärgerlich, aber kein Grund, sich frustriert zurückzuziehen. Vielmehr gilt es deutlich zu machen, was die Kirche Gutes tut.

Die Zahlen kennen nur eine Richtung - abwärts. Seit Jahren legen die beiden großen Kirchen im Sommer ihre Mitgliederstatistik vor. Ein Minus von 2,5 Prozent ist es dieses Mal bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).

Christliche Kirchen in Deutschland

Aktuell gehören in Deutschland mehr als die Hälfte der Bevölkerung einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Dennoch sinkt die Zahl der Mitglieder seit Jahren. Im vergangenen Jahr 2020 waren das in der evangelischen Kirche rund 20,2 Millionen (2019: 20,7) und noch etwa 22,2 Millionen Menschen gehören der katholischen Kirche an (2019: 22,6).

Nun kann man vor den Zahlen sitzen, wie das Kaninchen vor der Schlange, man kann trotzig sagen, „dann schrumpfen wir uns halt gesund“ oder man kann versuchen, der Situation mit neuem Schwung zu begegnen. Viele Gemeinden haben während der Corona-Pandemie gezeigt, dass gerade in schwierigen Situationen der Glaube und die Kirche stützen und Stärke geben können. Und zwar dort, wo es Haupt- und Ehrenamtlichen mit viel Kreativität und Engagement gelungen ist, trotz Pandemie nah bei den Menschen zu sein.

Familien geben den Glauben nicht mehr weiter

Selten fehlt von Seiten der Kirchen der Hinweis, dass es auch anderen großen Institutionen so geht. Die Menschen verzichten auf traditionelle Bindungen. Bei der Kirche kommt hinzu, dass der Glaube in den Familien nicht mehr weitergegeben wird. Nicht gläubige Kinder werden zu nicht gläubigen Erwachsenen, die wiederum ihre Kinder ohne den Glauben erziehen ... Das klingt unaufhaltbar.

Über den Mitgliederschwund

Der Mitgliederschwund bei Protestanten und Katholiken in Deutschland ist nicht neu. Schon im Jahr 2007 gab es insgesamt 50,3 Millionen Christinnen und Christen, die Mitglied in der evangelischen oder katholischen Kirche waren. Das waren damals 61,2 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung. Heute sind es noch gut 51 Prozent (orthodoxe und Freikirchen nicht mitgerechnet).

Bis 2060 könnte sich die Zahl der Kirchenmitglieder einer Prognose von Freiburger Finanzwissenschaftlern aus dem vergangenen Jahr zufolge halbieren.

Es sind 2020 weniger Menschen aus den Kirchen ausgetreten als 2019. Der Grund dafür dürfte aber einzig in der Corona-Pandemie liegen. Wer die Kirche verlassen will, muss seinen Austritt bei einem Besuch der  kommunalen Verwaltung erklären. Das war in den zurückliegenden eineinhalb Jahren aber schwer möglich, weil die Ämter nur eingeschränkt offen für den Publikumsverkehr waren. Wochenlang meldeten die Nachrichten, dass in Köln die Termine für den Austritt aus der Kirche vergeben sind. Der Skandal um das Missbrauchsgutachten, das Kardinal Rainer Maria Woelki über Monate unter Verschluss hielt, zeigte hier seine Wirkung.

Kirchen sind relevant und müssen das zeigen

Das sind die negativen Schlagzeilen. Die Kirchen müssen nun dafür sorgen,dass es auch positive gibt, und immer wieder herausstellen, was gelingt.

Sie sind relevant in den Diskussionen über ethische Konflikte wie etwa die Sterbehilfe oder aktuell der sogenannten „24 Stunden-Pflege“. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Situation von Geflüchteten, unterstützen mit ihren diakonischen Einrichtungen Schwache und Ausgegrenzte.

Das ist gut so. Aber es muss auch bei den Menschen ankommen.    

Der Buchautor Erik Flügge hat bei der Veranstaltung „Zweifeln erlaubt“ der Evangelischen Sonntags-Zeitung in Frankfurt im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, junge Kirchenmitglieder anzuschreiben, bevor sie ihre erste Lohnabrechnung in den Händen halten. Bevor sie irgendetwas für die Kirche bezahlen, sollen sie wissen, wofür sie das tun. Wie viel Geld fließt in die Ortsgemeinde, wie viel in die Diakonie, was kostet das Engagement für die Kinder- und Jugendarbeit, was der Gebäudeunterhalt und die Verwaltung.

Fehler in der Kirche oft nicht wieder gutzumachen

Das, was gelingt, herausstellen. Und sich klar darüber sein, dass es auf jeden einzelnen Kontakt ankommt. Denn Kirchen haben bei den Einzelnen in der Regel nur eine einzige Chance. Darum müssen sie zeigen, dass sie gute Begleiterinnen an den Übergängen des Lebens sind.

Eltern, die schlechte Erfahrungen bei der Taufe machen, haben wenig Interesse am  Familiengottesdienst. Jugendliche, die von der Pfarrerin und dem Pfarrer während ihrer Konfirmandenzeit nicht in ihrer eigenen Lebenswelt abgeholt werden, erkennen nicht die Kraft, die der Glaube für sie haben könnte. Paare, die beim Vorgespräch zu ihrer Trauung nicht erfahren, dass ihnen nicht nur ein Eventmanager, sondern tatsächlich ein Seelsorger, eine Seelsorgerin gegenübersitzt, suchen nicht wieder den Kontakt zur Kirche. Und Angehörige, die Trauerfeiern erleben, bei denen der Pfarrer zwar die Liturgie drauf hat, aber es nicht schafft, aus religiöser Perspektive einen persönlichen Trost zu spenden, bleiben enttäuscht zurück.

Deshalb: Der in vielen Landeskirchen bereits eingeleitete Sparkurs ist richtig. Die Institutionen müssen schlanker werden. Das alleine reicht aber nicht. Die Kirchen müssen deutlich machen, wofür sie stehen – in der Gesellschaft und für die Einzelnen.