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Armut in Deutschland

Ein Jahr #ichbinarmutsbetroffen - Arme Menschen kämpfen weiter

Titelbild ein Jahr #ichbinarmutsbetroffen
epd-bild/Christian Ditsch

Im Mai 2022 twitterte Anni W. unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen ihre Geschichte. Ein Jahr danach.

Vor einem Jahr trendeten die Hashtags #ichbinArmutsbetroffen, kurz danach auch #GiBArmuteinGesicht auf Twitter. Eine Bewegung ist entstanden. Viele arme Menschen sind nach wie vor dabei. Einige haben sich zurückgezogen, weil ihnen zu viel Hass entgegenkam. Ich habe mit einigen Mistreiter:innen über ihre Situation gesprochen.

Anni W.: Ich habe #ichbinarmutsbetroffen ins Leben gerufen

Anni W. von #ichbinarmutsbetroffen
privat
Anni W. von #ichbinarmutsbetroffen

40, Alleinerziehend aus NRW

Anni: Ich habe den Hashtag ins Leben gerufen. Aus Wut über Berichterstattungen, die nur darauf abzielen, Betroffene die Individualschuld zuzuschustern. Die Twitterstiftung „OneWorryLess“ trat an mich heran und so wurde die Bewegung gegründet.

Die Reaktionen waren positiv wie negativ. Viele Menschen traten interessiert an den Hashtag heran, einigen hat es wirklich geholfen sich von Klischees loszusagen, andere wiederum lassen nichts aus, um Hass zu verbreiten. Von Beleidigungen über Unterstellungen war alles dabei. Sogar der Vorwurf für Interviews ja Geld zu erhalten. Daran sieht eins aber eigentlich nur, wie realitätsfern manch Individuum ist.

Die Bewegung ist da und bleibt.

AUSZUG DER FORDERUNGEN

➡️ Entlastung bei den Energiekosten für Menschen in Armut
➡️ Umstrukturierung in Verwaltungen, weniger Bürokratie
➡️ Kindergrundsicherung
➡️ Stopp der Mietsteigerungen und Verdrängung aus der Stadt
➡️ Existenzsicherndes BAföG 

#ichbinarmutsbetroffen: Pressearbeit und Vernetzung

Mittlerweile ist der Hashtag eher Bewegungsarbeit und viele haben sich aufgrund der Hetze zurückgezogen, oder sich der Hetze angeschlossen. Aber die Bewegung ist da und bleibt. Zusammenschlüsse mit anderen Aktivisten, Pressearbeit. Anfang Mai war ich bei der Onlinetagung des Paritätischen mit dabei.

Es muss sich was ändern. So einfach und so schwer ist es. Das Bild über die Lebensrealität Betroffener muss einfach in der Realität ankommen. Dieses Narrativ der Faulen ist nicht nur erlogen, sondern dient einzig dem "nach unten treten". Es ist menschenunwürdig! Wir wollen uns nicht länger für strukturelle Probleme schämen müssen!

Ben: Die Hemmschwelle über Armut zu sprechen, war groß!

Ben von #ichbinarmutsbetroffen
Heike Towae
Ben von #ichbinarmutsbetroffen

39, aus Köln, seit 2009 arbeitslos

Ben: Ich habe damals den Tweet von Anni gesehen und hab mich dann getraut. Das war aber eine große Hemmschwelle. Man hat mit der Zeit verlernt nach Hilfe zu fragen, weil man denkt, man ist der „letzte Dreck“, weil man auch so behandelt wird von der Gesellschaft teilweise. Und ich hab dann durch die Posts gesehen: Das sind gar nicht so wenige, wie ich gedacht habe. Ich bin nicht der einzige Idiot, der nicht mit Geld umgehen kann. Und dann habe ich angefangen meine Geschichte zu erzählen. 

Endlich wird mit uns gesprochen, nicht über uns.

Endlich wird mit uns gesprochen, nicht über uns. Wir rücken in den Mittelpunkt auch bei anderen Organisationen, zum Beispiel „Genug ist genug“, die auch auf uns zukamen und meinten: „Wollen wir nicht was zusammen machen?“

„Hetz-Bubble“ will auf Twitter Stimmung machen 

Und wenn ich jetzt mal den Blick in Richtung „Hetz-Bubble“ schweifen lasse, dann hat das auch viel mit eigener Unzufriedenheit zu tun. Den Hashtag kann natürlich jeder auf Twitter benutzen. Dann sind da auch Leute, die ihre „Wishlisten“ unter dem Hashtag geteilt haben und dann haben Leute aus dieser „Bubble“ sich die teuersten Sachen rausgepickt und gezeigt. Es wurden auch gezielt Personen angegriffen. Von jemanden aus unserer Bewegung wurden die Adressdaten geleakt. Das ist nicht wirklich feierlich, was da abgeht.  

Kati: Wir sind quasi unsichtbar

Kati von #ichbinarmutsbetroffen
Heike Towae
Kati von #ichbinarmutsbetroffen

40, aus Köln, leidet u.a. an Angststörung und Depression

Kati: Ich habe vorher schon auf Twitter zum Thema Armut und psychischen Erkrankung geschrieben, kannte dadurch auch schon die Anni. Und hab mich dann unter dem Hashtag beteiligt und war auf dem ersten Smart-Mob. Und bin in die Organisation in Köln aber auch bundesweit reingerutscht. 

Die pure Verzweiflung treibt uns an.

Es ist nicht das Interesse, das abflacht. Aber es ist ein Kraftakt. Wir sind in der Ortsgruppe Köln alle erkrankt. Also es ist jedes Mal eine Riesen-Herausforderung. Im Grunde haben wir die Kraft und Möglichkeit gar nicht, auf die Straße zu gehen. Es ist die pure Verzweiflung, die uns treibt, weil es so nicht mehr weiter gehen kann. Diese ganzen Preissteigerungen bringen uns so übers Limit hinaus. 

Schluss mit Vorurteilen gegen Arbeitslose

Also wir brauchen natürlich mehr Geld, darauf müssen wir Poliker aufmerksam machen. Aber es ist immer nüchtern, dass sie sagen: Ja, wir sehen eure Problematik, aber es passiert nichts. 

Wir müssen politisch weiter darauf aufmerksam machen. Was wir erreichen wollen, ist die gesellschaftliche Wahrnehmung von Armut. Also weg von dieser Sprache „die faulen Arbeitslosen“ hin zu der Realität. Dass es eben nicht selbstverschuldet ist, sondern systembedingt ist. 

Es sind aber auch Kontakte und Freundschaften entstanden durch die Bewegung. Also eine aus der Ortsgruppe zum Beispiel, die wohnt ein paar Minuten von mir. Wir kannten uns vorher nicht und haben uns über den Hashtag kennengelernt. Aber auch bundesweit sind innige Freundschaften entstanden. 

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