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Zwänge

Immer und immer wieder: Leben mit Zwangsstörung

Auf einem Tisch liegen ganz akurat diverse Klammernu und Bleistifte. Zwei Hände sortieren den einen Stift, der nicht genau rein passt noch ein.
gettyimages/AndreyPopov

Noch kurz checken, ob der Herd aus ist. Normal. Wenn solche Rituale aber den Alltag bestimmen, fängt der Zwang an. Eine Betroffene aus Hessen berichtet.

Schon als Kind wollte Pauline nur eins: perfekt sein. „Ich hatte das Gefühl, eine große Verantwortung zu tragen und wollte bloß niemanden enttäuschen. Daraus entstand später eine große Angst, Fehler zu machen.“ Die Zwangsstörung kam schleichend und ist bis heute nicht ganz weg. 

Diagnose Zwangsstörung mit Anfang 20

Die 25-Jährige ist seit vielen Jahren von einer Zwangserkrankung betroffen. Die offizielle Diagnose wurde erst vor anderthalb Jahren gestellt, wie die studierte Sozialarbeiterin sagt. „Ganz konkret habe ich eine gemischte Zwangsstörung aus Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.

Es kamen immer mehr Zwänge dazu.

„Es fing an mit der Kontrolle, ob das Glätteisen auch wirklich aus ist“. Die Angst, sie könnte verantwortlich sein für den Brand des Hauses und den Tod der Bewohner:innen, verfolgte sie permanent. Im Gegensatz zu gesunden Menschen konnte sie sich von dem Gedanken nicht lossagen. Später seien immer mehr Zwänge hinzukommen, erinnert sich die junge Frau aus Hessen.

Zwangsgedanken über Straftat

Besonders die Zwangsgedanken, sie könnte eine schlimme Straftat begangen haben, ohne es zu merken, bestimmten fortan ihren Alltag. „Ich hatte ständig Angst, gleich von der Polizei abgeholt zu werden.“ Sie traute niemanden mehr über den Weg, nur ihr Partner wusste Bescheid.

Pauline leidet unter Zwangsstörungen
privat
Pauline leidet unter Zwangsstörungen

Erst einmal aber die Frage:

➡️ Was sind Zwangsstörungen überhaupt?

Zwei bis drei Prozent aller Menschen erkranken laut Angaben des Max-Planck-Instituts im Laufe ihres Lebens an einer Zwangsstörung. Dabei kommt es zu Handlungen oder Gedanken, die Betroffene wiederholt ausführen müssen.

Zwangsstörungen durch Corona

Zwangsstörungen können so stark werden, dass sie den ganzen Alltag bestimmen. Wir reden hier also nicht mehr von „Ticks“, die vermutlich jede:r von uns hat. Zu den häufigsten Arten gehören Reinigungs- und Waschzwänge, Kontrollzwänge sowie Wiederhol- und Zählzwänge. Die Corona-Pandemie hat die Zwänge bei vielen Kranken nochmals verschärft.

Häufige Zwänge

  • Hände waschen, bis die Haut trocken und rissig wird
  • wiederholte Kontrolle von Türen, um sicher zu gehen, dass sie verschlossen sind
  • Zählen in bestimmten Mustern

Quelle: Oberberg Kliniken

Von einer Zwangsstörung sprechen Expert:innen dann, wenn Zwangshandlungen zeitintensiv sind oder zu Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen führen, erklärt die Freiburger Psychologin und Psychotherapeutin Anne Katrin Külz. Sie ist auf die Behandlung von Zwangsstörungen spezialisiert und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen.

Zwänge fangen oft in der Kindheit an

Wissenschaftler:innen geben an an, dass Zwänge oft schon in der Kindheit entwickelt werden. Bei einem Drittel der Betroffenen tritt eine Zwangsstörung bereits in der Pubertät auf. In den allermeisten Fällen wird die Diagnose mit Anfang 20 bestimmt. 

Laut Külz würden verschiedene Faktoren eine Zwangsstörung beeinflussen. Etwa eine sehr gewissenhafte Persönlichkeit. Auch eine überbehütende Erziehung sei ein „Nährboden“ für die Krankheit genauso wie bedeutsame Lebensereignisse – etwa der Wechsel in die erste eigene Wohnung oder die Geburt des ersten Kindes.

Betroffen seien Männer und Frauen gleichermaßen aus allen sozialen Schichten, weiß die Therapeutin. Bei 60 Prozent ihrer Patient:innen kämen im Lauf ihres Lebens Depressionen hinzu.

Kognitive Therapie zur Behandlung von Zwängen

Als Therapie hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt, wie die Expertin berichtet. Dabei werden die Erkrankten bewusst mit ihren Ängsten konfrontiert. Das Problem: Viele Menschen würden die Symptome lange verheimlichen. „Einige denken, verrückt zu sein“, sagt Külz.

Zwangsstörungen sind heilbar!

Umgekehrt sei aber auch Vorsicht geboten mit einer vorschnellen Diagnose. Wenn auf Social-Media Betroffene von ihren Zwängen berichten, sei die Gefahr groß, dass man selbst denke, man sei betroffen.

Wartelisten für Therapien sind lang

Im Internet geistern zudem viele Mythen zur Behandlung von Zwängen, wie zum Beispiel durch Hypnose. Also falls du betroffen bist oder die Vermutung hast: Informier dich nur über wirklich seriöse Quellen. Külz wünscht sich, dass Praxen mehr Online-Therapien möglich machen, da die Wartelisten überall lang sind. Sie betont: „„Zwangsstörungen sind gut behandelbar". Zehn bis 20 Prozent der Patient:innen könnten ganz geheilt werden können.

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Deine Geschichte

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Pauline geht es heute viel besser. Geholfen hat ihr eine ambulante und stationäre kognitive Verhaltenstherapie (wie oben erklärt). Auch verschiedene Psychopharmaka waren nötig. Rückhalt hat sie außerdem durch ihren Freund erfahren: „Ich kann nicht in Worten ausdrücken, wie dankbar ich hierfür bin.“

Blog „lebennachdemzwang“ soll Betroffenen helfen

Pauline fordert niedrigschwellige Angebote für Betroffene. Mit ihrem Blog „lebennachdemzwang“, der ihre eine „Herzensangelegenheit“ ❤️ ist und ihrem Instagram-Auftritt möchte sie anderen Betroffen Mut machen. Sie will dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen nicht mehr stigmatisiert werden. Pauline erhalte viele Nachrichten von Betroffenen, die froh sind, dass sie das Thema aufgreift. 

„Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass der Druck, immer höher, schnell und weiter zu müssen, verschwindet“, betont die Hessin. Außerdem müsste schon in der Schule darüber gesprochen werden, wie man selbstfürsorglich mit sich umgeht.